„Radikalität findet dort statt, wo ich meine eigenen Regeln breche.“
Can Gülcü im Gespräch mit Anita Moser über politische Kulturarbeit und Grenzüberschreitungen in einer von Ungleichheit geprägten Gesellschaft
Im Grenzraum zwischen Politik und ‚echter‘ Kunst
Ich möchte auf die von dir angesprochenen ‚Geschenke der Diversitätspolitik‘ zu sprechen kommen. Wie würdest du in diesem Zusammenhang die WIENWOCHE positionieren?
Zweischneidig. Ich würde sagen, die WIENWOCHE ist ein klassisches Diversitätsprojekt, also das, was ich kritisiere. Die Stadt Wien als Fördergeber kann sich damit repräsentativ schmücken und sagen, dass in Wien neben diesen und jenen Projekten auch die WIENWOCHE stattfindet und damit das ‚Segment Migration‘ abgedeckt ist. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch so, dass die WIENWOCHE konkrete Handlungsspielräume eröffnet. Sie ist eine Institution in dem Sinn, dass sie für einen bestimmten Zeitraum zugesicherte finanzielle Mittel hat. Die Frage ist aber, was passiert mit dem Wissen, das die WIENWOCHE generiert, mit der Professionalisierung einzelner Personen – der Künstler_innen, der Menschen, die in der Produktion arbeiten, der Leiter_innen. Nicht symbolisch, sondern ernst gemeinte Diversitätspolitik würde bedeuten, dass alle diese Menschen in anderen Institutionen landen, weil man sie da händeringend sucht. Das passiert aber nicht, weil die kulturpolitische Annäherung an solche Projekte die ist, dass sie symbolisch-repräsentativ sein sollen und nicht ein Zwischenschritt hin zu einer Veränderung der Institutionen selbst. Wenn man Brüche in der gewöhnlichen institutionellen Praxis haben möchte, muss man auch die entsprechenden Menschen in die Institutionen holen. Es ist zwar nicht so, dass ‚eine lesbische Frau mit Migrationshintergrund‘ besseres Theater macht als ein ‚weißer,*2 *(2) alter Mann‘. Das wäre wahnsinnig schematisch. Aber es macht einen Unterschied, ob Personen, die Diskriminierungserfahrungen haben oder die aus anderen Kämpfen kommen, etwas zu sagen haben oder nicht. Die Person macht ihren Job vermutlich einfach anders.
WIENWOCHE als Vorzeigeprojekt der Stadt Wien bestätigt gewissermaßen, dass jedes System seine Brüche, Differenzen, Abweichungen produziert, duldet oder auch fördert, sie gleichzeitig aber auch vereinnahmt und dadurch in ihrem ‚widerständigen‘ Potenzial schwächt.
Bei der WIENWOCHE haben wir auch selbst unsere eigenen Brüche produziert, was diese Vereinnahmung vielleicht erschwert hat. Wir waren von Anfang an nicht sehr daran interessiert, dass unsere Projekte in den Medien im Feuilleton als Kunstprojekte diskutiert werden. Uns war wichtig, dass die Projekte in der Chronik, im Stadtleben landen – und zwar mit ihrer politischen Aussage. Damit übernimmt man als Kultureinrichtung eine Aufgabe, die vielleicht oft nicht als ihre eigentliche angesehen wird. Statt Einzelpositionen sichtbar zu machen oder repräsentativ bestimmte Personen in den Vordergrund zu ‚spülen‘, war uns wichtig, auf verschiedene Konfliktthemen in der Gesellschaft hinzuweisen und diese in jenen Foren, die eher wahrgenommen werden, repräsentiert zu wissen. Dadurch nimmt man sich natürlich etwas, z.B. dass man im künstlerischen Feld ernst genommen wird.
Du sprichst damit die Grenzen zwischen Kunst und Politik in Hinblick auf ihre feldspezifischen Anerkennungs- und Legitimierungsmodi an. Politik arbeitet mit klaren Forderungen, Kunst hingegen mit Komplexität und Abstraktion. Politische Wirksamkeit spießt sich mitunter mit Regeln der Anerkennung im Kunstfeld.
Genau das ist das Spannungsfeld, gleichzeitig aber auch das Spannende. WIENWOCHE ist immer wieder mit Kritik bedacht worden, etwa dass es sich um eine ‚DIY-Birkenstock-WIENWOCHE mit Mitmachaktivitäten‘ handle, aber ‚echte‘ Kunst in den ‚echten‘ Kultureinrichtungen stattfände. Das hat natürlich mit Abwertung zu tun. So einer Kritik ist aber wahnsinnig schwer zu entgegnen aus dem gesellschaftspolitischen Selbstverständnis der WIENWOCHE heraus mit ihrem Anspruch an spezifische Produktionsbedingungen trotz wenig Geld: nämlich Eigenproduktionen über einen längeren Zeitraum zu entwickeln, mit ordentlich bezahlten Mitwirkenden, mit dem Ziel, künstlerisch Interessierte ebenso wie gesellschaftstheoretisch und politisch Interessierte anzusprechen. Dahin zu kommen, das Maximum an ‚künstlerischer Qualität‘ und das Maximum an diskursiver Durchschlagskraft in einem Gleichgewicht zu halten, war das Anliegen. Es ging nie um Sichtbarkeit oder Repräsentationspolitik in dem Sinne, dass nun auch Migrant_innen, LGBTIQ, Schwarze Aktivist_innen Kulturarbeit machen, sondern vielmehr darum, Strategien auszuprobieren, mit denen wir in gesellschaftliche Diskurse intervenieren können.
Anita Moser, Can Gülcü ( 2018): „Radikalität findet dort statt, wo ich meine eigenen Regeln breche.“. Can Gülcü im Gespräch mit Anita Moser über politische Kulturarbeit und Grenzüberschreitungen in einer von Ungleichheit geprägten Gesellschaft. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/radikalitaet-findet-dort-statt-wo-ich-meine-eigenen-regeln-breche/