Das Regionalmuseum als lokaler Treffpunkt und Ort mutiger, kritischer Fragen

Museumsleiterin Ingrid Weydemann spricht mit Anita Moser über die Rolle von Regionalmuseen, Beispiele kultureller Teilhabe und kulturpolitische Forderungen

Seit 1991 leitet Ingrid Weydemann das Museum Fronfeste in der Salzburger Gemeinde Neumarkt am Wallersee, das sie nicht als ein ‚normales‘ Heimatmuseum, sondern als Drehscheibe und Treffpunkt vor Ort positionieren möchte. Auf dabei umgesetzte Ansätze kultureller Teilhabe, auf die kritische und gesellschaftspolitische Rolle von Museen sowie zentrale kulturpolitische Forderungen für ländliche Räume geht sie im folgenden Gespräch ein.

Wie wird im Museum Fronfeste kulturelle Teilhabe umgesetzt?

Kulturelle Teilhabe ist ein dehnbarer Begriff. Wir haben viele verschiedene Ansätze zu dieser Thematik: Das beginnt damit, dass wir Asylwerber bereits seit über 26 Jahren einladen, ins Museum zu kommen und es als Treffpunkt abseits von Deutschkursen zu nutzen. Dabei steht der Kulturaustausch im Vordergrund – sich zu treffen, Spaß zu haben, zu erkennen, wie die Geschichte bei uns verlaufen ist. Asylwerber erzählen von ihren Ländern und ihren Erfahrungen. Das macht uns wiederum vieles verständlich – von der Geschichte, von Krieg, von Flucht zum Beispiel. Ich denke, das ist eine kulturelle Teilhabe, die wir auf einer gemeinsamen Augenhöhe ermöglichen. Sich auf Augenhöhe zu begegnen, ist uns wichtig und zieht sich als Schlagwort durch.

Wir haben auch Vermittlungsprogramme für Kinder, Schulen und Erwachsene, Workshops, Vorträge und Partizipationsprozesse. Wir machen Projekte, bei denen wir mal eine Schule, mal die Bevölkerung einladen, sich daran zu beteiligen und damit die Sichtweise auf die Geschichte des Ortes, der Region und darüber hinaus mitzugestalten, eine eigene Wahrheit zu finden und nicht nur Gegebenes unflektiert zu übernehmen.

Es gibt bei uns auch viele Projekte im Außenbereich. Wir haben einen Schanzwallweg kreiert, wo wir mit der Bevölkerung ein brachliegendes Denkmal wiederbelebt haben. Dort – und nicht im Museum – zeigen wir die Geschichte Neumarkts, weil die Menschen sich auf den Weg machen sollen, Geschichte, ihre Umwelt und ihr Umfeld zu entdecken und ihre eigenen Erfahrungen damit zu machen. Museum muss nicht in einem Gebäude, sondern kann überall stattfinden.

 

Das Museum als Ort mutiger und kritischer Fragen

Wie würden Sie die Rolle eines Museums in einem Ort wie Neumarkt beschreiben?

Unser Museum ist enorm wichtig als Drehscheibe für alle möglichen Themen, ob das zeitgenössische Kunst ist, Architektur, also die Baukultur hier im Ort, Fotografie, objektbezogene oder themenbezogene Ausstellungen. Das alles muss hier Platz haben, vor allem aber auch die Möglichkeit, kritische und mutige Fragen zu stellen und die Menschen aufzurütteln.

Es gibt die ICOM-Richtlinien*1 *(1), die alle Museen befolgen, aber es geht in Zukunft um weit mehr: Gerade jetzt ist es wichtig, gesellschaftspolitische Themen aufzugreifen, mit der Vergangenheit zu verbinden, die Gegenwart zu sehen und für die Zukunft daraus etwas zu machen und Wege zu eröffnen, die sich sonst nicht auftun würden. Ein Museum ist ein Ort, wo das stattfinden kann.

Als wir vorhin durch die Ausstellung gegangen sind, sagten Sie, es gebe Überlegungen, das Haus neu zu denken. Was ist damit gemeint?

