„Man muss jenseits der Politik agieren“

Der Journalist und Medienkritiker simon INOU im Gespräch mit Anita Moser über (Selbst‑)Ermächtigung, Rassismen und kulturelle Teilhabe „aller“

simon INOU engagiert sich seit über 20 Jahren gegen Rassismus und die Diskriminierung von Schwarzen in Österreich, unter anderem als Mitbegründer und Chefredakteur von Afrikanet.info, dem ersten Informationsportal über Menschen afrikanischer Herkunft und ihre Diaspora im deutschsprachigen Raum, oder im Rahmen verschiedener Projekte des von ihm gegründeten Vereins zur Förderung interkultureller Medienarbeit M-MEDIA. Ein wichtiger Fokus seiner Arbeit ist, Migrant_innen und deren Perspektiven in Mainstream-Medien sichtbar zu machen. Dabei ist Selbstermächtigung zentral, was für simon INOU nicht nur bedeutet, als Migrant oder Migrantin selbst zu Wort zu kommen, sondern auch die Sprache zu bestimmen, in der über Migrant_innen gesprochen wird. Über Möglichkeiten der (Selbst‑)Ermächtigung, Rassismen, kulturelle Teilhabe „aller“ und die größten Hürden dabei sowie Wünsche in Bezug auf Salzburg spricht er im folgenden Interview.

Was bedeutet für dich „Kunst und Kultur für alle“ in einem allgemeinen Sinn und in Bezug auf Salzburg?

Für mich bedeutet „Kunst und Kultur für alle“ erstens die Möglichkeit, sich mit allen, die im Land Salzburg oder auch in anderen Bundesländern wohnen, und mit deren Lebenswirklichkeiten vor Ort aktiv auseinanderzusetzen. Zweitens, dass sich alle diese Menschen eingeladen fühlen teilzuhaben und drittens mitgestalten oder sogar selbst gestalten können. Wenn ich mich als „Fremder“ – ich rede jetzt aus meiner afrikanisch-kamerunischen Perspektive –, der in Salzburg oder in Wien lebt, nicht eingeladen fühle, mitzugestalten, nehme ich mir das Recht zu gestalten. Gestalten bedeutet für mich auch, dass ich jenseits traditioneller Grenzen gehe.

Mein Verständnis von Kultur in diesem Zusammenhang ist, dass wir nicht den klassischen Weg gehen sollten. Wir sind in einem Land, ob in Salzburg oder in Wien, in dem wir es mit einem „harmoniesüchtigen“ Kulturbegriff zu tun haben. Alles, was schön ist, ist – unhinterfragt – willkommen. Alles, was jenseits des sogenannten Kanons liegt, ist nicht willkommen. Meine Aufgabe ist es, diese Grenzen aufzubrechen und zu hinterfragen.

An wen denkst du bei dem Begriff „alle“?

Wenn es um Kultur oder die Definition von Kunst und Kultur in einer Stadt geht, brauchen wir klarerweise nicht nur die, die im Mainstream sind, sondern auch die, die jenseits dieses Spektrums agieren. Das sind Migrantinnen und Migranten wie ich, oder Flüchtlinge, die aus anderen Nationen kommen, das sind Frauen, die teilweise aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, das sind Menschen mit Behinderungen oder mit anderen Religionsbekenntnissen. Wenn ich jetzt anfangen würde, das auf Individuen zu reduzieren, beträfe das wohl alle Bevölkerungsschichten, die in Salzburg leben.

Du sagst, man müsse sich eingeladen fühlen, mitzugestalten. Wie kann ein Klima geschaffen werden, so dass sich Menschen dazu eingeladen fühlen?

Ich nenne ein einfaches Beispiel. Ich komme aus Kamerun und habe in Österreich Asyl bekommen. Wie werde ich als Kameruner, also aus einem afrikanischen Land, hier in dieser Gesellschaft wahrgenommen? Der erste Schock ist, dass Leute hier – wie ich in verschiedenen Workshops an Schulen feststelle – überhaupt nichts mit Kamerun und Afrika anfangen können. Afrika kennt man aus den Medien und es ist immer mit Armut verbunden. Ich frage mich: „Wie kann ich da auf einer kleinen Ebene etwas verändern? Gibt es Möglichkeiten, Projekte zu machen bzw. eine Finanzierung dafür zu erhalten, um andere Meinungen zu verbreiten?“ Man stellt fest, dass es dazu wenige Möglichkeiten gibt, weil es im Stadtbudget nicht eingeplant ist. Dieses ist eher an größeren, traditionellen Gruppen orientiert. Wenn ich mit einem konkreten Projekt und dem Anliegen, es zu unterstützen, zur Stadt gehe und die Antwort nein ist, ist es für mich klar, dass ich nicht eingeladen bin. Das heißt, für mich ist die Einladung nicht, dass ich zu Hause sitze und warte, dass die Stadt zu mir kommt und sagt „Mach das!“, sondern die Frage, was ich beitragen kann, und ob die Stadt dafür Interesse zeigt.

Es gäbe auch die Möglichkeit, dass die Stadt etwas initiiert, dass sie in verschiedene Communities geht und sagt: „Wir brauchen euch. Salzburg sind wir, aber Salzburg seid auch ihr. Kommt vorbei und schauen wir gemeinsam, was wir für diese Stadt machen können.“ Ein weiterer Punkt ist, dass die Stadt sich in Bezug auf die Einladungspolitik in Richtung neuer Communities bewegen sollte. Es ist wichtig, zu sehen, dass es neue Communities gibt. Diese Menschen sind möglicherweise entweder aus Fluchtgründen nach Salzburg gekommen oder einfach immigriert oder sind hier, um zu studieren. Das sind Leute, die man stark einbinden kann, was für mich auch bedeutet, dass man mit jenen Institutionen zusammenarbeitet, wo diese Menschen zu finden sind. Das sind zum Beispiel Universitäten, Vereine von Communities, manchmal auch Medien. Gleichzeitig aber ist wichtig, wie gesagt, nicht zuhause zu sitzen und zu warten, dass die Stadt zu dir kommt.

Das Konzept der Black Critique kommt aus den Postcolonial Studies und den Black Studies und plädiert für die Rezeption soziologischer Phänomene vor dem Erfahrungshintergrund von Schwarzen. Black Critique „is aimed at transforming the conditions of enunciation at the level of the sign“, sagt Homi Bhabha (1994: 247), „not simply setting up new symbols of identity, new ‘positive images’ that fuel an unreflective ‘identity politics’”.

Anita Moser, simon INOU ( 2018): „Man muss jenseits der Politik agieren“. Der Journalist und Medienkritiker simon INOU im Gespräch mit Anita Moser über (Selbst‑)Ermächtigung, Rassismen und kulturelle Teilhabe „aller“ . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/man-muss-jenseits-der-politik-agieren/