Kunst und Kultur sind keine neutralen, sondern umkämpfte Begriffe und in historische Entwicklungen mit unterschiedlichen Vorstellungen davon eingebettet, welche Rolle sie in der Gesellschaft spielen können und sollen. Der Zugang zu Kunst und Kultur sowie die Ermöglichung der Produktion von Kunst und Kultur stellen Grundrechte demokratischer Gesellschaften dar. Daher ist es im Sinne einer Teilhabe- und Verteilungsgerechtigkeit eine grundlegende Aufgabe der öffentlichen Hand, ein möglichst breites und vielfältiges kulturelles Angebot für das Gemeinwohl bereitzustellen und zu unterstützen. Zentral sind dabei die die Grundfragen der Kulturpolitik: „Wessen ‚Kultur’ wird eigentlich aktuell berücksichtigt bzw. von der öffentlichen Hand am meisten gefördert? Und wie steht der Staat zu jenen marginalisierten Kulturen, die nicht dem Mainstream angehören und keine hegemoniale Bevorzugung genießen?“ (Zembylas 2011: 153). (*59) In Zeiten einer fortschreitenden neoliberalen ökonomischen Denkweise werden diese Auffassung und auch Errungenschaften einer kritischen und emanzipatorischen Vorstellung von Kunst und Kultur beständig untergraben.*1 *(1)
Wie kann – trotz dieser neoliberalen Untergrabungen – eine demokratiepolitische Vorstellung von Kunst und Kultur umgesetzt werden? Wie kann Barrieren und Ausschlüssen entgegengewirkt werden, sodass möglichst viele – oder gar „alle“ – die Möglichkeit haben, an Kultur teilzuhaben? Wie kann das Bildungssystem verändert werden, sodass Zugänge zu Kultur nicht mit dem sozialen Status „vererbt“ werden? Wie können sich die Kunst- und Kulturinstitutionen öffnen und transformieren? Grundlegend für diese Fragen ist eine Definition von Teilhabe,*2 *(2) wie sie die Kulturwissenschaftlerin Wanda Wieczorek vorlegt:
„Teilhabe ist ein umfassender Begriff, der Möglichkeiten des Individuums bezeichnet, sich als Teil des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu begreifen und gestaltend darauf Einfluss zu nehmen. Kulturelle Teilhabe ist ein Element dieser allgemeinen sozialen Teilhabe. Sie umfasst sowohl die Teilnahme an Kultur als auch die eigene kulturelle Produktion und erfordert den souveränen Umgang mit unterschiedlichen kulturellen Ausdrucksformen und Codes, aus dem Optionen der Mitwirkung und Mitgestaltung erwachsen (…).“ (Wieczorek 2018: 5) (*57)
Diesen Ansprüchen steht eine Realität gegenüber, in der die Mehrheit der Kulturinstitutionen keine offenen Orte für „jedermensch“ sind, sondern Orte der Selbstvergewisserung der mittleren und höheren Gesellschaftsschichten, die (großteils) unter sich bleiben. Wie Wieczorek so treffend formuliert: „Der öffentliche Auftrag an die Kulturinstitutionen verkehrt sich so ins Gegenteil: Anstatt allen Personen gleichermaßen Zugang zum kulturellen Angebot und zur eigenen Produktion zu verschaffen, stellen sie selbst die Barriere dar, die den Weg zur Kultur erschwert.“ (2018: 7) (*57) Teilhaben (können), oder nicht, ist daher die Frage.
In diesem Beitrag geht es mir darum, im Feld der kulturellen Teilhabe, in dem sich Praxis und theoretische Debatten in Wechselwirkung voranbringen, Position zu beziehen. Das Feld hat in den letzten Jahrzehnten einen regelrechten Boom erfahren und eine gewisse Inhaltslosigkeit und auch Instrumentalisierung für verschiedene Zwecke nach sich gezogen. Ich argumentiere hier für einen Ansatz einer kritischen kulturellen Teilhabe, der auf einer selbstreflexiven und institutionskritischen Haltung beruht, in Theorie und Praxis gesellschaftliche Machtverhältnisse in den Blick nimmt und eine Transformation der bestehenden Verhältnisse und Institutionen zum Ziel hat.*3 *(3) Auf einer theoretischen Ebene geht es mir darum, diesen Ansatz einer kritischen kulturellen Teilhabe mit jenem der kritischen kulturellen Produktion, wie wir ihn am Programmbereich Zeitgenössische Kunst und Kulturproduktion am Schwerpunkt Wissenschaft & Kunst ausgearbeitet haben, zu verbinden (Zobl et al. 2019, (*61) Lang/Klaus/Zobl 2015).
(*29) Kritische kulturelle Produktion verstehen wir im Sinne der Cultural Studies als engagiertes und produktives Mitgestalten der eigenen Lebenswelt und damit verbundener kultureller und öffentlicher Prozesse der Bedeutungskonstituierung: Kultur wird als ein partizipativer und kollaborativer Prozess gelebt, in dem Sichtweisen und Einstellungen erzeugt, aufgenommen und in einem öffentlichen Zirkulationsprozess distribuiert werden. Zentral sind dabei die Verhandlung von demokratischen Öffentlichkeiten und Räumen, aber auch von Konflikten, Macht, sozialen Ungleichheiten und Ausschlussmechanismen.
In dem Beitrag zeichne ich zu Beginn kurz als Hintergrund der aktuell boomenden Debatten die Verschränkung von Kultur und Bildung nach, um anschließend auf den kulturpolitischen Slogan „Kultur für alle“ als eng verbunden mit dem Ziel einer Demokratisierung der Gesellschaft einzugehen. In dem Bestreben, Ausschlüssen entgegenzuwirken, thematisiere ich darauffolgend Fragen der Teilhabe in der kritischen Kulturvermittlung und der transkulturellen Kulturarbeit. Ich schließe mit Überlegungen zu verschiedenen Handlungsfeldern.