Auf dem Wissen von anderen politischen Kämpfen aufbauen

Sheri Avraham, Zuzana Ernst und Ivana Pilić im Gespräch mit Anita Moser und Gwendolin Lehnerer

IP: Wir haben also nicht erst im Juni 2021 mit D/Arts begonnen, sondern sind damals zum ersten Mal mit der Diskursreihe nach außen gegangen. Schon im Herbst 2020 und teilweise auch davor haben wir angefangen, mit unterschiedlichen Kulturakteur:innen über das Vorhaben zu sprechen. Damals waren wir mitten in der Corona-Hochphase und viele haben sich über dieses reconnecten gefreut.

Bevor wir also nur ansatzweise nach außen gegangen sind, wurden schon sehr viele Gespräche geführt. Wir haben den ursprünglich geplanten Start verschoben, denn der interne Prozess und das Netzwerk-Aufbauen haben zunächst viel Platz und auch Raum gebraucht.

Sheri Avraham (SA): Ich möchte noch ergänzen, dass das Netzwerk nicht unbedingt aus Akteur:innen, Kulturarbeiter:innen und Künstler:innen besteht, die schon lange an dem Thema arbeiten, sondern auch vielen jungen Stimmen eine Plattform gibt. In Wien gab es vor zehn Jahren nur wenige Organisationen, die schon an diesen Themen gearbeitet haben, und heute sind wir sehr glücklich, dass es so viele Kräfte gibt. Für uns ist es wichtig, diese Kräfte zusammen zu bringen, auch über verschiedene Generationen hinweg; die ältere oder mittlere Generation und die ganz junge Generation, die beginnt, sich jetzt mit der eigenen Politik auseinanderzusetzen und auch neue Begriffe zu entwickeln: Wie können wir diese Erfahrungen zusammenbringen, um einen Dachverband zu bilden? Das ist das erste Ziel. Aber auch eine gute, konstante Form zu finden, in der wir darauf Acht geben, wie wir die unterschiedlichen Ziele der jeweiligen Gruppen zu einem gemeinsamen Ziel verbinden können. Um ein Bewusstsein zu schaffen, z.B. dafür, wie viele Akteur:innen es in Österreich gibt, bei denen die Erstsprache nicht Deutsch ist, oder dafür, welchen Beitrag Akteur:innen für die Kunst- und Kulturlandschaft leisten, die nicht in Österreich oder in Europa geboren sind.

Was sind die größten Schwierigkeiten oder Herausforderungen in diesem Prozess? Wo stoßt ihr auf Widerstand?

SA: Eine große Herausforderung, wie in jedem Bottom-Up-Projekt, ist eine fehlende stabile und kontinuierliche Struktur. D/Arts greift dieses Problem auf und will dazu an einer Lösung arbeiten. Aus unserer Erfahrung heraus, als freischaffende Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen, ist es fast unmöglich, neben unserer regulären Arbeit noch einen Kampf allein zu führen. Mit diesem Kampf meine ich die Kritik an Diskriminierung und die Anerkennung von Diskriminierungserfahrungen, die wir im Rahmen unserer Arbeit erleben und sehen. Am Ende muss man sich dann entscheiden, wo man seine Kräfte und Kapazitäten investiert, bei mir sind das beispielsweise Briefe mit Positionierungen und Stellungnahmen. Da ich an keine Institution angebunden bin, die mir jeden Monat einen Lohn sowie Urlaubs- und Krankengeld auszahlt, muss ich schauen, dass ich meinen Monat finanzieren kann. Ich muss jeden Tag nachrechnen und darüber nachdenken, was ich mache, um Geld zu verdienen. Erst dann kann ich die restliche Zeit für meine aktivistische Arbeit, die normalerweise ehrenamtlich ist, aufwenden. Daher ist eine der wesentlichsten Herausforderungen zunächst einmal die Frage nach Ressourcen.

Ein anderes Problem ist das unterschiedliche Verständnis von Begriffen wie z.B. Diversität oder Intersektionalität. Man muss Prioritäten setzen und Privilegien abgeben – und es ist sehr schwierig, innerhalb der Community, aber auch außerhalb, eine Position als Privilegierte einzunehmen, und dies als Fakt und nicht als persönlichen Vorwurf zu verstehen.

Sheri Avraham, Zuzana Ernst, Ivana Pilić, Anita Moser, Gwendolin Lehnerer ( 2022): Auf dem Wissen von anderen politischen Kämpfen aufbauen. Sheri Avraham, Zuzana Ernst und Ivana Pilić im Gespräch mit Anita Moser und Gwendolin Lehnerer. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/auf-dem-wissen-von-anderen-politischen-kaempfen-aufbauen/