„Wo ist ein Migrant der Boss und sagt: ‚Das ist zu weiß.’?“

Das Duo EsRap, bestehend aus den Geschwistern Esra und Enes Özmen, im Gespräch mit Dilara Akarçeşme

Das Duo EsRap, bestehend aus den Geschwistern Esra und Enes Özmen, nutzt Hip-Hop unter anderem als Medium, um Kritik an bestehenden gesellschaftlichen Strukturen und Machtverhältnissen zu äußern. Die Wahrnehmung EsRaps als Kunstprojekt, so Esra, war ihrerseits nie intendiert, sondern wurde ihnen stets zugeschrieben. Diese Erfahrung war für das Duo, das sich im Kunst- und Kulturbereich aus nicht-privilegierten Kreisen heraus bewegt, immer bezeichnend. Nun versuchen sie, durch Workshops und gezielte Jugendarbeit dem Ausschluss Marginalisierter in Kunst und Kultur entgegenzuwirken.

Wie setzt ihr in euren Projekten kulturelle Teilhabe um?

Esra Özmen: Weil wir einen migrantischen Background haben und unsere politische Arbeit sich auf Migration beruft, ist die Teilhabe in unseren Projekten sehr bunt gemischt. Wir machen Rapmusik, und unsere Kunst- und Kulturarbeit sind auch Rap-Workshops. Die Teilhabe ist durchaus sehr migrantisch. Wenn ich einen Rap-Workshop machen würde und nur Mehrheitsösterreicher kämen, würde ich schauen, wie ich noch andere Leute an Bord holen kann. Ich würde mir überlegen, zu wem ich hingehen und mobilisieren könnte. Ich persönlich war ein einfacher Migrant. Dann habe ich an der Akademie der Bildenden Künste studiert. Jetzt bin ich politisiert (lacht).

Enes Özmen: Du meinst, dass Migranten einfach sind?

Esra Özmen: Ja, einfach zum Hin- und Herziehen. Man muss ein bisschen Wissen und Erfahrung haben, damit man sich nicht hin- und herziehen lässt.

Inwiefern?

Esra Özmen: Wir haben von zu Hause mitbekommen, dass Mensch Mensch ist und dass alle dieselben Rechte haben sollten. Das war unser politisches Statement. Wir hatten aber dieses politische Wissen nicht, was Migration ist, was Integration ist und was Kultursachen sind. Dann haben wir eben begonnen, Musik zu machen und wurden einmal dahin gezogen und einmal dorthin. Es wurde dann gesagt: „Wow, ihr seid die integrierten Türken, das ist ja super!“

Sebastian Kurz wollte uns als Integrationsbotschafter haben. Auf der anderen Seite gibt es die Leute aus der Akademie der Bildenden Künste, die sagen: „Integriert uns am Arsch! Wir sind gegen Integration.“ Da wirst du einfach hin- und hergezogen und weißt eigentlich auch nicht, was du selbst willst oder wie die Leute von der Zusammenarbeit mit dir profitieren wollen. Mir ist erst viel später bewusst geworden, dass wir die zahlreichen Auftritte damals vor allem wegen der Quote bekommen haben. Wir waren eine türkische Familie, aber nicht so konservativ. Der Bruder Enes singt, Esra rappt. Das entspricht nicht den Vorstellungen einer typischen türkischen Frau oder allgemein von Frauen und Männern. Da wurden wir wirklich hin- und hergezogen, bis wir dann selbst das politische Wissen bekommen haben. Ich habe das damals aus der Akademie der Bildenden Künste heraus und von sehr vielen Leuten aus der Community mitbekommen. Das waren etwa Marissa Lôbo sowie die Schwarze und die migrantische Community. Mit ihnen haben wir uns ausgetauscht und ich habe dann gemerkt, dass es ähnliche Erfahrungen sind, die wir machen.

Ich sage immer: „Eine Erfahrung, die wiederholt vorkommt, ist eine politische Erfahrung.“ Zum Beispiel hatte früher jeder von uns Ein-Zimmer-Küche-Wohnungen. Das war eine politische Erfahrung, weil wir die Gastarbeiterkinder waren. Diese Erfahrung hatten tausende türkische migrantische Kinder, die zusammen aufgewachsen sind.

Was waren die Entstehungsbedingungen von EsRap und den Workshops?

Esra Özmen: Es hat wirklich sehr früh begonnen. Unseren ersten Workshop hatten wir, als ich 17 und Enes 13 war. Wir waren damals Kinder. Das erzähle ich zum ersten Mal. Ich habe wirklich nur gerappt, weil mir davor immer von oben eine Identität aufgesetzt wurde, der ich dann zugestimmt habe. Der Gedanke, dass wir etwas zu Genderrollen machen, war überhaupt nicht dahinter. Ich war damals verliebt, habe Texte geschrieben und das Leben war irgendwie hart. Das wollte ich aber auf eine starke Art und Weise präsentieren. Normalerweise habe ich Gedichte geschrieben, und dann kam ich zu einem Jugendzentrum, in dem ein Mitarbeiter Rapper war. Die Gedichte haben sich dann in Rap umgewandelt. Ich wollte nicht so weinerlich sein, sondern stark.

Enes hat in der Familie immer schon gesungen und dann habe ich mir gedacht, dass wir das zusammen machen: Du singst und ich rappe. Nach unserem ersten Auftritt haben die Zeitungen geschrieben, dass das türkische Duo Geschlechterrollen ändert und abschafft. Das war alles nicht absichtlich. Niemand hat es so aufgenommen, dass es normal sein kann, wenn eine Frau rappt und der Mann singt. Es wurde immer so getan, als ob es ein Kunstprojekt wäre, aber EsRap war kein Kunstprojekt. Wir haben immer so getickt und das sollte unsere Musik repräsentieren. Aber wie gesagt, von oben wurde aus EsRap immer ein Kunstprojekt gemacht, das wir machen würden, weil wir das politisch für wichtig halten oder so.

Gemeint ist die ÖVP-FPÖ-Regierung vor dem Aufkommen der Ibiza-Affäre bzw. dem Misstrauensantrag.

Back Bone ist die Mobile Jugendarbeit im 20. Wiener Gemeindebezirk. https://www.backbone20.at/

Wiener Beratungsstelle für Mädchen und junge Frauen. https://sprungbrett.or.at/

Dilara Akarçeşme, Esra und Enes Özmen ( 2019): „Wo ist ein Migrant der Boss und sagt: ‚Das ist zu weiß.’?“. Das Duo EsRap, bestehend aus den Geschwistern Esra und Enes Özmen, im Gespräch mit Dilara Akarçeşme . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/wo-ist-ein-migrant-der-boss-und-sagt-das-ist-zu-weiss/