(Wann) Soll politischer Aktivismus als Kunst anerkannt werden?

Ausblick

Ein anderes Bild zeigt sich, wenn man die westlichen Demokratien verlässt. In politischen Kontexten offensichtlicher Unterdrückung, in diktatorischen Systemen aller Art, in Systemen, wo der unsichtbare Blick des Geheimdiensts allgegenwärtig ist oder wo die Scharia die Grundlage des Rechtssystems stellt, sind keine Fördergelder für kritische politische Kunst zu erwarten. Die wenigen hier genannten Beispiele sind zwar, so gesehen, ebenfalls Erfolgsgeschichten politischen Aktivismus, und zwar sicher nicht obwohl, sondern weil sie vom Kunstfeld ausgehen. Dennoch: Ihre erstaunliche globale Wirksamkeit erreicht solche aktivistische Kunst hier nicht über das Werk oder dessen ästhetischen Wert (wer kennt die Musik von Pussy Riot?), sondern letztlich über den Umweg des Künstler-Körpers, über das „nackte Leben“, denn es ist dieses Opfer, diese seitens der Macht nicht erwiderbare Gabe, welche infolge erlittener Repressalien die allgegenwärtige Unterdrückung personifiziert und öffentlich sichtbar macht. Selbst wo sich AktivistInnen selbst verbrennen, kennt kaum wer ihre Namen, weshalb ihr Tod der globalen Öffentlichkeit ein kurzzeitig aufflackerndes Schreckensbild unter so vielen anderen bleibt, während Pussy Riot sicher inzwischen auf modischen Stoffumhängetaschen zu finden sind. Erst die Verbindung von Opfer und Person mit einem Namen und womöglich einem interessanten Gesicht garantiert die einigermaßen dauerhafte globale mediale Aufmerksamkeit und eventuell, später, eine tatsächliche Veränderung der Verhältnisse, nicht die künstlerische Qualität im klassischen Sinne eines „Werks“. Jenes ist hier bestenfalls Auslöser eines anderen: eines politischen Geschehens.

Freilich macht der Status der (politischen) Kunst unter aktivistischem Fokus in vielen Kontexten Sinn, wenn auch nicht so, wie man sich das in der Kunsttheorie überwiegend denkt. Hier scheint mir aufgrund der fortdauernden Wirkmächtigkeit des ästhetischen Regimes die Dichotomie „reine vs. engagierte Kunst“ allzu stark zugunsten Ersterer vorentschieden; denn wer kennt nicht zahlreiche eher flache Versuche politischer Kunst – wobei allzu leicht übersehen wird, dass im viel größeren Feld der „reinen Kunst“ ja auch beileibe nicht alles gelungen ist. Eher wird man das Produktive dieses Spannungsverhältnisses für den Kunstbegriff selbst herausstellen müssen: „Vor dem Hintergrund […] der klaren Opposition von reiner und engagierter Kunst, müssen wir die ursprüngliche und andauernde Spannung zwischen diesen beiden Politiken der Ästhetik erkennen, welche […] Formen der Sichtbarkeit und Verständlichkeit mit sich bringen, die Kunst für uns als solche identifizierbar machen […]. Es ist diese Spannung, welche das scheinbar einfache Projekt einer politischen oder ‚kritischen‘ Kunst untermauern und irgendwie auch unterminieren.“ (Milevska 2005: o. S.)star (* 41 )

Am Ende steht heute aber nicht (nur) die Schwarzweiß-Unterscheidung „Kunst, die sich selbst unterdrückt, um Leben zu werden und Kunst, die Politik unter der Bedingung betreibt, überhaupt keine Politik zu machen“ (Milevska 2005: o. S.)star (* 41 ), sondern ein breites Spektrum an Zwischentönen. Völlig ungeachtet eines ästhetisch-künstlerischen Werts oder gar der Bedeutung für die Kunstgeschichte gilt: Je stärker es aktivistischen Bestrebungen unter parasitärer Nutzung des Kunstsystems gelingt, in den Mechanismus des Machtspiels störend einzugreifen, und zwar ganz gleichgültig, aus welchem Grund ihr das letztendlich gelingt, desto erfolgreicher wird sie auf lange Sicht sein. Eine der größten Success Stories in diesem Sinn wäre etwa die feministische Kunst der 1970er, deren beharrende Wirkmächtigkeit über inzwischen diskursiv verankerte Standards einer Political Correctness inzwischen vielerorts auch an den realen Verhältnissen zwischen den Geschlechtern im Alltag aufscheint.

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Christov-Bakargiev sagt: „Ich mag auch keine allzu direkte, explizit inhaltliche politische Kunst. Manchmal laufen dann all diese reichen Leute durch und sagen sich: Was bin ich cool! Und sie predigt oft nur zu den Bekehrten.“

„… das erklären in schönster Deutlichkeit die beiden assoziierten Kuratoren […] Oleg Worotnikow und Natalia Sokol.“

Die taz fragt: „Sich nackt auszuziehen, lauter Techno und Konfetti sind mittlerweile Standard auf vielen Demos. Ist das noch Politik?“

Gleichzeitig gibt es immer auch die affirmative politische Geste, sich (kritische) Kunst einzuverleiben …

Vgl.: „Die notwendige These, dass die Kunst ein Faktor der Veränderung der Welt ist und sein muss, kann leicht in ihr Gegenteil umschlagen, wenn der Abstand zwischen Kunst und radikaler Praxis eingeebnet wird, wenn der Kunst nicht ihr eigener Raum, ihre eigene Dimension der Veränderung gelassen wird.“ (ebd. 219).

Die Formulierungen dort bereits im Klappentext.