Ich habe von meinem Vorgänger eine Sammlung – oder Ansammlung würde ich es fast nennen – übernommen und diese zunächst fortgesetzt und gepflegt, schließlich aber beschlossen, nur noch gezielt zu sammeln. Einige sehr wertvolle Werke sind bereits Teil unserer Sammlung. Sie soll sich auch in Zukunft auf das Museum Fronfeste an diesem Ort Neumarkt konzentrieren, der im 13. Jahrhundert unter den Salzburger Erzbischöfen als wehrhafte Grenzstadt zum feindlichen Ausland Österreich und Bayern gegründet wurde. Das wird eine Säule der Sammlungsstrategie sein.

Hier in Neumarkt lebt der Künstler Hans Weyringer und Neumarkt soll eine ‚Weyringerstadt‘ werden. Das ist ein Novum – zeitgenössische Kunst im Gemeindeleben ist nicht alltäglich. Man weiß auch, dass hier in Neumarkt eine berühmte Künstlerwerkstätte war, wo Künstler, Bildhauer und Maler wie Schwanthaler, Guggenbichler, Jakob Gerold und so weiter tätig waren. Dieses Thema deckt sich eigentlich mit der Künstlerwerkstatt Weyringer und dabei gibt es viele Aspekte, die es jetzt gilt, ebenfalls in der Sammlungsstrategie festzuhalten.

Was fällt Ihnen in diesem Zusammenhang zum Stichwort Tourismus ein?

Ich beschäftige mich mit dem Thema schon sehr lange und dabei natürlich auch mit der akuten Frage des Massentourismus in Salzburg. Kulturpolitik muss in die Richtung denken, diesen Tourismus mit neuen Zentren und Frequenzbringern auch aufs Land zu bringen und nicht nur in der Stadt in dem großen Ausmaß Kultur anzubieten und zu fördern. Als Vorsitzende des Landeskulturbeirats bin ich sehr nahe an dem Thema dran, auch in meiner Funktion im Landesverband Salzburger Museen und Sammlungen.

Wenn man die Auseinandersetzung der zeitgenössischen Kunst von heute mit der zeitgenössischen Kunst von damals zu einem Schwerpunkt entwickeln kann und das seitens der Politik und der Gemeinde unterstützt wird – wozu es in Neumarkt bereits eine Willensbekundung und einen Beschluss gibt –, dann kann auch der Tourismus hier wieder aufleben.

Viele Themen von Ausstellungen und Projekten auf dem Land werden an den Haaren herbeigezogen, oft erscheint das wie ein Ausverkauf. Es würde helfen, solche Schwerpunktthemen auf dem Land zu positionieren, die kritisch sind, hinterfragen und interdisziplinär angepackt werden, wie es auch im Kulturentwicklungsplan des Landes Salzburg steht. Damit kann man etwas schaffen, was nicht nur für Touristen wichtig ist, sondern auch für Einheimische.

Noch einmal zurück zur kulturellen Teilhabe: Gibt es Menschen, die bis jetzt noch nicht teilhaben konnten?

Wir sind leider kein inklusives Museum. Wir haben mit den Räumlichkeiten große Schwierigkeiten – mit den Treppen, den engen Gängen, den engen Türöffnungen. Es ist ein Gebäude aus dem Jahr 1589. Dieses umzubauen würde auch denkmalpflegerisch einige Schwierigkeiten mit sich bringen. Wie immer sind hier auch die Finanzen ein Problem. Man könnte natürlich Programme entwickeln für Blinde, für Gehörlose, für Menschen mit Behinderung. Es fehlt uns auch immer noch die Leichte Sprache im Museum. Es gäbe vieles, was man machen könnte, was aber mit finanziellen Mitteln verbunden ist, die wir nicht zur Verfügung haben.

Gibt es diesbezüglich ein kulturpolitisches Umdenken und Pläne für die Zukunft?

Im Land Salzburg schon. Es gab eine Kick-off-Veranstaltung für die inklusive Gesellschaft, wo alle Abteilungen des Landes eingeladen wurden und auch ExpertInnen, Meinungsbildner und AkteurInnen aus den verschiedenen Bereichen. Ich glaube, das war ein großer Schritt nach vorne.

Es geht aber nicht nur um monetäre Schritte, sondern manchmal auch um ein Umdenken. Es geht um eine Änderung im Auftreten, in der Sprache und es geht vor allem um die Einbindung der Menschen. Nicht etwas über sie oder für sie sondern mit ihnen zu machen. Das habe ich bei der Kick-off-Veranstaltung ein bisschen vermisst. Viele der Beteiligten wurden nicht so ernstgenommen, weil sie der Sprache nicht so mächtig sind, wie jemand, der das studiert hat. Da gibt es noch ganz viel aufzuholen und zu tun.

