„Eine Veränderung der Kulturinstitutionen steht an.“

Ivana Pilić im Gespräch mit Anita Moser über kollektive Schaffensprozesse, heterogene Teams und positive Diskriminierung als Strategien kultureller Teilhabe

Wie kann kulturelle Teilhabe umgesetzt werden? Welche Hürden gibt es? Über ihre Erfahrungen und Überlegungen im Zusammenhang mit der seit 2007 bestehenden Brunnenpassage und der 2012 gegründeten Wienwoche berichtet die Kulturschaffende und Kuratorin Ivana Pilić. Ein besonderer Fokus des Gesprächs liegt auf kulturpolitischen Forderungen, notwendigen Veränderungen in Kultureinrichtungen sowie in der Förderlandschaft – und was Österreich in dieser Hinsicht von Initiativen in Deutschland lernen kann.

Du hast unter anderem bei der Brunnenpassage gearbeitet und bist im Vorstand der Wienwoche. Wie setzt ihr in den Projekten kulturelle Teilhabe um?

Bei der Brunnenpassage und bei der Wienwoche wird das Programm gleich beim Aufsetzen so gedacht, dass es für möglichst breite Publikumsschichten interessant ist. Es gibt kein eigenes Vermittlungsangebot dazu, weil die Projekte so konzipiert werden, dass sie niederschwellig, partizipativ und besonders zugänglich sind.

Bei der Brunnenpassage wird das Konzept verfolgt, dass der Zugang für Leute mit Distanz zu diversen zeitgenössischen Kunstformen am leichtesten zu schaffen ist, wenn man diese am eigenen Körper erlebt. Wenn ich nicht viel mit zeitgenössischem Tanz anfangen kann, kann ich vielleicht einen leichteren Zugang finden, wenn ich selbst Teil einer zeitgenössischen Tanzproduktion bin. Das Gleiche gilt im Theater- oder Gesangsbereich. Bei dieser Praxis der Brunnenpassage geht es viel um kollektive und nicht um individuelle Schaffensprozesse. Mit mehr Menschen gemeinsam traue ich mich eher zu tanzen, zu singen oder auf der Bühne zu stehen.

Bei der Wienwoche ist es anders: Sie ist nicht so niederschwellig. Es geht darum, viele Positionen in die Kunstpraxis einfließen zu lassen, die im etablierten Kulturbetrieb keine Stimme haben. Das bedeutet, dass man vor allem versucht, migrantische und postmigrantische Künstler*innen oder auch solche, die am Beginn ihrer Arbeit stehen, in diesen Prozess der gemeinsamen Kunstproduktion hereinzuholen – und darüber die Teilhabe zu erweitern. Auch die Brunnenpassage arbeitet mit Künstler*innen, aber in der Wienwoche stehen die Produktionen selbst stärker im Fokus.

Bleiben wir bei der Brunnenpassage: Wie erfahren die Menschen von den Aktivitäten, die dort passieren? Habt ihr spezielle Kommunikationsstrategien?

Das ist ein großer Fokus. In der Brunnenpassage wird viel darüber gesprochen, wer bereits erreicht wird und wer nicht. Wie könnten Strategien aussehen, damit neue Publikumsschichten erreicht werden? In der Brunnenpassage wird nicht mit Differenz gearbeitet. Das bedeutet, dass dezidiert versucht wird, nicht die soziale Schicht der Leute oder ihre Herkunftsländer zu thematisieren. So kann ein gemeinsamer kollektiver Raum erst entstehen. Man stellt nicht wieder das Trennende in den Vordergrund oder marginalisiert marginalisierte Gruppen noch einmal.

In den Bewerbungskonzepten gibt es ein paar ganz klare Richtlinien. Es wird viel mit Bildern gearbeitet, à la ‚What you see it what you get‘, damit die Sprache – damit meine ich nicht nur Fremdsprache oder Erstsprache, sondern auch die Niederschwelligkeit der Formulierungen – nicht das Einzige ist, mit dem man variieren kann. Natürlich werden die Texte auch einfacher formuliert. Wir kennen es aus dem Kunst- und Kulturbereich, dass Texte oft sehr konzeptuell und schwierig zu verstehen sind, wenn man nicht aus diesem Bereich oder der Szene kommt. Auf so etwas wird besonders geachtet. Es wird natürlich auch viel mit Mehrsprachigkeit gearbeitet.

Abseits davon hat sich die Brunnenpassage den Maßstab gesetzt, dass man die Nachbarschaft auch im eigenen Raum wiederfindet. Das bedeutet, dass es spezielle Routen für die Verteilung von Flyern und Plakaten gibt. Die Druckauflagen sind sehr niedrig. Man könnte ja verstreut in der ganzen Stadt Plakate aufhängen – damit würde man aber nur erreichen, dass all jene, die bereits an Kunst und Kultur teilnehmen, auch wiederkommen. Man verzichtet bewusst darauf, Leute einzuladen, die sowieso den Weg dorthin finden. Man versucht dagegenzusteuern. Das gelingt nicht, wenn man sich dem Thema nur temporär widmet. Da hat man keine Diversität erreicht. Man muss immer und immer wieder gegensteuern, ansonsten löst sich auch diese Durchmischung wieder auf.

Anita Moser, Ivana Pilić ( 2019): „Eine Veränderung der Kulturinstitutionen steht an.“. Ivana Pilić im Gespräch mit Anita Moser über kollektive Schaffensprozesse, heterogene Teams und positive Diskriminierung als Strategien kultureller Teilhabe . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/eine-veraenderung-der-kulturinstitutionen-steht-an/