Digitalisierung als Tool zur Navigation durch ausschließende Kunst- und Kulturwelten im Kontext von Migration & Alter

Im Zuge des laufenden Forschungsprojektes Kulturelle Teilhabe in Salzburg: Grundlagen, Möglichkeiten, Herausforderungen, Strategien führen wir als Team des Programmbereichs Zeitgenössische Kunst und Kulturproduktion im Rahmen des Schwerpunktes Wissenschaft und Kunst Interviews mit Expert*innen*1 *(1) aus dem partizipativ angelegten Kunst- und Kulturbereich durch, um uns an die Inklusions- und Exklusionsmechanismen für die kulturelle Teilhabe allgemein, jedoch auch für spezifische Personengruppen in Salzburg und darüber hinaus anzunähern. In den Interviews kristallisierte sich heraus, dass Digitalisierung aktuell eine überaus relevante Kategorie für Kulturschaffende, Kulturvermittler*innen sowie Kulturarbeiter*innen darstellt, um einerseits die eigene Kunst- und Kulturproduktion unabhängig von Institutionen einem breiten Publikum zugänglich zu machen und andererseits flächendeckendere Teilhabemöglichkeiten zu erproben. Im Folgenden wird ersterer Aspekt im Kontext von Migration und letzterer im Kontext von Alter in ländlichen Regionen thematisiert und es werden Einblicke in aktuelle Forschungsergebnisse geliefert.*2 *(2)

Digitalisierung

Dass Digitalisierung, verstanden als Ablösung analoger Abläufe durch computergestützte Prozesse, die Lebenswelt des 21. Jahrhunderts maßgeblich prägt, bedarf keiner weiteren Ausführung. Auch und gerade in Sphären der gesellschaftlichen Bedeutungsproduktion machen Digitalisierung und das Internet besonders aufgrund neuer Visualisierungsmöglichkeiten Räume auf, die bisher utopisch erschienen (vgl. Baumgartinger/Akarçeşme/Hochleitner 2018;star (*4) Interview mit Young Krillin in dieser Ausgabe). Während Digitalisierung Gesellschaften zügig formt, hinken Diskussionen und Debatten diesen Entwicklungen hinterher, da gesellschaftliche Aushandlungsprozesse deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen als die sich exponentiell entwickelnde Sphäre der (digitalen) Technologien (vgl. dazu etwa Kurzweil 1999).star (*15)

Richtet man den Blick auf Zahlen bezüglich Internetnutzung in Österreich, wird ersichtlich, dass im Jahr 2018 bereits 87 Prozent der Bevölkerung das Internet nutzten (s. Grafik 1). Folgende Grafik zeigt, dass seit 2012 in allen Alterskohorten ein Anstieg in der Internetnutzung zu verzeichnen ist:

Grafik 1: Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/184967/umfrage/internet-nutzung-in-oesterreich-nach-alter/ (12.06.2019)

Grafik 1: Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/184967/umfrage/internet-nutzung-in-oesterreich-nach-alter/ (12.06.2019)

Die meisten Internetnutzenden sind in Österreich im Jahr 2018 die 14-49-Jährigen sowie die 30-39-Jährigen (100 Prozent). Diese Gruppen waren mit 99 bzw. 94 Prozent bereits 2012 regelmäßige Internetnutzende. Der größte Zuwachs zwischen 2012 und 2018 ist ab 50 Jahren zu verzeichnen, insbesondere bei den 60-69-Jährigen sowie Personen mit 70 Jahren und älter: Erstere nutzten im Jahr 2012 zu 63 Prozent das Internet, im Jahr 2018 bereits zu 70 Prozent. Während es in der Gruppe 70+ im Jahr 2012 noch 32 Prozent Internetnutzende gab, sind es 2018 bereits 50 Prozent.

Die am meisten aufgerufenen Webseiten in Österreich waren im März 2019 Google (93,21 Prozent), Facebook (79,57 Prozent) und schon an dritter Stelle die für kulturelle Produktionen besonders relevante Website YouTube (79,21 Prozent).*3 *(3)

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Ahmed, Sara (2012): On being included: Racism and Diversity in Institutional Life. Durham: Duke University Press.