Diese (bürgerliche) Argumentation findet sich in Schillers Briefen zur ästhetischen Erziehung, wenn er über das Spiel schreibt; vgl. Schiller 1975: 315ff.

Dazu auch Strauß 2010: 251ff.

Etwas präziser Hartle 2004 (o. S.): „Die besondere Leistung der ästhetischen Theorie Badious ist ihre dynamische Verhältnisbestimmung von Einzelwerk und allgemeinem Werkprozess. Für Badiou steht fest, dass auch der ästhetische Prozess generisch und also die Wahrheit der Kunst eine kommende Wahrheit ist. Deswegen aber kann die Wahrheit der Kunst nicht in bereits realisierten Einzelwerken aufgespeichert sein. […] Das Werk ist keine Wahrheit, es ist ein Augenblick im Wahrheitsprozess, der einen Unterschied zugleich eröffnet und darstellt. […]  Dieser differentielle Augenblick tritt als das Movens der ästhetischen Wahrheit auf.“

Ausführlich: „Auch wenn die Künstler daran arbeiten, die Grenzen zwischen Kunst und Leben, zwischen dem Ästhetischen und dem Sozialen, Politischen, Ethischen […] zu annullieren, vermögen […] [sie] wohl, auf die Autonomie von Kunst zu reflektieren, nicht aber sie aufzuheben. Denn diese wird durch die Institution Kunst garantiert. Jede […] auf Zerschlagung der Institution Kunst zielende Aktion findet gleichwohl im Rahmen der Institution Kunst statt und stößt damit an ihre Grenzen.“

Für Nancy, dessen Kunsttheorie ganz auf den Körper fokussiert, tritt die etwaige Intention des Künstlers grundsätzlich hinter den offenen Prozess des Schaffens zurück. Zwar bliebe eine „Letztursache“ des Werks bestehen, „ein ‚Modell’, wenn man so möchte, oder eine ‚Idee’ im Sinne einer regulativen Idee“, aber im Mittelpunkt steht allein „die Formation als die Wirksamkeit, die Wahrheit und der Sinn der Form, die sich formt, gedacht wird, als die Kraft und die Spannung ihres Sich-Formens“. Programmatisch fordert er, „das Moment der Spannung [tension] – und nicht das der Intention! – in der Kunst, ja sogar als Kunst zu privilegieren, sozusagen das Moment der formenden Kraft mehr als das des geformten Werks, und das Moment der begehrenden Lust mehr als das der gestillten Lust“. Was politische Kunst anbelangt, korrigiert er dementsprechend Ai Weiweis Satz, auch politischer Widerstand sei Kunst, entschieden: „Die Revolution ist nicht künstlerisch, aber die Kunst kann revolutionär sein.“ Zitiert nach Arend 2012b.

Das wäre nichts Neues: Selbst Picassos Guernica ist ein Epoche machendes politisches Gemälde, aber Chaplins Der große Diktator ist kommunikativ zweifelsohne wirksamer gewesen.

Natürlich ist das auch nicht Draxlers Position …

Vgl. zu Nancys Ansprüchen z.B. Nancy 2007: 19 und 100ff; 2010: 56ff. Freilich muss gegen dieses Argument eingewendet werden: Kunst als Kunst, nicht als Aktivismus, ging es nie darum, alle zu erreichen, sie weiß zudem darum, „dass das ästhetische Wir, auf das jedes ästhetische Urteil zielt, konstitutiv umstritten ist“. In kritischer Intention muss es sogar im Gegenteil darum zu tun sein, Kunst aus „dem Missverständnis einer bürgerlichen Selbstverständigungsfloskel“, Kunst sei für alle, zu befreien. Denn wohl nur diese Exklusivität „sorgt dafür, dass […] die Kunst noch immer ein eigenes Gebiet markieren kann […], der einzige gesellschaftlich garantierte Bereich, in dem ich noch bereit bin, mir die Stimme anzuhören, die normalerweise zu schwach ist“.

Wenig hilfreich ist dabei, dass in der zeitgenössischen Kunsttheorie im Gegensatz zu den Politikwissenschaften eine emphatisch-normative Aufladung des Begriffs des Politischen dominiert (ein abgehobener ontologischer Begriff, der mit der Wirklichkeit, wie politische AktivistInnen sie erleben, wenig zu tun hat, etwa bei Agamben 2000: 100 „… das menschliche Leben politisiert sich nur durch das Überlassensein an eine unbedingte Macht über den Tod“). Für Badiou beispielsweise ist Politik wie erwähnt ein „Wahrheitsverfahren“, für Rancière ist Politik nur die „Einrichtung eines Anteils der Anteilslosen“ (Rancière, Jacques (2002): Das Unvernehmen. Politik und Philosophie. Aus dem Französischen von Richard Steurer. Frankfurt am Main, S.26f). Kurz: „Politik“ ist das Streben nach Gleichheit. Nancy wiederum nennt, was bei Rancière „Polizei“ heißt, wieder klassisch Politik, hebt davon aber „das Politische“ ab …

Es ist schlicht falsch, wenn Rancière 2008: 77 schreibt: „Denn bevor Politik die Ausübung von Macht […] ist, ist sie Aufteilung eines spezifischen Raums ‚gemeinsamer Angelegenheiten‘ …“ Wie sollte man sich eine „Aufteilung des Sinnlichen“ anders denken denn als Effekt von Machtbeziehungen?

Jürgen Riethmüller ( 2013): (Wann) Soll politischer Aktivismus als Kunst anerkannt werden?. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 02 , https://www.p-art-icipate.net/wann-soll-politischer-aktivismus-als-kunst-anerkannt-werden/