Politische Kunst und das Politische der Kunst
Folgte man dem, läge in meinen Augen ein Missverständnis vor, denn zunächst scheint kein anderer sozialer Kontext derart prädestiniert für Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen zu sein wie die Kunst: „Es ist, als ob die Künste die Bewegung der Gerechtigkeit als nie stillzustellende Praxis der aisthesis vorzüglich betreiben können, während die Organisation des Lebens immer hinter diese Bewegung zurückfallen muss.“ (Strauß 2010: 260 [Herv. im Orig.]) (* 60 ) Wider die Pathologie der umfassenden Dominanz des Rationalitätsprinzips bewahrte die autonome Kunst seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert traditionell allem sozial Verdrängten eine Zuflucht, sie ist außerdem das Unbürgerliche im Bürgerlichen, der Ort des (sublimierten) Lustprinzips inmitten der Wüstenei des alltäglichen Reichs der Notwendigkeit.
Das mündet in einen ganz besonderen Status, der paradoxerweise vorteilhaft ist, gerade weil er keine materiellen Vorteile bietet: „Unter dem Begriff Kunst, das weiß ich, bekomme ich nichts, was mir einen direkten Vorteil bietet; wenn überhaupt, dann erhalte ich diesen Vorteil in dem vagen Bereich des Emotionalen, Ambivalenten, der direkter […] Umsetzung weit mehr widerstrebt, als andere kulturelle Medienangebote …“ (Diederichsen 2000: 79f) (* 17 ).
Das Charakteristikum des Imaginär-Symbolischen, das den Kunstraum prägt, das heißt des im Alltag (zunächst) Folgenlosen, wird zu Recht auch für politische Kunst als wesentlich herausgestellt: Die Sphäre der Kunst ist die des symbolischen Handelns (also des stellvertretenden, des Probehandelns), was zugleich ihr unerschöpfliches utopisches Potential andeutet. „Die gesellschaftliche Funktion der Kunst […] liegt im Nachweis von Ordnungszwängen im Bereich des nur Möglichen“, schreibt noch Luhmann, für den Kunst ganz in Johann Jakob Breitingers vorästhetischer Tradition spielerische „Realitätsverdopplung“ ist (Luhmann 1995: 238 u. 301) (* 34 ). Paradoxerweise gerade aufgrund der sozialen Folgenlosigkeit ist das Feld der Kunst besonders prädestiniert für eine politische Intervention. Dieses Konzept der „Kunst als Ort politischer Ermächtigung“ (Diederichsen 2000:80)
(* 17 ) wird möglich, gerade weil es sich aus Sicht der Macht „nur“ um Kunst handelt, weil hier traditionell größere Freiheitsräume bestehen als im normalen Leben*4 *( 4 ) – selbst unter demokratischen Verhältnissen: Die Darstellung eines Frosches am Kreuz bei Kippenberger, Mohammed-Karikaturen u.v.a.m. würden ohne diesen grundrechtlichen Schutz wohl unvermeidlich als blasphemisch, beleidigend etc. verfolgt werden.
Doch was ist überhaupt „politische Kunst“, und wie kann das Politische der Kunst davon unterschieden werden? Bei etwas genauerer Betrachtung ist eine Antwort trotz der gegenwärtigen Häufigkeit der Etikettierung einzelner Werke als „politisch“ gar nicht so einfach. Einerseits ist da die Idee des (per se) Politischen der Kunst – sie muss deutlich von dezidierten Versuchen politischer Kunst abgegrenzt werden und kann insbesondere auf drei Theorielinien zurückgeführt werden: