Digitalisierung als Tool zur Navigation durch ausschließende Kunst- und Kulturwelten im Kontext von Migration & Alter

Kulturelle Teilhabe aus Migrant*innenpositionen heraus

Die Ergebnisse unserer Interviews, insbesondere mit migrantischen Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen zeigen auf, dass Migrant*innen*5 *(5) klar von der Rezeption sowie Produktion von Kunst und Kultur in Salzburg bzw. allgemein in Österreich ausgeschlossen sind (vgl. die Interviews mit Bakış, EsRap sowie Lôbo/Seefranz in dieser Ausgabe sowie Baumgartinger/Akarçeşme/Al-Masri-Gutternig/Daudi-Rosenhammer 2018star (*3) und Moser/Karam 2018).star (*19) Ebenso zeigen die Ergebnisse, wie Digitalisierung und insbesondere Social Media bereits als Tools verwendet werden, um strukturelle Ausschlüsse zu umschiffen und selbstbestimmt kulturell teilzuhaben.

Für Onur Bakış, Breakdancer und Leiter des Vereins Doyobe, sind Social Media und besonders Instagram ein wichtiges Tool für ihre Vereinstätigkeit, da Jugendliche fast ausschließlich durch diese Medien zu erreichen sind (Bakış in Boschner 2019: o.S.).star (*8) Durch die Vernetzung über Instagram bekommt Doyobe Einblicke in die kulturellen Bedürfnisse der Jugendlichen und kann seine Angebote daran anzupassen (vgl. Postscriptum Bakış 25.07.2019).star (*23) Andererseits sind Social Media für den Verein Doyobe deshalb wichtig, weil dort migrantischen Jugendlichen gezeigt wird, was andere migrantische Jugendliche bereits kreiert haben, und sie dazu ermächtigt werden, auch selber aktiv mitzumachen (ebd.).star (*23) Ein aktuelles Projekt, das durch Social Media beworben wird, ist Lehen Lebt, das im Salzburger Stadtteil Lehen, in dem sehr viele migrantische Familien leben, durchgeführt wird. Dazu wurde der Hashtag #lehenlebt kreiert, über den Bilder von Workshops geteilt werden.

Den Aspekt der Ermächtigung durch Social Media betont auch das Künstler*innenduo EsRap (Esra und Enes Özmen), das regelmäßige Rap-Workshops für marginalisierte Jugendliche veranstaltet. Esra Özmen sieht darin eine Vorbildfunktion für marginalisierte Personen, die in der eigenen kulturellen Produktion ermächtigt werden, indem sie sehen, dass dies auch aus marginalisierten Positionen heraus möglich ist (vgl. Interview mit EsRap in dieser Ausgabe). Enes Özmen erklärt, dass Social Media unabhängig von Institutionen niederschwellige Möglichkeiten bietet, eigene Inhalte einem großen Publikum zu präsentieren und ergänzt, dass dort „nicht nur Privilegierte gut abschneiden, sondern auch die normale Arbeiterklasse“ (ebd.).

Als eine der größten Hürden für migrantische Kunst- und Kulturschaffende hat sich die weiße*6 *(6) Prägung von Kunst- und Kulturinstitutionen und der damit verbundene strukturelle Rassismus*7 *(7) herausgestellt (vgl. die Interviews mit EsRap sowie Lôbo/Seefranz in dieser Ausgabe). Auch wenn in den letzten Jahren ein Trend um den Begriff der Diversität in deutschsprachigen Kunst- und Kulturinstitutionen herrscht und damit vermehrt Migrant*innen bzw. BIPOC eingeladen und sichtbarer werden, wird in unseren Interviews deutlich, dass Diversität eher performt als gelebt wird (vgl. ebd.). Marissa Lôbo und Catrin Seefranz, Mitinitiator*innen von kültüř gemma!, einem Projekt zur Förderung migrantischer Kulturproduktion in Wien, heben hervor, dass Institutionen und Initiativen, die sich der Diversifizierung verschreiben, den Diversity-Bonus mitnehmen und abkassieren wollen, ohne den eigenen institutionellen Körper zu verändern (vgl. Interview mit Lôbo/Seefranz in dieser Ausgabe). Ihre Arbeit ist maßgeblich von Sara Ahmeds On being included geprägt, die schreibt:

“People of color in white organizations are treated as guests, temporary residents in someone else’s home. People of color are welcomed on condition they return that hospitality by integrating into a common organizational culture, or by ‘being’ diverse, and allowing institutions to celebrate their diversity.” (Ahmed 2012: 43)star (*1)

Lôbo und Seefranz betonen die Notwendigkeit von Interventionen, um Maßnahmen zu setzen, die mehr Nachhaltigkeit bringen, als nur gelegentlich post- oder dekoloniale Beiträge zu holen und die Künstler*innen, die diese Beiträge liefern, im Anschluss an punktuelle Veranstaltungen nicht weiter einzubeziehen. Es handelt sich dabei um eine Vereinnahmung, die strukturelle Änderungen verhindert. Auch wenn marginalisierte Personen vereinzelt aus Institutionen heraus gegen diese Diskriminierung kämpfen, geht es auch immer um den eigenen Arbeitsplatz, den viele nicht riskieren können (vgl. Interview mit Lôbo/Seefranz in dieser Ausgabe sowie Baumgartinger/Frketić 2019).star (*6)