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Akarçeşme, Dilara/Folie, Andrea (2018): „Das Dorf wird noch globaler werden“ ‑ Digitale Teilhabe, Potenziale und Herausforderungen im Rahmen regionaler Kulturarbeit in Salzburg. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #09. Online unter https://www.p-art-icipate.net/das-dorf-wird-noch-globaler-werden-digitale-teilhabe-potenziale-und-herausforderungen-im-rahmen-regionaler-kulturarbeit-in-salzburg/

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Baumgartinger, Persson Perry/Akarçeşme, Dilara/Al-Masri-Gutternig, Nadja/Daoudi-Rosenhammer, Monika (2018): Das inklusive Museum ‑ eine Frage von Kooperation und Vernetzung. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #09. Online unter https://www.p-art-icipate.net/das-inklusive-museum-%e2%80%91-eine-frage-von-kooperation-und-vernetzung/

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Baumgartinger, Persson Perry/Akarçeşme, Dilara/Hochleitner, Martin (2018): „Kultur für alle“ als emanzipatorische Praxis. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #09. Online unter https://www.p-art-icipate.net/kultur-fuer-alle-als-emanzipatorische-praxis/

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Baumgartinger, Persson Perry/ Akarçeşme, Dilara/ Zechenter, Karl (2018): Die Anwesenheit von anderen kulturellen Prägungen ist in Salzburg kein Thema.“ In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #09. Online unter https://www.p-art-icipate.net/die-anwesenheit-von-anderen-kulturellen-praegungen-ist-in-salzburg-kein-thema/

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Baumgartinger, Persson Perry/ Frketić, Vlatka (2019). Kritisches Diversity und Kulturarbeit: Wenn Aktivismus und Erfahrungswissen in den Mittelpunkt gerückt werden. In Zobl, Elke/Klaus, Elisabeth/Moser, Anita/Baumgartinger, Persson Perry (Hg.): Kultur produzieren. Künstlerische Praktiken und kritische kulturelle Produktion . Bielefeld: transcript, S. 195 – 216

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Blank, Grant/ Reisdorf, Bianca (2012): The participatory web: A user perspective on Web 2.0. Information Communication and Society, 15, 301-318.

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Boschner, Anna (2019): Graffiti sprühen im Stadtwerk. In: Salzburger Fenster, 17.06.2019. Online unter  https://www.salzburger-fenster.at/2019/06/17/graffiti-spruehen-im-stadtwerk/ (30.06.2019)

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Eggers, Maureen Maisha /Grada Kilomba/Peggy Piesche/ Arndt, Susan (Hg.) (2009): Mythen, Masken, Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Münster: unrast.

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El-Tayeb, Fatima (2016): Undeutsch: Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft. Bielefeld: transcript.

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Interview Anita Thanhofer, 04.06.2019, unveröffentlicht.

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Interview Diana Schmiderer, 12.02.2019, unveröffentlicht.

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Jenkins, Henry (2006): Confronting the Challenges of Participatory Culture Media Education for the 21st Century. The John D and Catherine T MacArthur Foundation Reports on Digital Media and Learning. Cambridge: The MIT Press.

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Karich, Swantje (2018): Rassismus im Kunstbetrieb. „Es kotzt uns an“. In: Die Welt, 12.12.2018. Online unter https://www.welt.de/kultur/article185319848/Rassismus-im-Kunstbetrieb-Es-kotzt-uns-an.html (17.07.2019)

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Kilomba, Grada (2008): Plantation Memories. Episodes of Everyday Racism. Münster: unrast.

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Kuria, Emily Ngubia (2015): Eingeschrieben. Zeichen setzen gegen Rassismus an deutschen Hochschulen. Berlin: w_orten & Meer.

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Kurzweil, Ray (1999): The Age of Spiritual Machines. When Computers Exceed Human Intelligence. New York: Penguin.

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Land Salzburg (2015): Räumliche Strukturanalyse des Landes Salzburg 2014/15. Salzburg.

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Lauterbach-Dannenberg, Nina (2019): Kulturelle Teilhabe Älterer in ländlichen Räumen – Ermöglichungsstrukturen schaffen durch Innovation, Vernetzung, Partizipation und Eigensinn. Kulturelle Bildung Online. Online unter https://www.kubi-online.de/artikel/kulturelle-teilhabe-aelterer-laendlichen-raeumen-ermoeglichungsstrukturen-schaffen-durch (25.05.2019)

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Lorch, Catrin (2018): „Ich habe mich wirklich widerlich benommen, keine Frage“. In: Die Süddeutsche, 06.12.2018. Online unter: https://www.sueddeutsche.de/kultur/kasper-koenig-kammerspiele-kritik-rassismus-kunst-1.4241822 (17.07.2019)

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Millard, Adele/ Loretta Baldassar/ Wilding, Raelene (2018): The significance of digital citizenship in the well-being of older migrants. Public Health 158, S. 144-48.