 

Geschichte am eigenen Leib erfahren

Können Sie ein Beispiel – aus Salzburg oder darüber hinaus – für einen besonders gelungenen Versuch kultureller Teilhabe nennen und eines für ein gescheitertes Projekt?

Thorsten Sadowsky hat auf einer Insel in Norddeutschland ein Museum für zeitgenössische Kunst geleitet und erzählt, dass er mit den Menschen auf der Insel in Kontakt gekommen ist und wollte, dass es auch ihr Museum ist. Er hat sie eingeladen, Guerilla Knitting zu machen. Es wurden mit der Bevölkerung Steine umstrickt und diese bunten Steine lagen dann am Meer. Das ist ein einfacher, niedrigschwelliger Zugang zu Kunst. Elisabeth Schneider hat in Radstadt auch ein Guerilla-Knitting-Projekt gemacht.

Wir hatten einmal ein Schulprogramm, bei dem es um Zivilcourage ging. Ab wann ist man im strafbaren Bereich? Wie weit geht das? Wie kann man das erfahren? Wir haben den SchülerInnen gesagt, dass sie Barrieren im öffentlichen Raum aufstellen können. Stühle, Tische und alles, was sie bei uns finden, dürfen sie raustragen und aufstellen. Es war sehr spannend, wie die Menschen darauf reagiert haben. Manche haben gesagt: „Wie früher. Eine Maut haben wir zahlen müssen. Wir zahlen euch eh etwas, wenn wir durchgehen dürfen.“ Andere haben sich furchtbar aufgeregt und gesagt: „Da holen wir die Polizei! So etwas geht nicht, ihr könnt hier nicht einfach zusperren!“ Die Polizei war natürlich informiert. Wieder andere sind still und leise auf die andere Straßenseite gegangen – sie haben das Hindernis umgangen. Eine Frau ist wirklich böse geworden, weil ihre Geschäftstüre verbarrikadiert wurde. Das war ein Fehler. Meine Kulturvermittlerin hat anschließend gesagt, sie macht das Programm nicht mehr. Sie könne das nach außen hin nicht vertreten.

Wir haben den Schülerinnen und Schülern Feedback gegeben, das auch in der Ausstellung gezeigt wurde. Wo habe ich eine Grenze überschritten? Über die eigenen Erfahrungen haben wir einen historischen Bezug hergestellt: Wie kann man heute behaupten, dass jemand im Nationalsozialismus ein Held war und dass er viele Juden gerettet hat? Haben die Widerstandskämpfer etwas falsch gemacht, gegen das Gesetz verstoßen oder einfach nur menschlich gehandelt und sogar Menschenleben gerettet? Paul Watzlawick hat hier in Neumarkt zum Beispiel die Berichte der Kriegsgefangenen falsch übersetzt, um diese vor dem Konzentrationslager zu retten und ist dafür auch angeklagt worden. Dass der Krieg dann zu Ende war, hat ihm das Leben gerettet. Wann bin ich mit einem Fuß im Gefängnis? Solche Grenzerfahrungen haben die Schüler machen können. Das ist kulturelle Teilhabe, wo ich Geschichte am eigenen Leib erfahren und merken kann, wann etwas zu weit geht, wann ich etwas für mich nicht mehr vertreten kann.

Kennen Sie auch ein Projekt, das nicht funktionierte?

Das eben genannte Projekt. Es hat ja zum Teil auch nicht funktioniert, da die Kulturvermittlerin ausgestiegen ist und es dann eingestellt wurde. Oft wird bei Projekten der Level zu hoch gelegt, so dass die Menschen nicht kommen. Das Zusammenspiel von Projektidee, Sprache und Marketing ist enorm wichtig. Wenn man das nicht richtig trifft, ist ein Projekt von vornherein nicht durchführbar, weil es mangels BesucherInnen nicht umgesetzt werden kann.

In unserem Forschungsprojekt interessieren uns auch digitale Möglichkeiten in Bezug auf kulturelle Teilhabe. Spielt das Thema hier im Museum eine Rolle?

Museen haben die große Möglichkeit, mit einem authentischen Objekt und mit seinen Räumlichkeiten einen Funken überspringen zu lassen, den man mit digitalen Medien in dieser Form nicht hat.

