„Das Dorf wird noch globaler werden“ – Digitale Teilhabe, Potenziale und Herausforderungen im Rahmen regionaler Kulturarbeit in Salzburg

Andrea Folie im Interview mit Dilara Akarçeşme

Wenn wir zurück nach Österreich und Salzburg kommen; wer sind zum Beispiel eure Multiplikator_innen?

Bei kultureller Teilhabe sprechen wir immer über Zielgruppen, auch solche, die nicht in unseren Vereinen oder Projekten vertreten sind. Zum Beispiel ist einer unserer neuen Mitarbeiter ein ehemaliger Viehauktionator. Er hat lange Jahre in dieser Position gearbeitet, ist aber künstlerisch sehr interessiert. Er spielt Theater, ist im theaterpädagogischen Bereich tätig und Musiker. Gleichzeitig ist er einer derjenigen, die sich bei Querbeet ehrenamtlich engagiert haben und wirklich aus Querbeet heraus gekommen sind. Zusätzlich hat er das nötige Hintergrundwissen. Für mich ist es essentiell, Menschen zu erreichen, die ich persönlich nicht erreichen kann. Denn für mich ist es beispielsweise nicht sehr einfach, Menschen im bäuerlichen oder handwerklichen Umfeld anzusprechen. Sie reagieren mit Sicherheit nicht auf mich. Daher brauche ich Personen, die ihre Sprache sprechen. In diesem Zusammenhang glaube ich, dass wir mit unserem neuen Mitarbeiter den richtigen dafür gefunden haben. Auf diese Art und Weise kann ich die kulturelle Teilhabe weiterspinnen, weil ich zu Zielgruppen komme, zu denen ich sonst nicht käme. Ich brauche Personal im eigenen Projekt, das aus diesem Umfeld kommt.

Im Saalachtal gibt es mittlerweile zwei Männer und eine Frau aus Syrien und dem Iran, die Sprachrohr für die Gruppe der neu Dazugekommenen sind. Es gibt immer wieder intensive Austauschgespräche, weil das Personen mit sehr kritischem Blick sind. Die junge Frau hat im Iran ihr Studium im Bereich Gender Studies gemacht und sich sehr stark für Frauenrechte eingesetzt. Nun ist sie in Unken mit ihrer Familie. Die beiden jungen Herren, der eine in Lofer, der andere in Saalfelden, sind auch sehr gute Ansprechpartner. Auf der Bürgermeisterebene habe ich ebenso ein, zwei Bürgermeister, mit denen ein intensiver Austausch stattfindet. Sie erfüllen unter anderem die Funktion des Sprachrohrs. Selbstverständlich gibt es auch Ehrenamtliche im Integrations- und im kulturellen Bereich, u.a. auch Flüchtlingshausbetreiber_innen. All diese Personen sind Multiplikator_innen.

Kannst du ein paar konkrete Beispiele zu entstandenen Projekten nennen?

In Unken zum Beispiel waren Gleichstellungsfragen, Frauenrechte und Frauenchancen ganz stark im Mittelpunkt. Wir haben einen Frauendialog gestartet, der in dieser Region zum allerersten Mal in dieser Form stattfand. Unken liegt ja etwas abseits, aber nachdem wir die Veranstaltung über Pfarren verteilt haben, sind wirklich Frauen aus Maria Alm und Saalfelden gekommen. Sie sind 30 Kilometer angereist, quasi einmal den umgekehrten Weg, von Saalfelden nach Unken. Wir haben über das Thema „Frau im Ehrenamt. Integrationsarbeit in der Gemeinde“ diskutiert. Eingeladen war Heidemarie Rest-Hinterseer von der Ökostrombörse im Pongau, die eine sehr engagierte Frauenrechtsexpertin ist. Dazu haben wir eine Frau aus Unken eingeladen, die schon seit Jahren im Integrationsbereich und gemeindepolitisch tätig ist. Wir haben uns die Frage gestellt, was es heißt, auf politischer Ebene im Integrationsbereich eine Frau zu sein. Nach diesem Gespräch sind drei Frauen auf mich zugekommen und haben gesagt: „Bitte machen wir so etwas noch einmal. Wir brauchen das unbedingt. Gerade wir Frauen tauschen uns oft nicht aus, weil wir die Ressourcen nicht haben. Machen wir das weiter.“ Daher wird diese Veranstaltung dieses Jahr erneut stattfinden.

