„Kultur für alle“ als emanzipatorische Praxis
Martin Hochleitner, Direktor des Salzburg Museum, im Interview mit Persson Perry Baumgartinger und Dilara Akarçeşme
Im Fokus des Gesprächs mit Martin Hochleitner standen der Statementcharakter eines Museums, zukunftsorientierte Digitalisierungsaspekte sowie das Thema des Wissenstransfers. Das Interview fand im Rahmen des Projektes „Kulturelle Teilhabe in Salzburg“ statt.
Was bedeutet für Sie „Kultur für alle“ bzw. kulturelle Teilhabe in Salzburg und darüber hinaus?
Dieses Thema betrachte ich im Rahmen der Fragen, von welchem Kunst- und Kulturbegriff bzw. von welchen Definitionsmodellen der Vermittlung wir ausgehen, welche Funktion wir Kunst und Kultur zuweisen wollen und welche Funktion von öffentlichen Kultureinrichtungen wahrgenommen werden soll.
Das ist also eine sehr komplexe Fragestellung. Ich komme aus der Kulturvermittlung und wir haben uns in den Nullerjahren über Aspekte des Partizipatorischen unterhalten. In den letzten Jahren hingegen werden emanzipatorische Praktiken stärker verhandelt, das heißt, Kultur als emanzipatorische Praxis zu verstehen. Da gehe ich auch stark mit, da mit so einem Selbstverständnis Hierarchien und Autoritätsstrukturen in einer Kultureinrichtung kritisch hinterfragt werden. Wer spricht? Wer will wem etwas erzählen? Kritisch hinterfragt werden auch Begriffe wie Leitkultur, der immer im Raum steht. Daher empfinde ich emanzipatorische Praktiken als einen offeneren Ansatz, nämlich dahingehend, wie man sich über Kultur austauscht und wie man sich mit eigenen Geschichten einbringt. Diese Fragestellungen interessieren mich auch kuratorisch, wobei ich das Stichwort „Parallelgeschichte“ betonen möchte.
Was ist für Sie ein emanzipatorischer Prozess im Gegensatz zu einem partizipatorischen Prozess?
Partizipation ist eher die Teilhabe an einer Kultur. Man geht davon aus, dass es eine Kultur gibt, die jeder Person vermittelt werden soll, damit die Wahrnehmung dieser Kultur auch im Sinne der Intention passiert. Ich glaube, das ist dieser Taxi-Trick, der auch oft kritisch hinterfragt wird. Er lautet: „Wir müssen alle dort abholen, wo sie stehen.“ Aber was heißt das eigentlich? Dass man auch alle nur mit dieser Kulturvorstellung konfrontieren will.
Eine emanzipatorische Praxis hingegen ist ein viel offeneres Feld. Hier wird durchaus kritisch befragt, wer wem etwas erzählt und wer etwas einbringt. Ich glaube, dass Museen sehr spannende Orte für Transfers und Austausch sind. Es definiert natürlich auch ein ganz anderes Rollenverständnis zwischen Museum auf der einen und BesucherInnen auf der anderen Seite. Vom Grundverständnis her wäre es ein gemeinsames Lernen. Wenn wir zur Inhaltlichkeit kommen, haben wir aus den 1990er Jahren stark mitgenommen, Geschichte als eine Konstruktion zu verstehen und uns daher auch mit Aspekten einer kritischen Dekonstruktion zu beschäftigen. Unter dem Stichwort Parallelgeschichten wird auch kritisch befragt, welche Geschichte wir im Museum mit welchen Objekten verbinden, welche Geschichten wir erzählen etc. Es ist sicherlich eine andere Haltung, Kultur für alle zu verfolgen, als wenn man nur von Teilhabe spricht.
Verwenden Sie den Ausdruck „Kultur für alle“ eigentlich?
Das war ein sehr starkes Schlagwort einer bestimmten Haltung der späten 1960er und auch der 1970er Jahre. Es gibt verschiedene Ausprägungen und es wurden sicher verdienstvolle Initiativen gesetzt. Die Frage ist, ob dieses Konzept heute noch eine Schlüssigkeit hat oder welche neuen Fragestellungen sich an „Kultur für alle“ ergeben. Und wenn wir davon abrücken, dass es die Leitkultur gibt und von einem anderen Kulturbegriff ausgehen, ist das gut gedacht.
Wer sind diese „alle“, von denen wir in Ihrem Museum oder darüber hinaus sprechen?
Das ist eine ganz zentrale Frage des Kontexts und ich kann nur für ein Museum sprechen. Das heißt, in welchem Kontext, also in welcher historischen Dimension, in welchem gesellschaftlichen und kulturpolitischen Rahmen, aber auch an welchem konkreten Ort agiert ein Museum?
In Salzburg hat man andere Rahmenbedingungen für Museumsarbeit als das in anderen Städten in Österreich der Fall ist. Wenn ich Salzburg mit Linz oder Innsbruck vergleiche, ist das sowohl ein anderer Kontext, als auch ein anderes „alle“. Es ist auch ein anderer Auftrag, den ich als öffentliches Museum in einem Haus zu erfüllen habe, das im 19. Jahrhundert gegründet wurde und sich immer als eine Sammlungseinrichtung zur Kunst- und Kulturgeschichte von Salzburg dargestellt hat. Man reagiert zwar mit Grundüberlegungen auf den Begriff „alle“, aber man muss natürlich auch überlegen, welche Identität man als Haus besitzt, an welchem konkreten Ort man sich befindet und in welchem zeitlichen Rahmen man agiert.
Persson Perry Baumgartinger, Dilara Akarçeşme, Martin Hochleitner ( 2018): „Kultur für alle“ als emanzipatorische Praxis. Martin Hochleitner, Direktor des Salzburg Museum, im Interview mit Persson Perry Baumgartinger und Dilara Akarçeşme. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/kultur-fuer-alle-als-emanzipatorische-praxis/