Die Künstlerin Esra Özmen erklärt, dass die zahlreichen Einladungen, die EsRap erhält, stets Projekte mit weißen Leiter*innen sind, die die Künstler*innen mit Aussagen wie „Das ist zu migrantisch“ oder „Bitte nicht so politisch!“ in Schranken verweisen. Auch spricht das Duo davon, am Anfang seiner Musikkarriere „hin- und hergezogen“ und von außen vereinnahmt worden zu sein, indem ihnen durch weiße Institutionen stets zugeschrieben wurde, ein Kunstprojekt zu sein, das (türkische) Geschlechterrollen aufbreche. Dies war allerdings nie die Intention der Künstler*innen, die „einfach gesungen und gerappt haben“ (vgl. EsRap in dieser Ausgabe). Aufgrund solcher Vereinnahmungserfahrungen nutzt EsRap verstärkt Social Media, wobei Esra Özmen unterstreicht: „Ich brauche keine Mainstream-Medien, ich habe so viel Community!“ (Ebd.)

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Ahmed, Sara (2012): On being included: Racism and Diversity in Institutional Life. Durham: Duke University Press.

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Akarçeşme, Dilara/Folie, Andrea (2018): „Das Dorf wird noch globaler werden“ ‑ Digitale Teilhabe, Potenziale und Herausforderungen im Rahmen regionaler Kulturarbeit in Salzburg. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #09. Online unter https://www.p-art-icipate.net/das-dorf-wird-noch-globaler-werden-digitale-teilhabe-potenziale-und-herausforderungen-im-rahmen-regionaler-kulturarbeit-in-salzburg/

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Baumgartinger, Persson Perry/Akarçeşme, Dilara/Al-Masri-Gutternig, Nadja/Daoudi-Rosenhammer, Monika (2018): Das inklusive Museum ‑ eine Frage von Kooperation und Vernetzung. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #09. Online unter https://www.p-art-icipate.net/das-inklusive-museum-%e2%80%91-eine-frage-von-kooperation-und-vernetzung/

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Baumgartinger, Persson Perry/Akarçeşme, Dilara/Hochleitner, Martin (2018): „Kultur für alle“ als emanzipatorische Praxis. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #09. Online unter https://www.p-art-icipate.net/kultur-fuer-alle-als-emanzipatorische-praxis/

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Baumgartinger, Persson Perry/ Akarçeşme, Dilara/ Zechenter, Karl (2018): Die Anwesenheit von anderen kulturellen Prägungen ist in Salzburg kein Thema.“ In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #09. Online unter https://www.p-art-icipate.net/die-anwesenheit-von-anderen-kulturellen-praegungen-ist-in-salzburg-kein-thema/

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Baumgartinger, Persson Perry/ Frketić, Vlatka (2019). Kritisches Diversity und Kulturarbeit: Wenn Aktivismus und Erfahrungswissen in den Mittelpunkt gerückt werden. In Zobl, Elke/Klaus, Elisabeth/Moser, Anita/Baumgartinger, Persson Perry (Hg.): Kultur produzieren. Künstlerische Praktiken und kritische kulturelle Produktion . Bielefeld: transcript, S. 195 – 216

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Blank, Grant/ Reisdorf, Bianca (2012): The participatory web: A user perspective on Web 2.0. Information Communication and Society, 15, 301-318.

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Boschner, Anna (2019): Graffiti sprühen im Stadtwerk. In: Salzburger Fenster, 17.06.2019. Online unter  https://www.salzburger-fenster.at/2019/06/17/graffiti-spruehen-im-stadtwerk/ (30.06.2019)

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Eggers, Maureen Maisha /Grada Kilomba/Peggy Piesche/ Arndt, Susan (Hg.) (2009): Mythen, Masken, Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Münster: unrast.

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El-Tayeb, Fatima (2016): Undeutsch: Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft. Bielefeld: transcript.

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Interview Anita Thanhofer, 04.06.2019, unveröffentlicht.

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Interview Diana Schmiderer, 12.02.2019, unveröffentlicht.

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Jenkins, Henry (2006): Confronting the Challenges of Participatory Culture Media Education for the 21st Century. The John D and Catherine T MacArthur Foundation Reports on Digital Media and Learning. Cambridge: The MIT Press.

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Karich, Swantje (2018): Rassismus im Kunstbetrieb. „Es kotzt uns an“. In: Die Welt, 12.12.2018. Online unter https://www.welt.de/kultur/article185319848/Rassismus-im-Kunstbetrieb-Es-kotzt-uns-an.html (17.07.2019)

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Kilomba, Grada (2008): Plantation Memories. Episodes of Everyday Racism. Münster: unrast.

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Kuria, Emily Ngubia (2015): Eingeschrieben. Zeichen setzen gegen Rassismus an deutschen Hochschulen. Berlin: w_orten & Meer.

