Digitalisierung als Tool zur Navigation durch ausschließende Kunst- und Kulturwelten im Kontext von Migration & Alter

Bakış berichtet von Schwierigkeiten mit dem institutionellen Gefüge in Salzburg und von der Nicht-Genehmigung von langfristigen Projekten trotz seiner mehr als zehnjährigen Erfahrung und Zusammenarbeit mit Stadt und Land Salzburg. Er erläutert, dass er am Ende müde wurde, mit der Politik zu kämpfen und deshalb seine Tätigkeit nach Deutschland verlegte (vgl. Interview mit Bakış in dieser Ausgabe), was einen Brain-Drain im Kulturbereich darstellt. Aufgrund ähnlicher Erfahrungen ist es für Lôbo an der Zeit, zu schauen, was unabhängig von Staat und Institutionen möglich ist. Im Interview erläutert sie, dass die Wiener BIPOC-Community in den letzten Jahren sehr aktiv in Sozialen Medien wie Facebook war und einen antirassistischen bzw. antidiskriminatorischen Diskurs von Bilderpolitik und Performances gefördert hat. Ein Ereignis im Rahmen der Münchner Kammerspiele belegt exemplarisch, wie wirkungsvoll solche Interventionen sein können.

Im November 2018 war die Künstlerin Cana Bilir-Maier zur Diskussionsreihe Kaspar König & zum Thema „Heimat und Rechtsradikalismus“ im Rahmen der Münchner Kammerspiele eingeladen. Als Kaspar König Türken in Berlin unter anderem als „Arschlöcher“ bezeichnete, postete Cana Bilir-Maier im Anschluss an die Veranstaltung diese Erfahrung auf Facebook mit den einleitenden Worten „Most horrible talk with Kaspar König at Kammerspiele Munich“, worauf BIPOC-Künstler*innen sofort reagierten, indem sie in Social-Media-Gruppen ein Statement in Solidarität mit der Künstlerin zur Veröffentlichung vorbereiteten. We are sick of it*8 *(8) thematisiert strukturellen Rassismus in der Kunstszene und die verantwortungslose Aneignung kritischen Wissens durch Institutionen. Daraufhin thematisierten auch Mainstream-Medien wie die Süddeutsche Zeitungstar (*26) oder Die Weltstar (*25) den Rassismus in der Kunstwelt. Die Welt etwa schrieb einleitend: „Jetzt ist es geschehen. (…) Der Kunstbetrieb hat seine Rassismus-Debatte“ (ebd.). Dies zeigt, dass Social Media eine einflussreiche Plattform für Künstler*innen of Color sowie andere marginalisierte Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen sind.

Kulturelle Teilhabe im Alter in ländlichen Regionen

Wie in vielen ländlichen Regionen Europas ist auch am Land Salzburg eine unverhältnismäßige Alterung bei gleichzeitiger Abwanderung jüngerer Generationen zu beobachten (Land Salzburg 2014: 94)star (*16). Da demographische Eigenschaften geographische Räume und diese wiederum die Lebensumstände prägen, handelt es sich im Falle des Alterns in ländlichen Regionen aufgrund struktureller Defizite, vor allem im Bildungs- und Kulturbereich, um eine „doppelte Benachteiligung“ (Lauterbach-Dannenberg 2019: o.S.).star (*17) Außerdem potenzieren sich an ländlichen Orten herausfordernde Lebenswirklichkeiten von alternden Menschen. Diese sind abnehmende soziale Netzwerke, schwindende Möglichkeiten zum Generationenaustausch, eine Ausdünnung der Infrastruktur und Mobilitätsangebote, wobei Mobilität eine grundlegende Voraussetzung für soziale Teilhabe ist (ebd.).star (*17)

In Einklang damit hat sich im Zuge unserer Forschung gezeigt, dass das Thema der Mobilität insbesondere im Süden Salzburgs eine erhebliche Herausforderung darstellt. Untenstehende Landkarte veranschaulicht die ausgeprägten Verzweigungen und Täler des Bundeslandes.

Grafik 2: Quelle: https://www.salzburgerland.com/de/das-salzburgerland/ (09.07.2019)

Grafik 2: Quelle: https://www.salzburgerland.com/de/das-salzburgerland/ (09.07.2019)

Nördliche Regionen verfügen über verhältnismäßig gute, für den kulturellen Austausch förderliche Verbindungen. Richtet man den Blick jedoch in den Süden, wird das Mobilitätsproblem klar ersichtlich. Es besteht kaum Raum für die Etablierung eines übergreifenden, durch mehrere Linien erschlossenen Netzes an öffentlichen Verkehrsmitteln und -routen. Die bestehenden Verbindungen operieren abends nach ca. 19 Uhr nicht mehr, was eine Teilnahme an Veranstaltungen erheblich erschwert (vgl. Akarçeşme/Folie 2018).star (*2) Gerade in kleinen Dörfern und Gemeinden gibt es kaum kulturelle Angebote wie etwa ein Kino. Erst der nächstgrößere Ort bietet Veranstaltungen. Für Menschen mit Behinderung gibt es dabei keine barrierefreien Möglichkeiten zur Fortbewegung (vgl. Interview mit Schmerold in dieser Ausgabe). In Summe bestehen ohne Auto bzw. Führerschein kaum Möglichkeiten zur Mobilität und damit verbunden zur Teilhabe an (Kunst- und Kultur-)Veranstaltungen.

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Ahmed, Sara (2012): On being included: Racism and Diversity in Institutional Life. Durham: Duke University Press.

