Frictions and Fractions?! Kritische Perspektiven auf Kulturarbeit, Kulturvermittlung und Diversity
Kulturelle Teilhabe ist als Menschenrecht verankert, gilt jedoch längst nicht für alle. Im Gegenteil: Eine Vielzahl von Menschen wird nicht von öffentlich geförderten kulturellen Angeboten erreicht und hat auch nicht die Möglichkeit, selbst künstlerisch oder kulturell produzierend tätig zu sein bzw. wahrgenommen zu werden. Ausschlüsse und Barrieren in und durch Kunst und Kultur sind weit verbreitet wirkmächtig. Doch welche Strukturen und Mechanismen fördern Ausschlüsse? Wie können sie systematisch eruiert, benannt und analysiert werden? Wie lassen sich die Forderungen nach Teilhabe, nicht-diskriminierenden Sprachpolitiken und der Öffnung von Institutionen tatsächlich einlösen? Und wodurch können Veränderungen in Richtung einer transformativen, emanzipatorischen und solidarischen Arbeit in Kunst und Kultur erzielt werden? Ausgehend von kritischer Kulturvermittlung und Kritischem Diversity überlegen wir in diesem Gespräch, wie Kulturarbeit als kritische Praxis konzeptionalisiert und umgesetzt werden kann.
Diversity und Kulturvermittlung
Anita Moser: Diversity und Kulturvermittlung zusammenzudenken ist wichtig, um eine allgemeinere Perspektive für eine Kulturarbeit als kritische Praxis zu entwickeln. Wir haben bei meiner Lehrveranstaltung zu „PR in Kunst und Kultur“, in der auch Kulturvermittlung ein Themenfeld war und an der du mit deiner Lehrveranstaltung „Diversity in Kunst und Kultur“ bei den Gastgesprächen*1 *(1) teilgenommen hast, gemerkt, dass eine konkretere Verbindung der kritischen Kulturarbeit und des Kritischen Diversity viel bringen kann und dass es in dem Bereich noch einiges zu tun gibt.
Persson Perry Baumgartinger: Ja, lass uns mal damit beginnen, unsere Ausgangsbasis darzustellen. Was verstehst du unter Kulturarbeit?
AM: Kulturarbeit würde ich als ein Feld von Tätigkeiten bezeichnen, die im Zusammenhang mit der Programmierung, Organisation und Kommunikation von Kunst und Kultur anfallen. Sie umfasst also theoretisch-inhaltliche Arbeiten gleichermaßen wie Umsetzungsprozesse in staatlichen Institutionen, Profit- und Non-Profit-Einrichtungen und findet in großen Häusern ebenso wie bei der Umsetzung von kleineren Projekten statt. Der im Kontext gesellschaftlicher und politischer Umbrüche der 1970er Jahre entstandene und chronisch unterfinanzierte Bereich der freien Kulturarbeit – aus Perspektive der Kulturbetriebslehre auch unter dem Begriff des Non-Profit-Sektors subsumiert –, entstand aus dem Bedürfnis nach künstlerisch-kultureller Selbstorganisation, Soziokultur, inhaltlicher Unabhängigkeit sowie gesellschaftlichem und politischem Engagement (vgl. Moser 2016; 2015). (*13) Kritische Kulturarbeit findet also vielfach in diesem Bereich statt.
Ein wesentlicher Teil von Kulturarbeit ist die Kulturvermittlung, bei der es auf einer sehr allgemeinen Ebene darum geht, zwischen Kunst/Kultur und unterschiedlichen Publika oder Nutzer_innen zu vermitteln. Kulturvermittlung wird als „Verständnishilfe zwischen Kunst und Publikum“ bezeichnet, wobei es auch darum geht, wie Birgit Mandel betont, die besonderen Stärken der Künste für das Zusammenleben im Alltag zu nutzen, die sie darin sieht, dass sie kommunikative Prozesse in Gang setzen, die Wahrnehmung auf das Gewohnte verrücken und zeigen, dass alles ganz anders sein könnte (vgl. Mandel 2005: 16). (*9) Kulturvermittlung hat also auch mit der Veränderung von Sichtweisen und Einstellungen zu tun. Besonders in der kritischen Kulturvermittlung (vgl. u.a. Mörsch/Schade/Vögele 2018; (*14) Mörsch/Forschungsteam 2009) (*23) wird das thematisiert, wobei diese letztlich auf die Veränderung von Strukturen und Institutionen abzielt. Für Carmen Mörsch ist Kunstvermittlung eine Praxis, bei der Dritte eingeladen werden, um Kunst und ihre Institutionen für Bildungsprozesse zu nutzen. Konkret heißt das auch, die Institutionen zu befragen, analysieren und dekonstruieren und falls möglich zu verändern, und sie dadurch „auf die eine oder andere Art fortzusetzen“ (Mörsch 2009: 9). (*15) Da ist also der Aspekt von Transformation wichtig. Kommen wir zu Diversity – was verstehst du darunter?
Persson Perry Baumgartinger, Anita Moser ( 2018): Frictions and Fractions?! Kritische Perspektiven auf Kulturarbeit, Kulturvermittlung und Diversity. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/frictions-and-fractions-kritische-perspektiven-auf-kulturarbeit-kulturvermittlung-und-diversity/