Über Körper, kulturelle Normierung und die Anforderung einer „Kultur für alle“ im Kontext von Dis_ability

Behinderung im Kontext eines normierenden Gesellschafssystems – Ableismus

Ableismus bezeichnet jene Form der Diskriminierung, von der Personen mit Behinderung* aufgrund dieser Zuschreibung betroffen sind. Der Begriff wird vom englischen „to be able“ (Deutsch: „fähig sein“) abgeleitet. Dieser Begriff meint, dass unser menschlicher Körper sowie unser Denken, Fühlen und Handeln auf eine vom gesellschaftlichen System vorgegebene Weise funktionieren müssen, und falls sie dies nicht tun, zumindest kontrollierbar sein müssen. Diese Vorstellungen vom Fähig-Sein tragen jene Gewalt in sich, die als Ableismus bezeichnet wird. Nicht-Behinderung*, also angebliche Fähigkeit, wird dabei als Standard vorausgesetzt. Das „Funktionieren“ wird in einer Art Ideologie einer physischen, psychischen oder mentalen Behinderung* gegenüber gestellt und als „etwas Besseres“ gewertet (vgl. Hutson 2010: 61 f.).star (*4)

Die Normalität der Nicht-Behinderung wird also sowohl von behinderten* als auch nicht-behinderten* Menschen erfüllt und getragen. Ableismus ist deshalb grundlegend auch die Verantwortung von nicht-behinderten* Menschen (s.a. Mayer 2013: 26).star (*10)

 

Privilegien in unserem ableistischen Gesellschaftssystem

„Kultur für alle und mit allen“ bedeutet, dass alle Menschen in allen Bereichen uneingeschränkten Zugang zu Kunst, Kultur und Medien haben. Dabei dürfen weder bestehende Privilegien, also Vorteile, reproduziert, noch unüberwindbare neue geschaffen werden (vgl. Hoffmann 1981: 29).star (*5) Denn es ist wichtig, sich der eigenen Vorteile eines für andere diskriminierenden Gesellschaftssystems bewusst zu sein bzw. zu werden und aus dieser Perspektive heraus anderen den Alltag zu erleichtern (vgl. Hoffmann 1981: 271; 295; s.a. S. 297 f.;star (*5) s.a. Zimmerman 2013: o.S.).star (*23)

Mit dem Blick auf Normierungszwänge sowie Macht- und Gewaltverhältnisse liegt es nahe, sich auch mit den Vorteilen – also Privilegien – zu beschäftigen: 1. mit jenen Privilegien, die nicht-behinderten* Menschen in einem ableistisch-normierenden Gesellschaftssystem zukommen, und 2. mit jenen Vorteilen, die Menschen mit Behinderung* neben ihren Benachteiligungen auch haben.

Privilegien von Nicht-Behinderung* sind z. B. selbstverständlich als normal und zugehörig betrachtet zu werden, ohne die eigene (körperliche) Verfassung erklären, begründen oder rechtfertigen zu müssen. Sie gilt als unhinterfragte Normalität (vgl. Röggla 2013: 9;star (*16) Bee 2013: 28-30).star (*1) Daraus ergeben sich auch spezielle Vorteile, Vorrechte oder Sonderrechte. Es sind sogenannte „Selbstverständlichkeiten“ wie:

  • generell als erwachsene, ernst zu nehmende Person angesprochen und wahrgenommen zu werden,
  • selbstverständlich barrierefreie Zugänge,
  • eine Welt, die so ausgerichtet ist, dass Dinge zumeist alleine und ohne fremde Hilfe ausgeführt werden können,
  • in ein allgemeines Zeitsystem/einen allgemeinen Zeitrhythmus mit den körperlichen, psychischen oder mentalen Gegebenheiten hineinzupassen (s.a. Peggy MacIntosh in Röggla: 9).star (*16)

