„Kunst als Sprache muss nicht den gesellschaftlichen Normen oder Sitten entsprechen“

Zehra Baraçkılıç im Gespräch mit Dilan Şengül

D/Arts weist ganz klar auf Mängel und Probleme im Kunst- und Kulturbetrieb hin, thematisiert und spricht ganz offen über Diskriminierung und Rassismus.

Wie bist du bei D/Arts involviert? Was aus deiner Arbeit bringst du bei D/Arts ein?

Ich habe das D/Arts Team über eine Veranstaltung von einer Freundin, die selbst im Team ist, kennengelernt. Ich habe feststellen können, wie Menschen zusammenkommen, die enorm viel Wissen, Praxiserfahrung sowie Leidenschaft mitnehmen und diese auch weitergeben möchten. Es sind Expert:innen, die bereit sind, ihre Expertisen auszutauschen und zusammenzuarbeiten. D/Arts weist ganz klar auf Mängel und Probleme im Kunst- und Kulturbetrieb hin, thematisiert und spricht ganz offen über Diskriminierung und Rassismus.

Denn aktuell spiegelt sich die Realität einer diversen Gesellschaft in der dominierenden Kunst- und Kulturlandschaft nach wie vor kaum beziehungsweise nicht ausreichend wider. Ungehörten und aktiv verdrängten Stimmen steht der bereits lange eingeforderte Raum zu. Es geht darum, das offen anzuerkennen und Platz zu machen. Die Auseinandersetzung mit und Bewusstseinsschaffung für Unterdrückungssysteme und ihre Strukturen waren, sind und sollten vermehrt ein essenzieller Bestandteil von Kunst und Kultur werden.

Durch meine langjährige Erfahrung in den Bereichen Kunst und Medien, Kunstvermittlung, Management sowie Training und Workshop-Facilitation bis hin zur Rassismuskritik im Kunst- und Bildungsbereich weiß ich, dass es mit D/Arts gelingt, Sichtbarkeit, eine Stimme und eine neue Sprache zu vermitteln, um das bestehende Netzwerk zu erweitern.

Was ist bei D/Arts deiner Meinung nach besonders gut verlaufen und wo siehst du die größten Herausforderungen?

Was mir besonders gut an D/Arts gefällt, ist, dass es die Transformation, sozusagen Neu/-und Umgestaltung des Kulturbetriebs anstrebt – als eine aufrichtige Stelle für sowie mit Kunst- und Kulturschaffende/n. Es wird ein vielfältiges Programm in Form von Diskussionen, Konferenzen, Workshops oder Kunstproduktionen angeboten und mit Expert:innen und Netzwerkpartner:innen umgesetzt. Einer der wichtigsten Punkte der Diversitätsentwicklung im Kulturbetrieb ist es, diskriminierungs- und rassismusfreie/re Räume zu schaffen. D/Arts weist darauf hin und thematisiert, was bei einer sehr privilegierten und männlich weiß dominierten Kulturlandschaft die Herausforderungen sind.

Es ist wichtig, Differenzen anzuerkennen und gleichzeitig Raum für das Entdecken von Gemeinsamkeiten zu schaffen und in Folge wunderschöne Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten zu akzeptieren und zu respektieren.

Was verstehst du unter Diversität? Auf welche Konzepte und theoretische Bezüge greifst du zurück?

Ich bin sichtbar und meine Biographie, die intersektional ist, auch. Diversität, das bin ich. Diversität war schon immer da. Sie muss sozusagen nicht neu erfunden werden. Sie ist die Gesellschaft. Diversität anzuerkennen, bedeutet, alle Menschen unabhängig von ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung, ihrem Lebensalter, ihrer physischen oder psychischen Fähigkeiten anzuerkennen und wertzuschätzen. Diversität ist ein zentraler Bestandteil des künstlerischen Prozesses, treibt diesen voran und bringt Menschen zusammen. Es ist wichtig, Differenzen anzuerkennen und gleichzeitig Raum für das Entdecken von Gemeinsamkeiten zu schaffen und in Folge wunderschöne Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten zu akzeptieren und zu respektieren.

Es ist aber auch so, dass dieser Begriff immer öfter Teil einer Marketingstrategie wird. Institute, Unternehmen oder NGOs stellen Minderheiten ein oder ‚benötigen‘ für Marketingkampagnen Bilder von BIPOC. Problematisch wird es, wenn Tokenism und „Woke-Washing“ angewandt werden – also ein positives Bild schaffen zu wollen, dass nur den PR-Aktionen dient, mit der Hoffnung dadurch einer großen Reichweite zu erzielen. Von Woke-Washing spricht man, wenn ein Unternehmen, eine Institution oder eine Einzelperson etwas sagt oder tut, dass ihr Eintreten für eine soziale Sache signalisiert, wie eben das Einstehen gegen u.a. rassistische und sexistische Diskriminierung, gleichzeitig aber selbst gegensätzlich oder gar nicht handelt.

In sich diskriminierend können diese Diversity-Kampagnen dann sein, wenn sie nur auserwählte und für sie brauchbare Menschen als divers darstellen. Häufig aber, wenn eine sichtbare muslimische Person of Color mit Kopfbedeckung für eine Kampagne vorspricht, wird diese abgewiesen, weil man damit sozusagen die Kund:innenschaft oder die Klient:innen abschrecken oder gar verlieren könnte.

Zehra Baraçkılıç, Dilan Sengül ( 2022): „Kunst als Sprache muss nicht den gesellschaftlichen Normen oder Sitten entsprechen“. Zehra Baraçkılıç im Gespräch mit Dilan Şengül. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/kunst-als-sprache-muss-nicht-den-gesellschaftlichen-normen-oder-sitten-entsprechen/