Frictions and Fractions?! Kritische Perspektiven auf Kulturarbeit, Kulturvermittlung und Diversity
AM: Meinst du so etwas wie die Selbstverortung im Sinne von Gayatri Spivaks Konzept des strategischen Essenzialismus? Der Verein maiz beispielsweise arbeitet mit der Selbstbezeichnung „Migrant*innen“. Diese wird als „Gegenentwurf“ verwendet, also als Benennung eines oppositionellen Standorts und als Bestimmung der eigenen politischen Identität (vgl. Salgado/maiz 2015: 37-38). (*18) Durch die Setzung einer strategischen Identität bezieht man sich auf eine Kategorie und dekonstruiert diese gleichzeitig.
PPB: Ja. So wie die Begriffe Schwarz und weiß von Schwarzen und People of Color als politische Begriffe und nicht als Identitätsbegriffe eingeführt wurden (vgl. Eggers et al. 2005). (*7) Es geht dabei vor allem darum, einerseits einen positiven, selbstbestimmten Begriff zu finden und andererseits auch die implizite Norm, das Weiße überhaupt mal zu benennen. So wie der Begriff Cis- entwickelt wurde, um die Norm der Nicht-Trans-Personen zu benennen (vgl. zusammenfassend Baumgartinger 2017, Kapitel 2). (*4)
AM: Es gibt diese Gleichzeitigkeit von Selbstverortung und Fremdbestimmung. Die Selbstdefinition bzw. -verortung als Strategie ist wichtig, um politisch handlungsfähig zu sein. Problematisch ist die Festschreibung von außen, wie sie auch in der Kulturvermittlung häufig vorkommt, wenn zum Beispiel Programme „für Migrant_innen“ angeboten werden. Die politisch-strategische Dimension von Selbstbezeichnungen lässt sich in der Kommunikation nach außen oft schwer mittransportieren. Dann wird ein Begriff sehr verkürzt aufgenommen und man wird auf Kategorien reduziert, gegen die man eigentlich ist. Das hängt aber auch damit zusammen, dass die Expertise von Angehörigen von Selbstorganisationen und Netzwerken, in denen solche Begriffe und Konzepte entwickelt und theoretisiert werden, bei der Umsetzung von Kunst- und Kulturprojekten keine Berücksichtigung findet.
PPB: Würden wir zum Beispiel die vielen „gut gemeinten“ Kunst- und Kulturprojekte mit Geflüchteten mit Modellen des Kritischen Diversity analysieren, würden mehrere Diskriminierungsformen sichtbar. Rassismus, eventuell Klassismus, aber auch Adultismus, also wo Jugendliche benutzt werden, ohne längerfristigen Nutzen für sie. Wenn sie z.B. ein Zertifikat bekommen, das sie bei Bewerbungen vorzeigen können, oder wenn die Kultureinrichtung sie als Kulturvermittler_innen aufnimmt – das wäre vielleicht transformativ. Es geht bei transformativ also auch um Umverteilung, den sozialen Status, den so eine Einrichtung hat, zu nutzen, damit Andere mehr Chancen haben.
AM: Genau. Man kommt immer wieder auf ähnliche Punkte und Fragen. Auch wir als Universität sollten diese kritisch beleuchten und schauen, wo Diskriminierungen stattfinden und Privilegien unhinterfragt fortgesetzt werden, auch wenn es starke Widerstände gibt.
Kulturarbeit als (un-)kritische Praxis?
PPB: Es gibt den Spruch „Diversity ist keine Wellnessveranstaltung“. Diversity ist vielmehr das, was die Trans Studies auch in den Mittelpunkt stellen: frictions and fractions (vgl. Stryker/Currah/Moore 2008). (*20) Da reibt es sich, da sind Auseinandersetzungen, das ist Diversity. Und nicht: „Uns geht es allen gut, wir sind ja so vielfältig“ oder Ähnliches. In diesem Sinne geht es auch beim transformativen Diskurs – wenn er wirklich ernst genommen und umgesetzt wird – ans Eingemachte. Denn wenn du eine Person einstellst, die langsamer ist aufgrund einer körperlichen Einschränkung oder Lernschwierigkeit, dann hat das Effekte auf deinen Betrieb. Das sind so Sachen, über die will keiner reden. Das hat überhaupt nichts mit der Person zu tun, sondern mit der organisationalen und gesellschaftlichen Ebene. Was bedeutet Leistung? Wie schnell müssen wir funktionieren? Welche Vorstellung von Zeit wird als Norm vorausgesetzt? Da kommen Ableismus und Kapitalismuskritik dazu. Deshalb ist eine intersektionale Herangehensweise wichtig beim Kritischen Diversity: Diskriminierungs- und Ausschlussstrukturen funktionieren insbesondere, weil mehrere Machtebenen miteinander verwoben sind.
Persson Perry Baumgartinger, Anita Moser ( 2018): Frictions and Fractions?! Kritische Perspektiven auf Kulturarbeit, Kulturvermittlung und Diversity. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/frictions-and-fractions-kritische-perspektiven-auf-kulturarbeit-kulturvermittlung-und-diversity/