Das Politische in sozialer Kunst

Intervenieren in soziale Verhältnisse

Gedenktafel Hotel Metropol

Das zweite Projektbeispiel, welches ich vorstellen möchte, entstand im Rahmen der Wiener Festwochen „Into the City 2015“. Ich wurde eingeladen ein Projekt zum Themen-Schwerpunkt „Hotel Metropol: Der Erinnerung eine Zukunft geben“ zu entwickeln. In Zusammenarbeit mit Wolfgang Schlag und der Gastgewerbefachschule am Judenplatz entstand die „Gedenktafel Hotel Metropol“, welche sich ‑ neben anderen geladenen künstlerischen Projekten, Interventionen und einer umfangreichen Ausstellung ‑ der Erinnerung und dem Gedenken an das ehemalige Hotel und spätere Gestapoquartier widmet.

Das Hotel Metropol, 1873 aus Anlass der Weltausstellung gebaut, wurde in kürzester Zeit zu einem der angesehensten Hotels in Wien. Hotelgäste waren unter anderem der US-amerikanische Schriftsteller Mark Twain, aber auch der Freiheitskämpfer und heutige Nationalheld der Philippinen Jose Rizal. 1938 wurde das Gebäude nach dem „Anschluss“ an Hitler-Deutschland arisiert und in das Gestapo-Hauptquartier in Wien umfunktioniert. Politische Gegner wurden in dem ehemaligen Luxushotel eingesperrt, verhört, gefoltert und ermordet. 1945 zerstörten alliierte Luftangriffe das Gebäude und es musste schließlich 1948 abgerissen werden. Von 1963 bis 1967 errichtete die Stadt Wien am selben Ort den Leopold Figl-Hof, eine Wohnhausanlage, die auch heute noch dort steht. Die Geschichte des Hotels und Gestapohauptquartiers war bis Projektbeginn in Wien kaum bekannt. Ich konzipierte deshalb das Projekt „Gedenktafel Hotel Metropol“ als dialogische Performance vor Ort. Im Gegensatz zu einer herkömmlichen Gedenktafel, welche anhand eines kurzen Textes über die Geschichte eines Ortes informiert, wurde mit SchülerInnen der Gastgewerbefachschule Judenplatz eine Tafel der anderen Art errichtet. Es handelte sich um einen festlich gedeckten Tisch, der in der Nähe des Hauses am Morzinplatz 1 aufgebaut wurde und die Situation eines Hotel-Restaurants inszenierte. ZeitzeugInnen, AnwohnerInnen und Interessierte, die sich aufgrund eines Aufrufs des Radiosenders Ö1 anmeldeten, waren an drei Tagen, von 18. bis 20. Mai 2015, eingeladen, an diesem temporären Gedenkort Platz zu nehmen. Bereitliegende Broschüren informierten über die Geschichte des Hotels und über die Verbrechen, welche in der darin eingerichteten Wiener Zentrale der Gestapo verübt wurden.

Speisekarte und Informationsbroschüre der „Gedenktafel Hotel Metropole“, Performance, 18. – 20. Mai, Morzinplatz 1, Wien, Foto: Luca Faccio

Speisekarte und Informationsbroschüre der „Gedenktafel Hotel Metropole“, Performance, 18. – 20. Mai, Morzinplatz 1, Wien, Foto: Luca Faccio

Die SchülerInnen der Gastgewerbefachschule Judenplatz eröffneten vor Ort eine Rezeption, servierten Originalgerichte des ehemaligen Hotelrestaurants und sprachen mit den Gästen über ihre Recherchen zur Geschichte des Ortes. Im Vorfeld führte ich gemeinsam mit Wolfgang Schlag ein halbjähriges Schulprojekt durch. Die SchülerInnen bildeten drei Gruppen: Eine beschäftigte sich mit Antifaschismus, die zweite führte Interviews mit ZeitzeugInnen sowie Gespräche mit HistorikerInnen und KünstlerInnen und die dritte Gruppe gestaltete mit Shenja von Mannstein einen Radiobeitrag für Ö1. Davor besuchten MenschenrechtsexpertInnen, AktivistInnen, KünstlerInnen und Kinder von ZeitzeugInnen die Gastgewerbefachschule, unter ihnen Marianne Schulze, Tal Adler, Eduard Freudmann, Lisl Ponger, Ines Garnitschnig und Hans Breuer. Gedenktafel-Vorträge wurden von Ari Rath, Marianne Schulze und Hans Breuer gehalten. Die durch das Projekt ausgelösten politischen Prozesse waren vielfältig. Das Projekt stellte eine Form von „gelebter Geschichtspolitik“ dar, die sich im Rahmen des Schulprojektes, während der Gedenkperformance und auch in der Berichterstattung auf unterschiedliche Weise zeigte. Auch wenn es sich um eine temporäre Zusammenarbeit handelte, wurden nachhaltige Prozesse initiiert. SchülerInnen, die bisher kaum mit geschichtspolitischen Fragen beschäftigt waren, begannen in ihrer Freizeit weiter an dem Thema zu arbeiten, die Inhalte des Projekts wurden von einigen SchülerInnen sogar als Maturathema vorgeschlagen.