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Akarçeşme, Dilara/Folie, Andrea (2018): „Das Dorf wird noch globaler werden“ ‑ Digitale Teilhabe, Potenziale und Herausforderungen im Rahmen regionaler Kulturarbeit in Salzburg. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #09. Online unter https://www.p-art-icipate.net/das-dorf-wird-noch-globaler-werden-digitale-teilhabe-potenziale-und-herausforderungen-im-rahmen-regionaler-kulturarbeit-in-salzburg/

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Baumgartinger, Persson Perry/Akarçeşme, Dilara/Al-Masri-Gutternig, Nadja/Daoudi-Rosenhammer, Monika (2018): Das inklusive Museum ‑ eine Frage von Kooperation und Vernetzung. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #09. Online unter https://www.p-art-icipate.net/das-inklusive-museum-%e2%80%91-eine-frage-von-kooperation-und-vernetzung/

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Baumgartinger, Persson Perry/Akarçeşme, Dilara/Hochleitner, Martin (2018): „Kultur für alle“ als emanzipatorische Praxis. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #09. Online unter https://www.p-art-icipate.net/kultur-fuer-alle-als-emanzipatorische-praxis/

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Baumgartinger, Persson Perry/ Akarçeşme, Dilara/ Zechenter, Karl (2018): Die Anwesenheit von anderen kulturellen Prägungen ist in Salzburg kein Thema.“ In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #09. Online unter https://www.p-art-icipate.net/die-anwesenheit-von-anderen-kulturellen-praegungen-ist-in-salzburg-kein-thema/

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Baumgartinger, Persson Perry/ Frketić, Vlatka (2019). Kritisches Diversity und Kulturarbeit: Wenn Aktivismus und Erfahrungswissen in den Mittelpunkt gerückt werden. In Zobl, Elke/Klaus, Elisabeth/Moser, Anita/Baumgartinger, Persson Perry (Hg.): Kultur produzieren. Künstlerische Praktiken und kritische kulturelle Produktion . Bielefeld: transcript, S. 195 – 216

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Interview Anita Thanhofer, 04.06.2019, unveröffentlicht.

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Interview Diana Schmiderer, 12.02.2019, unveröffentlicht.

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Karich, Swantje (2018): Rassismus im Kunstbetrieb. „Es kotzt uns an“. In: Die Welt, 12.12.2018. Online unter https://www.welt.de/kultur/article185319848/Rassismus-im-Kunstbetrieb-Es-kotzt-uns-an.html (17.07.2019)

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Moser, Anita/ Karam, Abdullah (2018): “More communication, please!” Abdullah Karam im Gespräch mit Anita Moser über seine künstlerische Arbeit, das Potenzial von Computerspielen und Salzburg als Ort kultureller Teilhabe und Produktion In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten #09. Online unter https://www.p-art-icipate.net/more-communication-please/

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Ogette, Tupoka (2017): Exit Racism. Rassismuskritisch Denken lernen. Münster: unrast.

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Postscriptum Onur Bakış 25.07.2019, unveröffentlicht.

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Prensky, Marc (2001): Digital Natives, Digital Immigrants Part 1. On the Horizon 9. 1-6.

Hierbei handelt es sich um einen Expert*innenbegriff, der auch auf Erfahrungswissen basiert (vgl. dazu u.a. Baumgartinger/Frketić 2019)

Ein besonderer Dank gilt Persson Perry Baumgartinger für seine wertvollen Kommentare bei der Verfassung dieses Artikels.

Im Gegensatz zum Web 1.0 können Nutzer*innen im Web 2.0 eigenhändig partizipieren, ohne einer Programmiersprache mächtig zu sein (vgl. Blank/ Reisdorf 2012: 545).

Der Begriff Migrant*innen wird hier mit Vorbehalt verwendet und beschreibt die selbstbenannte Kategorie BIPOC, Black and Indigenous Persons/ People of color. Die Begriffe ‚Migrant*in‘ oder ‚Person mit Migrationshintergrund‘ machen den Unterschied in den Erfahrungen zwischen weißen und nicht-weißen Migrant*innen unsichtbar. Im gesellschaftlichen Sprachgebrauch werden weiße Migrant*innen eher als Expats bezeichnet, während nicht-weißen Personen der Begriff der Migration zugeschrieben wird, auch wenn diese keine unmittelbare Migrationserfahrung haben, wie etwa Rom*nja oder Schwarze Europäer*innen (vgl. Ogette 2017).

Der Begriff weiß, klein und kursiv geschrieben, beschreibt keine Identität. Er ist ein von Schwarzen Theoretiker*innen entwickelter analytischer Begriff, „um die Architektur weißer Dominanz- und Machtverhältnisse sowie die damit verknüpfte Ausübung rassistischer Systeme und Praktiken zu beschreiben. „Schwarz“ mit einem großen S geschrieben ist eine Selbstbezeichnung von Schwarzen Personen. Sie soll als Akt des Widerstands die von rassistischen Terminologien behaftete Identität von Schwarzen Personen zurückfordern (Eggers/Kilomba/Piesche/Arndt 2005: 13).

Das Rassismusverständnis dieses Artikels geht davon aus, dass Rassismus nicht nur „von Skinheads mit Baseballschlägern praktiziert wird, sondern auch von der dauergewellten Nachbarin nebenan“ (Mysorekar 2016: 339). In anderen Worten geht es um den strukturellen Rassismus westeuropäischer Prägung, der historisch gewachsen und in unsere täglichen Abläufe eingeschrieben ist (vgl. z.B. Kilomba 2008; Kuria 2015; El-Tayeb 2016 oder Ogette 2017).

Dilara Akarçeşme ( 2019): Digitalisierung als Tool zur Navigation durch ausschließende Kunst- und Kulturwelten im Kontext von Migration & Alter. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/digitalisierung-als-tool-zur-navigation-durch-ausschliessende-kunst-und-kulturwelten-im-kontext-von-migration-alter/