Money knowledge is power

Künstlerische und mediale Strategien von „Occupy George“

Die Dekonstruktion des Dollarscheins als Ikone des Kapitalismus

Cash und Dao setzen dabei der Symbolwelt des Dollarscheins, der wohl wie kein anderer Geldschein medial zur Ikone des Kapitalismus, des Wohlstands und des damit verbundenen, amerikanischen Traumes stilisiert worden ist, dessen Trümmer in Form von harten Fakten entgegen. Die Virtualität der Finanzmärkte und ihrer von der Lebensrealität der Menschen entkoppelten, spekulativen Eigendynamik wird mit allgemein verständlichen, auf die triste Lebensrealität vieler US-Amerikaner hinweisenden Infografiken kontrastiert. Indem Cash und Dao sich die von Fernsehen und Zeitungen oft genutzte Darstellung von Fakten per Infografik aneignen, und Fakten über die ungleiche Einkommensverteilung in den USA den Zeichen des Dollarscheins und deren Anspruch auf Wahrheit und Vertrauen gegenüberstellen, thematisieren sie den öffentlich ausgetragenen Kampf um Bedeutungen. Banknoten werden als öffentlich agierender Kommunikationsträger gezeigt, in dessen öffentlicher Wahrnehmung über Werte kommuniziert wird. Der Dollarschein wird dabei als bloßer bedruckter Zettel dechiffriert, dessen Papier, Symbole, Wörter und Zahlen inhaltlos und wertlos wären, wenn Menschen nicht an ihre Symbolhaftigkeit und Wertkonstrukt glauben und ihre Lebensrealität an diese koppeln würden. Indem der Dollarschein gleichzeitig zum entweihten Medium der Informationsübertragung und zum gegen sich gekehrten Symbolträger wird, wird dessen Deutungshoheit angezweifelt und seine subversive Macht enthüllt, denn bereits die Homepage von „Occupy George“ verkündet: „money knowledge is power“.

Die Aneignung systeminhärenter Verteilungsmechanismen

Doch wie erreicht dieses Wissen die Menschen? Die bedruckten Dollarscheine von „Occupy George“ kehren nicht nur die Zeichensprache und den Wertanspruch des Geldscheines gegen sich selbst, indem sie Zahlen auf Zahlen treffen lassen, sondern eignen sich auch dessen Verbreitungsmethoden, Reichweite und Dynamik an. Indem den Scheinen nicht ihre offizielle Anmutung genommen wird, können sie sich mitsamt ihrer neu gewonnenen Bedeutung grenzenlos über Kassen, Geldbörsen und Verkehrswege distribuieren und somit als subversive Botschafter von „Occupy George“ dienen. „Occupy George“ kapert nicht nur das Geld selbst, sondern verbreitet sich wie ein Internetvirus unkontrolliert und eigendynamisch über dessen systemeigene Distributionsnetzwerke und schafft dadurch alternative Informationskanäle. Der Wirkungsgrad des Projektes erhöht sich durch die unkalkulierbare Distribution des Geldes, bei der im Gegensatz zur durchgeplanten und zielgruppenkalkulierten Verbreitungsmethode eines Produktes in der freien Wirtschaft die Unberechenbarkeit zum größten Vorteil wird. Je mehr bisher unbeteiligte und uninformierte Bürger das Projekt erreicht, desto erfolgreicher kann es werden. „Occupy George“ schafft sich also ständig neue Öffentlichkeiten, indem ein ununterbrochen anarchistisch durch alle Schichten zirkulierender Werbeträger für das Projekt geschaffen wird. Dass Cash und Dao 1-Dollarscheine und nicht 100-Dollarscheine verwenden, stellt dabei sicher, dass ihr Anliegen auch speziell die Einkommensschwachen erreichen kann.