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Moser, Anita/ Karam, Abdullah (2018): “More communication, please!” Abdullah Karam im Gespräch mit Anita Moser über seine künstlerische Arbeit, das Potenzial von Computerspielen und Salzburg als Ort kultureller Teilhabe und Produktion In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #09. Online unter https://www.p-art-icipate.net/more-communication-please/

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Mysorekar, Sheila (2007): Widerstand. Poesie des Überlebens. In K. N. Ha, N. Lauré al Samarai, & S. Mysorekar (Hg.): re/visionen. Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland. Münster: Unrast, S. 339-346.

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Naveau, Manuela (2017): Crowd and Art – Kunst und Partizipation im Internet. Bielefeld: transcript.

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Ogette, Tupoka (2017): Exit Racism. Rassismuskritisch Denken lernen. Münster: unrast.

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Postscriptum Onur Bakış 25.07.2019, unveröffentlicht.

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Prensky, Marc (2001): Digital Natives, Digital Immigrants Part 1. On the Horizon 9. 1-6.

Hierbei handelt es sich um einen Expert*innenbegriff, der auch auf Erfahrungswissen basiert (vgl. dazu u.a. Baumgartinger/Frketić 2019)

Ein besonderer Dank gilt Persson Perry Baumgartinger für seine wertvollen Kommentare bei der Verfassung dieses Artikels.

Im Gegensatz zum Web 1.0 können Nutzer*innen im Web 2.0 eigenhändig partizipieren, ohne einer Programmiersprache mächtig zu sein (vgl. Blank/ Reisdorf 2012: 545).

Der Begriff Migrant*innen wird hier mit Vorbehalt verwendet und beschreibt die selbstbenannte Kategorie BIPOC, Black and Indigenous Persons/ People of color. Die Begriffe ‚Migrant*in‘ oder ‚Person mit Migrationshintergrund‘ machen den Unterschied in den Erfahrungen zwischen weißen und nicht-weißen Migrant*innen unsichtbar. Im gesellschaftlichen Sprachgebrauch werden weiße Migrant*innen eher als Expats bezeichnet, während nicht-weißen Personen der Begriff der Migration zugeschrieben wird, auch wenn diese keine unmittelbare Migrationserfahrung haben, wie etwa Rom*nja oder Schwarze Europäer*innen (vgl. Ogette 2017).

Der Begriff weiß, klein und kursiv geschrieben, beschreibt keine Identität. Er ist ein von Schwarzen Theoretiker*innen entwickelter analytischer Begriff, „um die Architektur weißer Dominanz- und Machtverhältnisse sowie die damit verknüpfte Ausübung rassistischer Systeme und Praktiken zu beschreiben. „Schwarz“ mit einem großen S geschrieben ist eine Selbstbezeichnung von Schwarzen Personen. Sie soll als Akt des Widerstands die von rassistischen Terminologien behaftete Identität von Schwarzen Personen zurückfordern (Eggers/Kilomba/Piesche/Arndt 2005: 13).

Das Rassismusverständnis dieses Artikels geht davon aus, dass Rassismus nicht nur „von Skinheads mit Baseballschlägern praktiziert wird, sondern auch von der dauergewellten Nachbarin nebenan“ (Mysorekar 2016: 339). In anderen Worten geht es um den strukturellen Rassismus westeuropäischer Prägung, der historisch gewachsen und in unsere täglichen Abläufe eingeschrieben ist (vgl. z.B. Kilomba 2008; Kuria 2015; El-Tayeb 2016 oder Ogette 2017).

Dilara Akarçeşme ( 2019): Digitalisierung als Tool zur Navigation durch ausschließende Kunst- und Kulturwelten im Kontext von Migration & Alter. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/digitalisierung-als-tool-zur-navigation-durch-ausschliessende-kunst-und-kulturwelten-im-kontext-von-migration-alter/