Für das Haus der Geschichte Österreichs haben wir das digitale Projekt Zivilcourage gemacht. Dazu sind wir mit fünf anderen Institutionen in Österreich eingeladen worden und haben gemeinsam mit gold extra, dem Studio West und einer Schule ein Augmented-Reality-Projekt umgesetzt: Was bedeutet für mich Zivilcourage und wo sehe ich das in meinem Alltag? Wo beginnt das? Es wurde ein richtig großes Projekt, weil die SchülerInnen sich absolut damit identifiziert haben, über das Thema, das für sie am interessantesten war, einen Film machen zu können und auch noch durch Augmented Reality zum Leben zu erwecken. Sie waren begeistert, dass sie das Know-how bekommen haben, so etwas herzustellen. Wir hatten dann eine große Ausstellung – in der Schule und auch hier im Museum.

Man merkt, dass SchülerInnen dieser digitale Zugang leichter fällt. Er ist ohne Hemmschwelle. Sie haben das Handy dabei, legen es über das Bild und am Handy beginnt sich etwas zu bewegen und die Geschichte zu erzählen. Das könnte man noch viel weiter ausbauen. Es geht aber um Maß und Ziel.

Ich glaube, dass Beteiligungsprojekte wichtige Möglichkeiten sind, nicht nur zu konsumieren, sondern auch selbst etwas herzustellen und Erfahrungen damit zu machen wie „Was kann ich damit bewirken?“, „Was kann ich damit in Bewegung setzen?“

Und wo es auch wieder um eine Form des Zusammenseins geht.

 

Das Museum als Drehscheibe und Treffpunkt

Genau. Das ist auch hier im Haus ein wichtiges Moment: das Museum als Drehscheibe und Treffpunkt.

Wir waren eines der ersten Museen neben der Nationalbibliothek, die digital inventarisiert haben, damals noch auf Apple. Dann waren wir eines der ersten, die einen virtuellen Rundgang durch das Museum hatten. Wir haben damit immer gute Erfahrungen gemacht und auch neue Besucherschichten angesprochen, diese Formate dann aber auch wieder etwas hintangestellt. Dabei liegt es auch an fehlenden finanziellen Mitteln, dass man nicht alles ausschöpfen kann.

Mit Projektionen würde ich gern viel mehr machen, auch in Verbindung mit dem Internet ‑ digitale Räume schaffen, die man betreten kann, um sich in andere Welten oder Zeiten zu versetzen. Wir haben früher mit der Ars Electronica zusammengearbeitet, so eine Kooperation ist aber teuer. Wir bleiben also bei unseren kleinen Geschichten und hoffen, dass es eben auch so funktioniert.

Als Vorsitzende des Landeskulturbeirats haben Sie einen guten Einblick in die Salzburger Förderlandschaft. Wie beurteilen Sie diese? Welche Erfahrungen gibt es damit, auch in Bezug auf das eigene Museum?

Ich glaube, das Land Salzburg hat eine gut aufbereitete Förderlandschaft. Die Schwierigkeit für kleinere Institutionen, Vereine und KünstlerInnen ist, dass in der Kulturarbeit der Eigenmittelanteil immer noch sehr hoch ist. Für Projekte ist auch die Vorfinanzierung ein Problem. Da gäbe es einiges aufzuholen. Wir sind durch den Kulturentwicklungsplan des Landes Salzburg gerade bei der Aufarbeitung dieser Probleme, auch die Kulturverwaltung arbeitet daran. Ich glaube, dass es noch mehr Beratungen und Beratungsstellen bräuchte: Welche Förderungen gibt es überhaupt? Welche Förderungen gibt es im Bund und in der EU?

Kreative oder künstlerische Projekte bei LEADER einzureichen, ist zum Beispiel schier unmöglich, weil es große Missverständnisse gibt. Inzwischen wird zwar ein Teil der Konzeptarbeit gefördert. Die Antragstellung an sich muss man aber immer noch unter Ausnutzung von Menschen machen, weil sie nicht bezahlt wird und damit für viele Vereine oder kreative Menschen nicht leistbar ist.

