Das Politische in sozialer Kunst

Intervenieren in soziale Verhältnisse

Die ganze Welt in Zürich – Konkrete Interventionen in die Schweizer Migrationspolitik

Das Projekt „Die ganze Welt in Zürich“ (2015/2016),*5 *(5) welches ich gemeinsam mit Katharina Morawek über den Zeitraum von eineinhalb Jahren in der Shedhalle Zürich entwickelt und umgesetzt habe, setzte sich zum Ziel das dialogische ästhetische Potential von Kunst mit politischer Praxis zusammenzuführen. Der Fokus des Projekts lag auf der Schweizer Migrationspolitik und der Frage nach einer Entwicklung und Implementierung einer Urban Citizenship (StadtbürgerInnenschaft) in Zürich.

Öffentliche Debatten zum Thema Migration und Flucht handeln vor allem von den Zwängen einer vermeintlichen Realpolitik, sie lassen dabei eine grundsätzliche und politische Auseinandersetzung jenseits des mutmaßlich Machbaren vermissen. Wie würden etwa die Zugänge zu städtischen Ressourcen für MigrantInnen und Flüchtlinge in einer Stadt wie Zürich aussehen, wenn diese ihnen als StadtbürgerInnen alle entsprechenden sozialen Rechte zugestehen würde? Wo gibt es politische und gesetzliche Spielräume, um das Recht auf Rechte für alle in einer Stadt lebenden Menschen einzufordern? Wie kann hierfür gesellschaftlicher und politischer Druck aufgebaut werden?

Das Projekt und die Ausstellungsarchitektur orientierten sich an der Metapher des Hafens, die Mobilität, Globalität, Handeln und Aushandeln, Ankunft, vor Anker gehen, Vielfalt und Weltoffenheit evoziert. Das Projekt setzte sich aus den dialogischen Formaten „Hafengespräch“, „Hafenforum“ sowie Arbeitstreffen einer interdisziplinären Arbeitsgruppe zusammen. Die Ausstellung bildete den architektonischen Raum für diese Formate. Für die Arbeitsgruppe, welche sich ab Sommer 2015 regelmäßig in der Shedhalle Zürich traf und die strategische und inhaltliche Ausrichtung des Projekts bestimmte, konnten folgende AkteurInnen gewonnen werden: Bah Sadou (Aktivist, „Autonome Schule Zürich“), Bea Schwager (Leiterin SPAZ, Anlaufstelle für Sans Papiers in Zürich), Kijan Malte Espahangizi (Geschäftsführer, Zentrum „Geschichte des Wissens“, ETH / Universität Zürich) Osman Osmani (Gewerkschaftssekretär für Migration, UNIA), Rohit Jain (Sozialanthropologe, Universität Zürich / Zürcher Hochschule der Künste), Tarek Naguib (Jurist, Zentrum für Sozialrecht / Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW).

Die „Hafengespräche“ wurden von den Mitgliedern dieser Gruppe konzipiert. Es wurden VertreterInnen von Interessensgruppen, EntscheidungsträgerInnen, StadtpolitikerInnen, MitarbeiterInnen öffentlicher Einrichtungen und AktivistInnen eingeladen. Die Hafengespräche fanden in der Shedhalle dezidiert unter Ausschluss der Öffentlichkeit im eigens dafür gebauten „Hafenturm“ statt. Zudem wurden Bootsfahrten organisiert, bei welchen die TeilnehmerInnen am Bürkliplatz mit einem Boot abgeholt und zur Shedhalle, die unweit des Stegs vom Hafen Wollishofen liegt, gebracht wurden. Die TeilnehmerInnen wurden durch Performances/Gesprächssituationen an Bord spezifisch auf das jeweilige Hafengespräch eingestimmt.

„Die ganze Welt in Zürich“ Eröffnungsschifffahrt zur Ausstellung in der Shedhalle am 22. Oktober 2015, Foto: Martin Krenn

„Die ganze Welt in Zürich“ Eröffnungsschifffahrt zur Ausstellung in der Shedhalle am 22. Oktober 2015, Foto: Martin Krenn

Das zweite Format, das „Hafenforum“ war öffentlich und fand dreimal zu den Themen „Urban Citizenhip“, „Social Practice“ und „Doing City“ statt. Dabei trafen lokale und internationale AkteurInnen aufeinander. Die Inhalte und Strategien, welche in den Hafengesprächen und in der Arbeitsgruppe erarbeitet wurden, standen hier erneut zur Diskussion.

