Über Körper, kulturelle Normierung und die Anforderung einer „Kultur für alle“ im Kontext von Dis_ability
I. Grundlegende Überlegungen und Einführung in die Thematik einer kulturwissenschaftlichen Perspektive auf Behinderung*
Behinderung*1 *(1) wird in unserer nach Norm strebenden Gesellschaft als Tragödie gefasst; die Tragödie der Behinderung, die nicht sein darf und die es durch medizinische, physiotherapeutische u.a. Maßnahmen möglichst zu überwinden gilt. Diese Tragödie haftet dem Individuum als Makel an. Behinderung wird in unserem gesellschaftlichen Normensystem noch immer als nicht wünschenswert angesehen, anstatt sie als vielfältige Variante menschlicher Lebensrealität, losgelöst von negativen Bewertungen, anzunehmen (vgl. Magdlener 2015: 186). (*12)
Pablo Pineda, Europas erster Lehrer und Akademiker mit Trisomie 21 sagt dazu, es sei eine Beleidigung, eine Person als „nicht fähig“ oder „behindert“ zu bezeichnen. Das größte Manko der Gesellschaft ist es, das Anders-Sein*2 *(2) nicht verstehen zu können. Aus dem Nichtverstehen heraus wird etikettiert und in Kategorien geteilt (vgl. Pineda 2009, o.S.). (*22)
Damit spricht Pineda einen wichtigen Punkt kritischer Theorien an, nämlich das Othering, d.h. das zum Anderen-Machen bestimmter Menschen.
Kulturwissenschaftlich betrachtet ist Behinderung* eine soziale und vor allem auch kulturelle Zuschreibung, die immer wieder neu hergestellt, also gemacht wird. Der Blick wird weg von Individuen mit Disability*3 *(3) und hin zu einer Auseinandersetzung mit Strukturen und Normierungszwängen gerichtet. Diese Macht- und Gewaltverhältnisse sind in unserer Gesellschaft verankert. Damit soll die Gewaltförmigkeit des medizinischen Blicks auf Behinderung aufgezeigt werden.
Dieser Beitrag soll eine erste Annäherung an die Spannungsfelder von Körper, (kultureller) Normierung im Kontext von DisAbility und der Anforderung einer „Kultur für alle“ sein. Aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive auf Behinderung werden unterschiedliche Thematiken des Umgangs mit und der Handlungsfelder von kultureller Teilhabe gesellschaftskritisch beleuchtet.
Diese Perspektive geht davon aus, dass es in unserer Gesellschaft „Compulsory Ableness“ gibt. Diesen Zwang, der auf Deutsch nur unzufrieden stellend als „Zwang zur Nicht-Behinderung“ übersetzt werden kann, haben alle Menschen (behindert oder nicht) zu erfüllen. Er kann nur existieren, weil es den Gegensatz von Behinderung und Nicht-Behinderung gibt. Erst dadurch, dass Menschen als behinderte Menschen bezeichnet werden, kann sich der Rest als nicht-behindert und „normal“ verstehen (s.a. Kafer 2013: 5 f.; (*7) Magdlener 2015: 187).
(*12)
Doch was hat das alles mit der Frage nach einer „Kultur für alle, mit allen und von allen“ zu tun?*4 *(4)
Ich habe meinen Beitrag mit grundlegenden Überlegungen und einer Einführung in die Thematik einer kulturwissenschaftlichen Perspektive auf Behinderung* begonnen. Nun werde ich auf die Thematik einer Kultur für alle und mit allen im Sinne einer kulturwissenschaftlichen Perspektive auf Behinderung* eingehen. Im weiteren Verlauf werde ich der Frage, was Kultur und Teilhabe für alle und mit allen bedeutet, eingehen. Abschließen möchte ich mit Überlegungen zu neuen Denkansätzen auf dem Weg zur Inklusion in eine vielfältige Gesellschaft.
Elisabeth Magdlener ( 2018): Über Körper, kulturelle Normierung und die Anforderung einer „Kultur für alle“ im Kontext von Dis_ability. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/ueber-koerper-kulturelle-normierung-und-die-anforderung-einer-kultur-fuer-alle-im-kontext-von-dis_ability/