Ein weiteres Beispiel ist Christa Hassfurther. Sie hat vor drei Jahren eines ihrer ersten Stücke in Mittersill aufgeführt, in welchem Personen aus Syrien teilgenommen haben. Wir haben einen Bus gemietet, um Menschen aus dem Saalachtal zur Aufführung zu fahren. Sowohl Einheimische als auch sogenannte Neuzugereiste haben zum ersten Mal ein zeitgenössisches Stück gesehen, in dem Laien und Profis zusammengearbeitet haben und das in unterschiedlichen Sprachen aufgeführt wurde.

Nach der Aufführung sind viele zu mir gekommen und haben gesagt: „Wir wollen auch Theater spielen.“ Ich habe mich daraufhin mit Sabine Hauser vom Kulturverein Binoggl in Lofer und dem Theater Lofer zusammengeschlossen, die uns das Theater zur Verfügung gestellt haben. Die daraus entstandenen Produktionen sind am Ende des Jahres beim Querbeettag im Kunsthaus Nexus präsentiert worden. Daraus ist das Leader-Projekt entstanden und wir hatten ein größeres Budget, um Christa Hassfurther nach Lofer zu holen und zwei Jahre gemeinsam zu arbeiten.

Andererseits sind in unserem diesjährigen Schwerpunkt Jugendliche in einem größeren Schulprojekt beteiligt, dem Anne-Frank-Projekt. Im Zuge dieses Projekts habe ich mit dem Anne-Frank-Verein in Österreich zusammengearbeitet. Dabei sind 28 Schüler_innen aus fünf Schulen in einem zweitägigen Workshop zu Galerist_innen ausgebildet worden. Jetzt geht diese Ausstellung von Schule zu Schule und die ausgebildeten Galerist_innen führen nun andere Schüler_innen, Lehrer_innen, Eltern etc. durch diese Ausstellung. Als ich das durchgerechnet habe, wurde mir klar, dass wir dadurch über 1000 junge Menschen im Pinzgau erreichen ‑ so viele Menschen zu erreichen, das hätte ich mir bis dahin nicht zugetraut!

Vielleicht kommen wir damit zurück zum Thema kulturelle Teilhabe. Da steht nicht irgendjemand vorne und erzählt, sondern junge Leute erfüllen diese Funktion. Sie sind Expert_innen für diese Ausstellung und leiten von der Geschichte zur Gegenwart über. Sie reden somit auch darüber, was sie heute erleben. Themen und Fragen, die dabei aufgeworfen werden, sind etwa: „Wie nehmen junge Menschen aktuell Inklusion und Menschen mit Behinderung wahr?“ oder: „Wie nehmen junge Menschen Ausgrenzung und Rassismus wahr?“ Der Abschluss fand in Lofer und im Nexus mit einem Rahmenprogramm statt, an welchem Zeitzeug_innen und Expert_innen aus unterschiedlichen Bereichen eingeladen waren. Ich versuche, besonders junge Menschen zu involvieren, da ich somit das Thema der Inklusion besser ansprechen kann.

„Ankommenstour Querbeet“ ist eines von vielen Projekten des Salzburger Verein IKULT, mehr Informationen zu IKULT s. http://ikult.at/ bzw. https://ikultblog.wordpress.com/

Der Verein „IKULT. Interkulturelle Projekte und Konzepte“ fördert regionale Arbeit und digitale Vernetzung im Raum Salzburg, s. https://ikultblog.wordpress.com.

Dilara Akarçeşme, Andrea Folie ( 2018): „Das Dorf wird noch globaler werden“ – Digitale Teilhabe, Potenziale und Herausforderungen im Rahmen regionaler Kulturarbeit in Salzburg. Andrea Folie im Interview mit Dilara Akarçeşme. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/das-dorf-wird-noch-globaler-werden-digitale-teilhabe-potenziale-und-herausforderungen-im-rahmen-regionaler-kulturarbeit-in-salzburg/