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APA, P.A., (2016): Antifaschistisches Mahnmal am Welterbe-Steig Wachau eröffnet [Homepage of Salzburger Nachrichten], Online unter: http://www.salzburg.com/nachrichten/oesterreich/kultur/sn/artikel/antifaschistisches-mahnmal-am-welterbe-steig-wachau-eroeffnet-190207 (4.11.2016).

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Bishop, Claire (2006): Participation. London: Whitechapel.

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Finkelpearl, Tom (2001): Dialogues in public art. Cambridge, Mass.; London: MIT Press.

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Jackson, Shannon (2011): Social works: performing art, supporting publics. New York: Routledge.

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Kester, Grant H. (2004): Conversation pieces: community and communication in modern art. Berkeley: University of California Press.

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Krenn, Martin (2016): The political space in social art practices. Unveröffentlichte Dissertation, Ulster University.

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Lacy, Suzanne (1995): Mapping the terrain: new genre public art. Seattle, Wash.: Bay Press.

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Marchart, Oliver (2010): Die politische Differenz: Zum Denken des Politischen bei Nancy, Lefort, Badiou, Laclau und Agamben. Berlin: Suhrkamp Verlag KG.

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Mouffe, Chantal (2013): Agonistics: Thinking the World Politically. London: Verso.

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Schleuning, Neala (2013): Artpolitik: Social Anarchist Aesthetics in an Age of Fragmentation. Minor Compositions.

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Thompson, Nato (2011): Living as Form. Online unter: http://creativetime.org/programs/archive/2011/livingasform/curator_statement.htm (4.9.2016)

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Zumdick, Wolfgang (2002): Joseph Beuys als Denker: Sozialphilosophie, Erkenntnistheorie, Anthropologie. PAN XXX ttt. Stuttgart, Berlin: Johannes M. Mayer.

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Adolphs, Stephan/ Karakayalı, Serhat (2007): Mikropolitik und Hegemonie. Wider die neuen Para-Universalismen: Für eine anti-passive Politik. Online unter: http://eipcp.net/transversal/0607/adolphs-karakayali/de

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Felshin, Nina (1994): But Is It Art? the Spirit of Art As Activism. Seattle, WA: Bay Press

Diese Artikel baut auf meiner Dissertation “The Political Space In Social Art Practices” (Ulster University, Belfast, 2016) auf.

In diesem Text werden die Sammel-Begriffe „Soziale Kunst“ bzw. „Soziale Kunstpraxen“ verwendet, da es um den sozialen Raum (welcher immer auch ein politischer ist) dieser Kunst geht. Andere für soziale Kunst gebräuchliche Begriffe werden im Verlauf des Textes noch angesprochen werden.

Eine Tagung, die sich der Kunst als sozialem Raum widmete und im März 2000 von Stella Rollig und Eva Sturm im O.K. Centrum für Gegenwartskunst in Linz veranstaltet wurde, trug sogar den Titel „Dürfen die das?“.

Ein Auszug aus der Begriffsvielfalt rund um soziale Kunst: “Soziale Skulptur” von Joseph Beuys, ein Begriff, den er 1967 zum ersten Mal öffentlich verwendete (Zumdick 2002: 17), “New Genre Public Art” von Susanne Lacy (1995), “Relationale Ästhetik” von Nicolas Bourriaud (1997, 2002), “Socially Cooperative Art” von Tom Finkelpearl (2001) “Dialogical Aesthetics” von Grant Kester (2004), “Participatory Art” geprägt von Claire Bishop (2006) aber auch von anderen TheoretikerInnen, “Social Works” von Shannon Jackson (2011), oder “Social Anarchist Aesthetics” von Neala Schleuning (2013).

Siehe zum Projekt ebenfalls Katharina Moraweks Beitrag in dieser e-journal-Ausgabe.

Laut dem österreichischen Dokumentationsarchiv waren 80 Prozent der BeamtInnen und Angestellten aus dem österreichischen Polizeidienst rekrutiert. Auf Führungsebene betrug der Anteil der ÖsterreicherInnen ebenfalls bis zu 80 Prozent. (http://www.doew.at/erkennen/ausstellung/gedenkstaette-salztorgasse/die-gestapo-leitstelle-wien)

Martin Krenn ( 2016): Das Politische in sozialer Kunst. Intervenieren in soziale Verhältnisse. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 07 , https://www.p-art-icipate.net/das-politische-in-sozialer-kunst/