„Kultur für alle“ als emanzipatorische Praxis

Martin Hochleitner, Direktor des Salzburg Museum, im Interview mit Persson Perry Baumgartinger und Dilara Akarçeşme

In welchen Bereichen sehen Sie zukünftig Handlungsbedarf?

Das grundsätzliche Thema ist, dass Museen mehr als nur Ausstellungshäuser und Vermittlungseinrichtungen sind. Museen sind unglaublich attraktive Orte für Wissenstransfer. In dieser Hinsicht muss in unserem Haus sehr viel weitergedacht werden, wie wir das Wissen, das mit konkreten Objekten verbunden ist, Menschen attraktiv zur Verfügung stellen können. Das ist die eine Denkperspektive. Die zweite, die uns sehr wichtig ist, betrifft mediale Möglichkeiten in Bezug auf räumliche Ressourcen und die technische Einrichtung bzw. Instrumente und Tools.

Wenn Sie jetzt in Linz im Ars Electronica Center in den Deep Space hineingehen, sehen Sie Visualisierungsmöglichkeiten, die jetzt schon technisch möglich sind, wovon wir in Salzburg aber noch weit entfernt sind. Das hat selbstverständlich auch immer mit budgetären Möglichkeiten zu tun. Sie müssen sich das so vorstellen, dass Sie im Ars Electronica Center über das Projekt „Google Arts Project“ virtuell in das British Museum oder in das Pergamonmuseum gehen. Das ist einerseits deshalb faszinierend, da Sie dort Objekte ansehen können, die Sie im Original nie so genau betrachten können, weil in der virtuellen Besichtigung hineingezoomt werden kann. Andererseits ist es eine Form der Teilhabe, da Menschen, die keine Erfahrung mit dem British Museum haben, diese Erfahrung ermöglicht wird. Diese Eigenschaft des Teilhabe-Schaffenden hat man früher der Fotografie ebenso als soziales Medium zugewiesen. Und inwieweit Technik eine virtuelle Teilhabe oder Erfahrbarkeit von Inhalten ermöglicht, finde ich durchaus spannend.

Mit diesen Tools kann etwas vermittelt werden, das Sprache nie leisten kann. Vermittlung hat auch etwas mit emotionaler Annahme, Begeisterung, und der Bereitschaft zu tun, etwas annehmen zu können. Es gibt in diesem Bereich noch riesiges Potenzial, sich besser aufzustellen.

Können Sie das etwas detaillierter schildern?

Das ist eine genau erfasste Museumssituation mit konkreten Objekten, und das Großartige dabei ist, dass dieser Deep Space, jetzt in 8K-Technik, es Ihnen erlaubt, sich wirklich virtuell im Pergamonmuseum zu bewegen. Es ist eine rein räumliche Projektion und die Decke, die Wände und der Boden sind voll ausgeleuchtet. Das heißt, Sie befinden sich in einem Bild drinnen und bekommen ein Gefühl für die Raumsituation. Außerdem gibt es auch einen Mehrwert der Information, da Sie sich in Gesichter hineinzoomen können. Wenn man sich vorstellt, dass die Fotografie um 1900 Menschen plötzlich die Erfahrbarkeit von Dingen gewährt hat, die davor nur einer privilegierten Gesellschaftsgruppe vorbehalten war, die sich das Reisen leisten konnte, hat das Medium schon auch seine Möglichkeiten einer Teilhabe.

Was sagen Sie dazu, dass es z.B. in Museen in New York möglich ist, sehr nahe an Objekte heranzutreten, in Österreich aber nicht?

Ich denke, das ist nur ein Aspekt der Sicherheit und glaube, dass das das Entscheidende ist. Ich glaube auch, dass es gut ist, dieses Thema vernünftig und mit Augenmaß zu behandeln. Bzw. Sicherheit dort zu garantieren, wo es notwendig ist, oder von jemandem als notwendig erachtet wird. Ein Museum lebt ja nicht nur davon, dass es Objekte zeigt, sondern auch davon, dass es Ausstellungsobjekte als Leihgaben bekommt. Dann definiert der/die EigentümerIn, wie der Umgang mit dem Objekt aussehen kann.

In unserem Museum finde ich es z.B. toll, dass man in das Museum hineingehen kann, die Tasche entsprechend bei der Garderobe abgeben muss, wenn sie eine gewisse Größe überschreitet, und dann einen Ausstellungsbeutel bekommt, um die notwendigsten Dinge mitzunehmen. Aber Sie haben keine Sicherheitskontrolle mit Metalldetektoren und es sieht niemand in Ihre Taschen hinein, was Ihnen z.B. in den USA oder in Frankreich sicher passiert. Dort gehört dieser Einblick eines Museums in mein Intimstes mit dazu, um überhaupt in das Museum hineinzukommen. Das ist ein Wert, der mir durchaus wichtig ist und da bin ich auch froh, dass wir ihn haben.

Was sind Ihre Visionen für kulturelle Teilhabe im Salzburg Museum, oder darüber hinaus für Stadt und Land Salzburg?

Der ganz große Wunsch ist, dass Kulturarbeit wirklich aus einer Vision heraus passieren darf und kann. Wir sind letztlich ein Museum, das von der öffentlichen Hand ausgestattet wird und wir sind, was Inhalte betrifft, eigentlich unglaublich frei. Diesen Wert finde ich sehr wichtig. Wir können ein bestimmtes Thema aufgreifen, weil es uns ein Anliegen ist und weil wir es zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort auch für das Richtige halten. Daher ist für mich das Entscheidende, dass dies auch weiterhin gemacht werden kann und nicht plötzlich andere Mechanismen beginnen, uns Vorgaben zu machen oder über uns zu entscheiden.

Die Freiheit der Kunst besitzt tatsächlich enormes Potential. Diese auch gewährleisten zu können, diese der Gesellschaft als Wert kommunizieren zu können und dass die Gesellschaft sie letztendlich als Wert empfindet, ist die Vision schlechthin.

Und dass man Museumsarbeit als ein lebendiges Weiterführen von Kulturerbe sowie das kritische Hinterfragen des sogenannten Kulturerbes versteht. Oder auch wie es ergänzt werden soll. Und dies auch in der einen oder anderen Form sichtbar zu machen, wie etwa baulich, architektonisch oder räumlich.

Ich bin auch ein riesiger Fan von skandinavischen Kultureinrichtungen, da man dort das Gefühl hat, dass es Orte sind, wo man gerne ist bzw. sich gerne aufhält. Es sind quasi Lebensorte, die viel mehr zu einer Lebensführung dazugehören. Da kann man an einem Sonntag auch einmal in das Museum frühstücken gehen. Und zwar nicht als abgehobenes High-Nose-Produkt, sondern einfach im Sinne eines schönen, angenehmen Ortes. Das ist auch erstrebenswert.

Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für dieses Interview genommen haben!

 

Persson Perry Baumgartinger, Dilara Akarçeşme, Martin Hochleitner ( 2018): „Kultur für alle“ als emanzipatorische Praxis. Martin Hochleitner, Direktor des Salzburg Museum, im Interview mit Persson Perry Baumgartinger und Dilara Akarçeşme. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/kultur-fuer-alle-als-emanzipatorische-praxis/