ent/grenzen

Bleuler, Marcel/Moser, Anita (Hg.) (2018):  ent/grenzen. Künstlerische und kulturwissenschaftliche Perspektiven auf Grenzräume, Migration und Ungleichheit. Bielefeld: transcript. 

Diesem Sammelband ging ein längerer Prozess voran, der bestimmt war von Symposien, Lehrveranstaltungen, Gesprächen und daraus hervorgehenden Netzwerken. Ausgangspunkt dafür bildeten die Migrationsbewegungen im Jahr 2015, vor deren Hintergrund ab Herbst desselben Jahres eine intensive Auseinandersetzung zum Thema der Grenzziehungen zwischen Wir und Nicht-Wir, der Herstellung des „Anderen/Fremden“ und von Grenze(n) als komplexes, vielfältig verhandelbares Phänomen am Programmbereich Zeitgenössische Kunst und Kulturproduktion des Kooperationsschwerpunkts Wissenschaft und Kunst der Paris Lodron Universität Salzburg und der Universität Mozarteum Salzburg begann. Die am Programmbereich stattfindende Anknüpfung dieser Befragung von Grenze(n) an künstlerische und kulturwissenschaftliche Arbeiten spiegelt sich im vorliegenden Sammelband wider.

Isolde Charim eröffnet den Band mit ihrer Auseinandersetzung zur zentralen Frage: Was bedeutet „Grenze“ heute überhaupt? Hierzu zieht sie das von Michel Pêcheux im Kontext des „Kalten Krieges“ entworfene Konzept der „Festung“ sowie des „paradoxen Raums“ heran und schlussfolgert, dass diese beiden Formen der Grenzregime heute losgelöst von einer geografischen Verortung am gleichen Ort existieren, sich also überlagern. Während Bewohner_innen des paradoxen Raums in einem quasi grenzenlosen Raum leben und somit (beinahe) „Grenzenlosigkeit“*1 *(1) erfahren, erleben Bewohner_innen der Festung – Migrant_innen, Geflüchtete, Asylsuchende – Grenzen als ubiquitär. Selbst der Eintritt in den paradoxen Raum löst diese Grenzen nicht auf, die Festung besteht innerhalb dieses für andere „grenzenlosen“ Raums fort. Neben diesen Räumen, die sich nicht mehr an bestimmten Territorien festmachen lassen, gestalten sich gesellschaftliche Trennlinien als genauso wirkmächtig, da sie ebenso das „Eigene“ und das „Fremde“ konstruieren. Letztlich ist dieses äußere und innere Konstrukt des Eigenen/Fremden, das von Seiten der Populist_innen gepflegt wird, als ein Angriff auf eine atheistische, säkulare und pluralistische Gesellschaft zu begreifen.

María do Mar Castro Varela erweitert den Blick auf Grenzen als Herrschaftsinstrumente, indem sie aufzeigt, wie sehr das Nachdenken über dieselben innerhalb eines postkolonialen Rahmens vom (Neo-)Kolonialismus bestimmt wird und wie übermächtig der europäische Anspruch auf Deutungshoheit ist. Ihr Beitrag regt dazu an, aus den hegemonialen Denkstrukturen auszubrechen. Wie schwierig die Reflexion und Durchbrechung dieses Denkens und der darin enthaltenen Machthierarchien – also das anders Denken – ist, zeigen die im Band besprochenen Projekte auf, in denen Kunstschaffende und auch Partizipierende sich immer wieder mit dieser Problematik der Machtverhältnisse, mit eigenen oder von dem/r Fördergeber_in definierten Zielen und Ansprüchen konfrontiert sehen und auseinandersetzen.

Erst im Zuge der zunehmenden europäischen Abschottungspolitik werden Grenzen wieder wahrgenommen, wenn auch für Bewohner_innen des paradoxen Raums in erster Linie nur mit der Konsequenz längerer Staus auf den diversen Autobahnen.

Wie schwer man der Fortschreibung von Machtverhältnissen und Kategorisierungen  entkommt, zeigt Moser schon an der Verwendung der Bezeichnung „Geflüchtete_r“  auf, welche Menschen tendenziell auf ihre Fluchterfahrungen reduziert und zugleich  kategorisiert.

Verena Höller ( 2018): ent/grenzen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/ent-grenzen/