Budgets für Kulturarbeit haben aber auch etwas mit den Gemeinden zu tun. Es müssten kulturpolitische Weichen in der Kommunalpolitik gestellt werden. In den Kommunen gibt es viele Pflichtaufgaben, die immer oberste Priorität haben. Ich glaube aber, dass eine gute Straße genauso wichtig wie eine gute Kulturplattform ist, wenn man die soziokulturellen Aspekte mitbedenkt. Den gesellschaftspolitischen Ansatz, den zeitgenössische Kunst erfüllt, müsste man in die Köpfe der Bürgermeister bringen. Es bräuchte auch so etwas wie einen Kultureuro, also dass Gemeinden pro Einwohner jährlich ein bis drei Euro einheben und der Kultur zukommen lassen.

Wichtig wäre außerdem, dass gerade auch talentierte Künstler und Künstlerinnen vor Ort unterstützt werden. Man sollte nicht nach dem Gießkannenprinzip fördern, sondern schauen, was Qualität hat. Aber dafür braucht es überhaupt einmal ein eigenes Kulturbudget auf Gemeindeebene.

 

„Wir brauchen Empfehlungen für die Kommunalpolitiker“

Gibt es weitere Forderungen oder konkrete Empfehlungen von Ihnen an die Kulturpolitik?

Ich glaube, am wichtigsten wäre eine Hilfestellung für AnfängerInnen, wenn sie das erste Mal einreichen. Man müsste die Menschen einladen, Projekte einzureichen, und mit ihnen gemeinsam diesen ersten Schritt machen, damit sie nicht von vornherein wegen formaler Fehler ausgeschlossen werden. Dafür braucht es aber Personal und das ist schlichtweg nicht da. Das heißt, Einsparungen beim Personal hemmen die Kreativität und künstlerische Tätigkeit eines Bundeslandes und der Menschen, die darin wohnen. Da glaube ich, wird am falschen Fleck gespart. Das zieht sich durch viele Abteilungen, nicht nur durch die Kultur.

Wir brauchen auch Empfehlungen für die Kommunalpolitiker. Ich bin im Vorstand des österreichischen Museumsbundes und dort gibt es derzeit die Empfehlung für Kommunalpolitiker, die im Kulturausschuss oder als Kultursprecher tätig sind, im Zuge eines Lehrgangs in einer Kulturinstitution, in einem Museum hinter die Kulissen zu schauen, damit sie sehen, was diese Arbeit beinhaltet. Durch die dabei gewonnenen Erkenntnisse sollte auch das Verständnis für die Geldsorgen größer werden – und vielleicht wird dann mehr Geld für Kulturarbeit zur Verfügung gestellt.

Welche anderen Hürden und Schwierigkeiten sehen Sie in Bezug auf Kulturarbeit in ländlichen Räumen?

Da gibt es ein Stichwort: Ehrenamtlichkeit. Ich bin schon lange eine Verfechterin dessen, dass es hauptamtliche Mitarbeiter geben muss. Vereine sind wichtig, ehrenamtliche Mitarbeit ist wichtig, aber es gibt Muss-Aufgaben und Qualitätsstandards in der Kultur, die zu erfüllen sind und die man ehrenamtlich nicht mehr schafft. Da geht es vielfach um Ausbeutung der Menschen, der AkteurInnen, der KünstlerInnen. Dem muss ein Riegel vorgeschoben werden, indem man hauptamtliche MitarbeiterInnen installiert.

Wir sind gerade im Salzburger Landeskulturbeirat dabei, mit verschiedenen Institutionen in den Regionen, dem Salzburger Bildungswerk und dem Dachverband Salzburger Kulturstätten für die Regionen Kulturkoordinationsstellen aufzubauen. Dort soll man sich beraten lassen können und Know-how bekommen. Dort sollte es jemanden geben, der Marketing für mehrere Museen macht, und wo Fortbildungen stattfinden. Diese Hilfestellungen sind wichtig, damit Projektideen professionell umgesetzt werden können. Die Ehrenamtlichen könnten sich dann auf ihre Talente und Interessen konzentrieren. In den Gemeinden gibt es inzwischen schon ein Umdenken, weil die GemeindemitarbeiterInnen diese Hilfestellung nicht leisten können. Es braucht eine Mischform und daran arbeiten wir.