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APA, P.A., (2016): Antifaschistisches Mahnmal am Welterbe-Steig Wachau eröffnet [Homepage of Salzburger Nachrichten], Online unter: http://www.salzburg.com/nachrichten/oesterreich/kultur/sn/artikel/antifaschistisches-mahnmal-am-welterbe-steig-wachau-eroeffnet-190207 (4.11.2016).

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Bourriaud, Nicolas (2002): Relational aesthetics. Paris: Les Presses du réel.

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Finkelpearl, Tom (2001): Dialogues in public art. Cambridge, Mass.; London: MIT Press.

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Jackson, Shannon (2011): Social works: performing art, supporting publics. New York: Routledge.

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Kester, Grant H. (2004): Conversation pieces: community and communication in modern art. Berkeley: University of California Press.

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Krenn, Martin (2016): The political space in social art practices. Unveröffentlichte Dissertation, Ulster University.

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Lacy, Suzanne (1995): Mapping the terrain: new genre public art. Seattle, Wash.: Bay Press.

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Marchart, Oliver (2010): Die politische Differenz: Zum Denken des Politischen bei Nancy, Lefort, Badiou, Laclau und Agamben. Berlin: Suhrkamp Verlag KG.

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Mouffe, Chantal (2013): Agonistics: Thinking the World Politically. London: Verso.

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Schleuning, Neala (2013): Artpolitik: Social Anarchist Aesthetics in an Age of Fragmentation. Minor Compositions.

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Zumdick, Wolfgang (2002): Joseph Beuys als Denker: Sozialphilosophie, Erkenntnistheorie, Anthropologie. PAN XXX ttt. Stuttgart, Berlin: Johannes M. Mayer.

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Adolphs, Stephan/ Karakayalı, Serhat (2007): Mikropolitik und Hegemonie. Wider die neuen Para-Universalismen: Für eine anti-passive Politik. Online unter: http://eipcp.net/transversal/0607/adolphs-karakayali/de

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Felshin, Nina (1994): But Is It Art? the Spirit of Art As Activism. Seattle, WA: Bay Press

Diese Artikel baut auf meiner Dissertation “The Political Space In Social Art Practices” (Ulster University, Belfast, 2016) auf.

In diesem Text werden die Sammel-Begriffe „Soziale Kunst“ bzw. „Soziale Kunstpraxen“ verwendet, da es um den sozialen Raum (welcher immer auch ein politischer ist) dieser Kunst geht. Andere für soziale Kunst gebräuchliche Begriffe werden im Verlauf des Textes noch angesprochen werden.

Eine Tagung, die sich der Kunst als sozialem Raum widmete und im März 2000 von Stella Rollig und Eva Sturm im O.K. Centrum für Gegenwartskunst in Linz veranstaltet wurde, trug sogar den Titel „Dürfen die das?“.

Ein Auszug aus der Begriffsvielfalt rund um soziale Kunst: “Soziale Skulptur” von Joseph Beuys, ein Begriff, den er 1967 zum ersten Mal öffentlich verwendete (Zumdick 2002: 17), “New Genre Public Art” von Susanne Lacy (1995), “Relationale Ästhetik” von Nicolas Bourriaud (1997, 2002), “Socially Cooperative Art” von Tom Finkelpearl (2001) “Dialogical Aesthetics” von Grant Kester (2004), “Participatory Art” geprägt von Claire Bishop (2006) aber auch von anderen TheoretikerInnen, “Social Works” von Shannon Jackson (2011), oder “Social Anarchist Aesthetics” von Neala Schleuning (2013).

Siehe zum Projekt ebenfalls Katharina Moraweks Beitrag in dieser e-journal-Ausgabe.

Laut dem österreichischen Dokumentationsarchiv waren 80 Prozent der BeamtInnen und Angestellten aus dem österreichischen Polizeidienst rekrutiert. Auf Führungsebene betrug der Anteil der ÖsterreicherInnen ebenfalls bis zu 80 Prozent. (http://www.doew.at/erkennen/ausstellung/gedenkstaette-salztorgasse/die-gestapo-leitstelle-wien)

Martin Krenn ( 2016): Das Politische in sozialer Kunst. Intervenieren in soziale Verhältnisse. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/das-politische-in-sozialer-kunst/