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Vorweg möchte ich festhalten, dass ich den Begriff „Dis_ability“, also „Behinderung“ in diesem Artikel stellenweise sehr stark auf körperliche Behinderung* beziehen werde. Der Inhalt des Beitrags betrifft jedoch gleichermaßen Ability in Bezug auf psychische und mentale Zusammenhänge sowie chronische Erkrankung* u.v.m. Die Schreibweise des Unterstrichs wird im Sinne einer Widerständigkeit synonym mit jener des Sternchens verwendet, um einseitige gesellschaftliche Zuschreibungen und Bewertungen hinsichtlich Behinderung, Geschlecht etc. sichtbar und flexibler zu machen und damit aufzuweichen. Dabei verwende ich den Unterstrich sowie das Sternchen auch in Bezug auf Behinderung etc., um auch dies gebräuchlich zu machen (vgl. Baumgartinger 2008 insbes. S. 26 ff., 34; Herrmann aka s_he 2003).

Im Verlauf dieses Artikels werde ich, im Gegensatz zu den Gebräuchlichkeiten, Begriffe kursiv bzw. unter Anführungszeichen schreiben, um gesellschaftlich existierende Normen hervorzuheben.

Dis_ability kann unterschiedlich geschrieben werden: DisAbility, Dis/ability, Dis_Ability. Ich möchte im folgenden Text durch die unterschiedliche Schreibweise die verschiedenen Möglichkeiten betonen und gleichzeitig auf die vielen „Fähigkeiten“ von Menschen mit DisAbility hinweisen.

Der vorliegende Text ist auf Basis eines Vortrags im Rahmen der Gesprächsreihe „Kultur für alle und mit allen“ am Schwerpunkt Wissenschaft & Kunst, einer Kooperation der Universität Salzburg mit dem Mozarteum Salzburg, entstanden.

Integration wird von unterschiedlichen Personengruppen schon seit den 1970er-Jahren heftig als Anpassung an die Normen und Vorstellungen der Mehrheitsgesellschaft kritisiert und problematisiert. Die nicht-behinderte Mehrheit ist es beispielweise dann, die über die Integration von behinderten* Menschen entscheidet, nicht aber diese selbst. Integration müsse also immer ein gesellschaftliches Machtgefälle beinhalten, denn die nicht-behinderte gesellschaftliche Mehrheit entscheidet, welche Menschen als „integrierbar“ gelten und welche „nicht“ und welche Integration „gelungen“ ist (vgl. Köbsell 2012: 43; Georgi 2015: 25; Sierck 1991: 29).

Der Begriff Trans*-Person bezeichnet Personen, die nicht das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht leben. Mann-zu-Frau = Trans*Frau oder Frau-zu-Mann = Trans*Mann. Manche Trans*-Personen finden sich in der sich gegenseitig ausschließenden Zuordnung von Mann und Frau nicht wieder. Sie erweitern die Vielfalt der Geschlechter jenseits von Mann und Frau (s.a. Quix-Kollektiv 2016: 93). Der Begriff Inter* beschreibt „Menschen, deren Genitalien, Hormonproduktion oder Chromosomen nicht der medizinischen Norm von ‚eindeutig männlichen‘ oder ‚weiblichen‘ Körpern zugeordnet werden können.“ (ebd.)

Aktuell werden diese beschönigend als Tagesstrukturen bezeichnet.

Einzelne Passagen dieses Textes sind aus der Masterarbeit „Cripping Dance and dancing Crips? Über die Verhandlung des Körpers im inklusiven Tanz und das Potenzial des Aufbrechens der Kategorie Disability am Beispiel des Kontakttanzes DanceAbility“, Universität Wien, entnommen und auf die Thematik des Artikels bezogen.

Elisabeth Magdlener ( 2018): Über Körper, kulturelle Normierung und die Anforderung einer „Kultur für alle“ im Kontext von Dis_ability. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/ueber-koerper-kulturelle-normierung-und-die-anforderung-einer-kultur-fuer-alle-im-kontext-von-dis_ability/