Es gibt bereits Beispiele im Land Salzburg, wo das funktioniert. In Mittersill gibt es für drei Museen eine hauptamtliche Mitarbeiterin. Beim internationalen Museumstag hatten diese mit ihren Programmen ganz andere Besucherzahlen als bisher. Das ist natürlich nicht das Wichtigste, aber in diesem Fall ist diese Außenwirkung ein wichtiger Faktor. Das erste Querbeet-Projekt, das in Salzburger Gemeinden umgesetzt wurde, ist ein weiteres Beispiel. Diese Gemeinden haben das Projekt inklusive Mitarbeiter oder Mitarbeiterin übernommen und gemerkt, wie gewinnbringend es für eine Region sein kann, wenn man so ein Projekt auch wirklich ernst nimmt.

Wir arbeiten daran, für alle LEADER-Regionen im Land Salzburg einen Kulturmanager zu installieren. Dafür haben wir den Namen Drehscheibe Kultur gewählt. Man muss Schnittmengen in der Infrastruktur herausarbeiten, also schauen, wo es zum Beispiel bereits Einrichtungen gibt, an die man sich anhängen könnte.

Räumlichkeiten sind auch ein wichtiges Thema am Land. Man muss sich auch einmal trauen, etwas Neues zu bauen oder ein Gebäude für Kunst und Kultur zu adaptieren. Der Mut zur Kultur ist ein wichtiger Faktor. Da rede ich jetzt nicht nur von Neumarkt, sondern auch von anderen Orten. Was könnte man schaffen, um gemeinsam Kulturräume zu eröffnen?

Gibt es einen bestimmten Kunst- oder Kulturbegriff, mit dem Sie arbeiten? Oder werden hier Diskussionen darüber geführt, was Kunst und Kultur sind?

Diese Diskussion ist immer wieder da. Wir haben schon mit einem Künstler die ganze Fassade verhängt: „Was ist Kunst und was ist Kultur?“ Ich glaube, das ist nicht ausdiskutierbar. Man muss es einfach halten und begreifbar machen, was man für die einzelnen Projekte oder Ausstellung darunter versteht.

Für mich ist die zeitgenössische Kunst ein wichtiger Faktor. Ich schaue immer, dass ich auch KünstlerInnen in unserem Museum ausstelle. Ich bin stellvertretende Vorsitzende des Landesverbands Salzburger Museen und Sammlungen und dort für die Weiterbildung zuständig. Als Thema für dieses Jahr habe ich mir vorgenommen: Was bedeutet Heimatmuseum in Verbindung mit zeitgenössischer Kunst? Ab wann ist etwas Kunst und ab wann Hobbykunst? Wie gehe ich damit um? Was stelle ich in meinem Haus aus? Wie kuratiere ich solche Ausstellungen? Hole ich jemanden von auswärts oder mache ich das selbst? Habe ich das Know-how dazu? Das sind grundsätzliche Fragen, wo es viel zu klären gibt. In den Regionalmuseen könnte man hier sehr viel aufbauen.

 

„Das Wichtigste im Museum ist, allen auf Augenhöhe zu begegnen.“

Spielen Diversity-Ansätze hier im Museum eine Rolle? Wird bewusst versucht, auf unterschiedlichen Ebenen Vielfalt zu ermöglichen?

Ich bin immer auf der Suche nach Projekten, durch die ich das Museum den Menschen öffne, die eben nicht kommen würden, wenn wir ein normales Heimatmuseum oder ein normales geschichtliches Museum wären. Das beginnt damit, wer welche Inhalte anbietet und wie die Herangehensweise ist. Beim Personal selbst haben wir von der Vielfalt her ehrenamtliche und hauptamtliche Angestellte. Das Begegnungscafé findet jeden Montag im Haus statt. Dort treffen sich Menschen unterschiedlichster Herkunft und von unterschiedlichstem Bildungsstandard bei Kaffee und Kuchen. Dabei tun sich wieder neue Formate auf – Workshops oder auch einmal ein Zine-Abend, wo sich Leute begegnen und Kulturen sich austauschen können.

Wir bieten für Asylwerber auch etwas zum Krampusthema an, indem wir am Krampustag den Krampus und den Nikolaus einladen und erklären, was da passiert.

Warum gibt es sie überhaupt? Muss man Angst haben, wenn diese Hundertschaften durch Neumarkt rennen? Einige der Menschen mit migrantischem Hintergrund übersetzen und machen Führungen im Museum. Sie leiten auch Workshops zur Thematik der jeweiligen Ausstellungen und das funktioniert sehr gut. Das sind aber sehr spontane Sachen, die sich oft aus der Situation heraus ergeben.