Der Virtualität und Ungreifbarkeit des numerischen Handels auf den Finanzmärkten werden persönliche Geschäfte zwischen Menschen entgegengesetzt, die wissend oder unwissend zu TrägerInnen der systemkritischen Botschaft des Projekts werden. Die Infografiken von „Occupy George“ erreichen die Menschen an öffentlichen Orten, an denen Geld gegen Waren eingetauscht wird, und konfrontieren sie im Moment des Tausches auf eindringliche Art und Weise mit einer Metaperspektive des Wirtschaftssystems und seiner Dynamiken. Ivan Cash selbst sieht diese unmittelbare Konfrontation im Vergleich zu anderen Protestmethoden im öffentlichen Raum als deutlich wirkungsvoller an: „The method of Occupy George is ‚much more approachable than to march down the street and yell at people shopping.‘“ (Gray 2011, o.S.)star (* 6 )

Tatsächlich kann man sich auf der „Occupy George“-Homepage, die auf jedem der Geldscheine genannt wird, die Vordrucke der Stempel gratis herunterladen, um selbst Geldscheine zu bedrucken oder die „Occupy George“-Stempel zu reproduzieren und somit die Inhalte auch durch den eigenen, lokalen Geldkreislauf zirkulieren zu lassen. Jede/r kann mit beschränkten Mitteln somit das Projekt unterstützen und in die Öffentlichkeit tragen, eben auch weil das Bezahlen mit einem gestempelten Dollarschein sicherlich erst einmal einiger Erklärung bedarf. Durch die freie und anarchistische Verbreitung der bedruckten Geldscheine und der Stempelvordrucke intendiert das Projekt, explizit Nachahmung zu initiieren und damit auch jenseits des oftmals elitären Diskurses im Museums- und Galeriebetrieb neue Öffentlichkeiten für sein Anliegen zu schaffen. Dabei sollen die bedruckten Dollarscheine keine Copyright-geschützten Einzelstücke bleiben, sondern von jedem Einzelnen kopiert und vervielfältigt werden. Das Projekt gewinnt seine Relevanz und Potenz tatsächlich erst dadurch, dass es legal mechanisch und digital reproduzierbar und somit breitenwirksam wird.

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Barley, A. (2001). Subvertising. New Statesman. Online unter: http://www.newstatesman.com/node/140356 (15.05.2013)

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Cash, I. und Dao, A. (2011). The Occupy Movement Inspires Creativity. Online unter: http://www.huffingtonpost.com/andy-ivan/the-occupy-movement-inspi_b_1032849.html (20.03.2013)

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Clendaniel, M. (2011). The Ad Men Behind Occupy George. Online unter: http://www.fastcompany.com/1788448/ad-men-behind-occupy-george-occupy-wall-street-infographics-printed-dollar-bills (05.06.2013)

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Dery, M. (1990). The Merry Pranksters And the Art of the Hoax. In: New York Times vom 23.12.1990. Online unter: http://www.nytimes.com/1990/12/23/arts/the-merry-pranksters-and-the-art-of-the-hoax.html?pagewanted=all&src=pm (20.03.2013)

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Dery, M. (1993). Culture Jamming: Hacking, Slashing and Sniping in the Empire of Signs. Online unter: http://project.cyberpunk.ru/idb/culture_jamming.html (20.03.2013)

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Gray, R. (2011). The Creaters of ‘Occupy George’ Speak. Online unter: http://blogs.villagevoice.com/runninscared/2011/10/the_creators_of.php (05.06.2013)

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Livingston, S. und Lunt, P. (1994).  Talk on Television: Audience Participation and Public Debate. London & New York: Routledge.

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Lloyd, J. (2003). Culture Jamming: Semiotic Banditry in the Streets. Online unter: http://www.hums.canterbury.ac.nz/cult/research/lloyd.htm (15.05.2013)

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Tactical Technology Collective (2011). Occupy George: Remixed Dollar Bills. Online unter: http://informationactivism.org/en/occupy-george-remixed-dollar-bills (15.05.2013)

„Culture Jamming“ kommt als Begriff eigentlich aus dem Amateurfunk und beschreibt die illegale Störung eines Signals. Siehe auch Text von Daniela Prantl in p-art-icipate #1.

Der Begriff des „öffentlichen Raumes“  kann in diesem Kontext sowohl abstrakt im Sinne von Habermas, also als utopischer Ort demokratischer Verhandlungen zwischen Bürgerschaft und Politik, aber auch als materielle Verwirklichung dieses Raumes beispielsweise in einer Stadtarchitektur gesehen werden.

Tobias Kösters ( 2013): Money knowledge is power. Künstlerische und mediale Strategien von „Occupy George“. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 03 , https://www.p-art-icipate.net/money-knowledge-is-power/