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Kurzweil, Ray (1999): The Age of Spiritual Machines. When Computers Exceed Human Intelligence. New York: Penguin.

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Land Salzburg (2015): Räumliche Strukturanalyse des Landes Salzburg 2014/15. Salzburg.

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Lauterbach-Dannenberg, Nina (2019): Kulturelle Teilhabe Älterer in ländlichen Räumen – Ermöglichungsstrukturen schaffen durch Innovation, Vernetzung, Partizipation und Eigensinn. Kulturelle Bildung Online. Online unter https://www.kubi-online.de/artikel/kulturelle-teilhabe-aelterer-laendlichen-raeumen-ermoeglichungsstrukturen-schaffen-durch (25.05.2019)

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Lorch, Catrin (2018): „Ich habe mich wirklich widerlich benommen, keine Frage“. In: Die Süddeutsche, 06.12.2018. Online unter: https://www.sueddeutsche.de/kultur/kasper-koenig-kammerspiele-kritik-rassismus-kunst-1.4241822 (17.07.2019)

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Millard, Adele/ Loretta Baldassar/ Wilding, Raelene (2018): The significance of digital citizenship in the well-being of older migrants. Public Health 158, S. 144-48.

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Moser, Anita/ Karam, Abdullah (2018): “More communication, please!” Abdullah Karam im Gespräch mit Anita Moser über seine künstlerische Arbeit, das Potenzial von Computerspielen und Salzburg als Ort kultureller Teilhabe und Produktion In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #09. Online unter https://www.p-art-icipate.net/more-communication-please/

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Mysorekar, Sheila (2007): Widerstand. Poesie des Überlebens. In K. N. Ha, N. Lauré al Samarai, & S. Mysorekar (Hg.): re/visionen. Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland. Münster: Unrast, S. 339-346.

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Naveau, Manuela (2017): Crowd and Art – Kunst und Partizipation im Internet. Bielefeld: transcript.

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Ogette, Tupoka (2017): Exit Racism. Rassismuskritisch Denken lernen. Münster: unrast.

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Postscriptum Onur Bakış 25.07.2019, unveröffentlicht.

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Prensky, Marc (2001): Digital Natives, Digital Immigrants Part 1. On the Horizon 9. 1-6.

Hierbei handelt es sich um einen Expert*innenbegriff, der auch auf Erfahrungswissen basiert (vgl. dazu u.a. Baumgartinger/Frketić 2019)

Ein besonderer Dank gilt Persson Perry Baumgartinger für seine wertvollen Kommentare bei der Verfassung dieses Artikels.

Im Gegensatz zum Web 1.0 können Nutzer*innen im Web 2.0 eigenhändig partizipieren, ohne einer Programmiersprache mächtig zu sein (vgl. Blank/ Reisdorf 2012: 545).

Der Begriff Migrant*innen wird hier mit Vorbehalt verwendet und beschreibt die selbstbenannte Kategorie BIPOC, Black and Indigenous Persons/ People of color. Die Begriffe ‚Migrant*in‘ oder ‚Person mit Migrationshintergrund‘ machen den Unterschied in den Erfahrungen zwischen weißen und nicht-weißen Migrant*innen unsichtbar. Im gesellschaftlichen Sprachgebrauch werden weiße Migrant*innen eher als Expats bezeichnet, während nicht-weißen Personen der Begriff der Migration zugeschrieben wird, auch wenn diese keine unmittelbare Migrationserfahrung haben, wie etwa Rom*nja oder Schwarze Europäer*innen (vgl. Ogette 2017).

Der Begriff weiß, klein und kursiv geschrieben, beschreibt keine Identität. Er ist ein von Schwarzen Theoretiker*innen entwickelter analytischer Begriff, „um die Architektur weißer Dominanz- und Machtverhältnisse sowie die damit verknüpfte Ausübung rassistischer Systeme und Praktiken zu beschreiben. „Schwarz“ mit einem großen S geschrieben ist eine Selbstbezeichnung von Schwarzen Personen. Sie soll als Akt des Widerstands die von rassistischen Terminologien behaftete Identität von Schwarzen Personen zurückfordern (Eggers/Kilomba/Piesche/Arndt 2005: 13).

Das Rassismusverständnis dieses Artikels geht davon aus, dass Rassismus nicht nur „von Skinheads mit Baseballschlägern praktiziert wird, sondern auch von der dauergewellten Nachbarin nebenan“ (Mysorekar 2016: 339). In anderen Worten geht es um den strukturellen Rassismus westeuropäischer Prägung, der historisch gewachsen und in unsere täglichen Abläufe eingeschrieben ist (vgl. z.B. Kilomba 2008; Kuria 2015; El-Tayeb 2016 oder Ogette 2017).

Dilara Akarçeşme ( 2019): Digitalisierung als Tool zur Navigation durch ausschließende Kunst- und Kulturwelten im Kontext von Migration & Alter. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/digitalisierung-als-tool-zur-navigation-durch-ausschliessende-kunst-und-kulturwelten-im-kontext-von-migration-alter/