Nicolas Haeberli ist Grafiker, Designer und Inhaber einer Grafikagentur (vgl. Büro Haeberli) (* 6 ) in Zürich.
Du befasst dich zwar nicht unmittelbar mit dem Verhältnis von Kunst und Politik, hast aber an einigen politisch motivierten Kunstaktionen unterstützend mitgewirkt. Wie legitim erscheinen dir Vorhaben, die mit künstlerischen Mitteln die Problematik der Migration verhandeln?
Ich finde es enorm wichtig, politisch brisante Inhalte in die Kunst reinzubringen. Erst dann erhält sie, meiner Meinung nach, ihre gesellschaftliche Relevanz. Tatsächlich beobachte ich, dass bei partizipativen Projekten zum Thema der Migration Beteiligte oft instrumentalisiert werden. Zugleich wären viele Aktionen ohne ihre direkte Teilnahme zu wirkungsschwach. Es stellt sich also die Frage, ob man Menschen mit realen Ängsten, Nöten und sehr existenziellen Problemen auf diese Art und Weise einbinden darf, während sie sich in einer prekären Situation befinden und kaum einordnen können, ob sie sich damit selbst ins Bein schießen oder etwas Nützliches tun. Und dann stehen sie da vor einer Entscheidung wie kleine Kinder, die gefragt werden, ob sie in einer Reality-Show mitmachen wollen oder nicht.
Wobei ich mich auch frage, ob die Tatsache, dass sich in mir alles dagegen sträubt, eben gerade für solche Projekte spricht. Das Unbehagen, das sie auslösen, hat, denke ich, nicht zuletzt damit zu tun, dass immer, wenn ich zum Beispiel in meinem Umfeld über Asylsuchende diskutiere, ihre Realität eigentlich völlig abstrakt bleibt. Wir debattieren zwar empört darüber, wie viel Quadratmeter ein Asylant zur Verfügung hat und ob er acht oder elf Franken pro Tag bekommt und danach gehen wir ins Restaurant lecker essen und später ins Kino. Wenn man also unsere Normalität durch eine tatsächliche, unerwartete Begegnung mit der Realität der Asylsuchenden brechen würde, indem man sie in unser Wohnzimmer setzen und damit eine echte Konfrontation erzeugen würde, wäre dies nicht einfach nur interessant, sondern auch wichtig. Aber, ist das fair, ist das ehrlich, ist das richtig den einzelnen Schicksalen dieser Menschen gegenüber? Das sind die immer wieder aufkommenden Zweifel, die ich gegenüber künstlerischen Annäherungen an dieses Thema empfinde.
Da stellt sich die Frage, für wen solche Aktionen letztlich gemacht werden und um wen es dabei genau geht.
Bei einer Kunstaktion geht es schließlich immer um die KünstlerInnen selbst. Sie wollen an Relevanz gewinnen, Erfolg haben. Und das finde ich gerade bei Aktionen mit einem politischen Inhalt problematisch. Klar, PolitikerInnen wollen das auch, jedoch bleiben sie Teil einer politischen Gemeinschaft. Ich bin mir nicht sicher, ob ehrliches politisches Engagement für die Sache letztlich besser und legitimer wäre. Eine Kunstaktion kann ja schließlich immer als Nur-Kunst abgetan werden.
Inwiefern sind KünstlerInnen, die sich in ihren Projekten mit der Problematik der Migration beschäftigen, denn überhaupt in der Lage, dem Verdacht eines selbstbezogenen und selbstreferenziellen Handelns entgegenzuwirken?
Es kommt sicher auf die jeweilige Sensibilität und die Ernsthaftigkeit im Umgang mit einem so komplexen Thema an. Darf man als KünstlerIn das Wohl der Menschen aufs Spiel setzen? Darf man eine plakative Sprache für den Umgang mit einem sehr diffizilen Problem anwenden? Ich denke, dass man das darf, aber nicht, um sich selbst zu exponieren. Es kommt letztlich immer auf das konkrete Setting des Projektes an. Kann zum Beispiel ein Projekt, während es stattfindet, neben seinem inhaltlichen Fokus stets auch noch selbst mitreflektiert werden? Welche Rolle nimmt der/die jeweilige KünstlerIn im Projekt ein, wie sehr stellen sie sich in den Vordergrund des Geschehens?
Ich frage mich aber auch oft, warum politisch engagierte Projekte, wie etwa Kunstaktionen in sozialen Problembezirken, immer unter dem Prädikat der Kunst realisiert werden müssen. Warum macht man nicht genau das Gleiche, aber mit einem etwas pragmatischeren Ansatz? Wieso geht man nicht einfach hin und sagt: „Lasst uns unsere Häuser anmalen?“ Warum darf das nicht einfach eine Bewegung, sondern muss unbedingt eine Kunstaktion sein? Es muss ja auch nicht zwingend als politisch bezeichnet werden, sondern wir nehmen einfach etwas selbst in die Hand und gestalten unsere Umgebung. Es ist wohl tatsächlich so, dass es meistens KünstlerInnen sind, die auf solche Ideen kommen …
Dann gibt es natürlich eine ganze Reihe von pragmatischen Gründen, wie etwa die Tatsache, dass man auf diese Art und Weise die Aktion besser einordnen kann, nicht zuletzt auch um Zuschüsse aus der Kunstförderung zu bekommen. Aber sicher geht es immer auch um die gewisse Aura, die Kunst allein schon auf begrifflicher Ebene zu generieren vermag.