Das Wichtigste im Museum ist, allen auf Augenhöhe zu begegnen. Das beginnt bei den Krampuspassen, bei den Bauern, bei den Handwerkern, die wir fallweise einladen. Das beginnt schon allein bei den Vorträgen. Wer kommt zu welchem Vortrag und wer ist der Vortragende?

An unserem Museum wurde der Agenda-21-Prozess begonnen und wir haben zum Beispiel gemeinsam mit der Robert-Jungk-Zukunftsbibliothek eine Veranstaltung gemacht, bei der wir versuchten, die Vielfalt in der Natur in Verbindung mit Kultur zu bringen. Woher kommen unsere Lebensmittel – der Kohlkopf, der Apfel, die Kartoffel –, die hier eine neue Heimat gefunden haben? Wir haben viele Jahre den interkulturellen Garten vom Museum aus betrieben. Da kamen Menschen zusammen und tauschten sich über das Gärtnern aus, also auch über Kultur. Die älteste Kultur ist, etwas anzubauen, zu ernten und zu essen. Wir haben die GemeindepolitikerInnen eingeladen, im interkulturellen Garten eine Kommunalkartoffel zu setzen. Dann haben wir gemeinsam geerntet und ihnen Pommes frites, Chips und alles, was aus den Kartoffeln gemacht wurde, zur Gemeindesitzung gebracht. Es gibt viele solcher kleinen Formate und Aspekte, die wir einfach leben.

Wir haben hier im Museum auch die Plattform Neumarkt für Menschen gegründet, die Leute aus Neumarkt und Umgebung vereinigt, die sich in der Asylthematik engagieren. Damals hatten wir eine Praktikantin, die später Sozialarbeit studierte. Die Gemeinde meinte, wir hätten so viele Flüchtlinge und da müssten wir uns etwas überlegen. Das war während der sogenannten ‚Flüchtlingskrise‘, wie man es jetzt nennt. Ich habe es nicht so empfunden. Die Gemeinde hat jemanden für ein dreiviertel Jahr bezahlt, der sich Best-Practice-Beispiele angeschaut und überlegt hat, welche davon man in Neumarkt umsetzen kann. Eine Gruppe, die bereits Deutsch unterrichtet hat, hat dieses Angebot dann hier im Museum installiert.

Gibt es einen Schlüssel für diese Kommunikation auf Augenhöhe? Sind das bestimmte Formate, ein bestimmter sprachlicher Umgang, dass man sich persönlich trifft oder ist es eine Mischung aus dem Ganzen?

Es ist sicher eine Mischung aus dem Ganzen. Das Wichtigste ist, die Menschen ernst zu nehmen und einen gemeinsamen Raum zu haben, der nicht vorbelastet ist, der weder in der Gemeinde noch in der Schule, sondern einfach ein freier Raum ist. So ein Raum ist unser Museum. Wir haben zum Beispiel internationale Spiele ausgetauscht und uns wochenlang nur zum Spielen im Innenhof des Hauses getroffen. Hier haben wir einen großen Rahmen mit Sand gemacht und Wüstenspiele gespielt. Das Besondere ist, dass die Menschen, wenn man sie ernst nimmt – egal woher sie kommen, – Engagement und Ideenreichtum entwickeln. Das müsste in den Alltag übergehen. Diese Form des Zusammenlebens und Zusammentreffens ist inzwischen auch ein wichtiger Faktor für Neumarkt geworden.

Wenn die Köpfe offen sind, ohne von vornherein zu werten, kann man viel umsetzen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Die Ethischen Richtlinien für Museen des International Council of Museums (ICOM) bilden eine zentrale Grundlage der professionellen Arbeit von Museen und Museumsfachleuten. Man kann sie hier downloaden: http://icom-oesterreich.at/publikationen/icom-code-ethics (20.9.2019)

Anita Moser, Ingrid Weydemann ( 2019): Das Regionalmuseum als lokaler Treffpunkt und Ort mutiger, kritischer Fragen. Museumsleiterin Ingrid Weydemann spricht mit Anita Moser über die Rolle von Regionalmuseen, Beispiele kultureller Teilhabe und kulturpolitische Forderungen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/das-regionalmuseum-als-lokaler-treffpunkt-und-ort-mutiger-kritischer-fragen/