Auf dem Wissen von anderen politischen Kämpfen aufbauen

Sheri Avraham, Zuzana Ernst und Ivana Pilić im Gespräch mit Anita Moser und Gwendolin Lehnerer

Gibt es Vorbilder für euch oder Beispiele, an denen ihr euch orientiert habt?

IP: Natürlich ist Diversity Arts Culture in Berlin eine sehr wichtige Vorreiterin als Projektbüro, weil es schon seit ein paar Jahren die learnings, die man macht, wenn man in Institutionen geht, versucht aufzubereiten und anderen zur Verfügung zu stellen. In die Institution zu gehen, zu schauen, was wir daraus gelernt haben und was wir zukünftig anders machen können, sind wichtige Prozesse. Im Unterschied zu Diversity Arts Culture oder auch der Zukunftsakademie in Bochum, die beide von der Politik installiert wurden, ist D/Arts ein Projekt, das versucht, eine politische Intervention zu schaffen.

Ein anderes Beispiel sind unsere Freund:innen und Aktivist:innen in der Schweiz, die das Institut Neue Schweiz ähnlich wie D/Arts auch als Bottom-Up-Prozess gegründet haben. Das Projekt ist allerdings breiter als unseres, weil es nicht nur auf den Kunst- und Kulturbereich abzielt, sondern Fragen von Diversität und Diskriminierungskritik in unterschiedlichen Feldern bearbeitet. Uns war es wichtig, uns spezifisch – wie eine Art Akupunkturnadel – auf den Kunst- und Kulturbetrieb zu fokussieren, indem man ein strukturelles und nachhaltigeres Nachdenken in Richtung Öffnungsprozesse auch tatsächlich umsetzt und konkrete politische Schritte setzt.

Was wären im Bereich der Kulturpolitik die wichtigsten Schritte, die es jetzt für Diversität und mehr Gerechtigkeit im Kulturbetrieb zu setzen gilt?

SA: Das Projektbüro zu unterstützen. Der Wunsch ist, dass D/Arts durch Mitgliedschaften existieren kann und gemeinsam die ersten fünf bis zehn Jahre aufgebaut wird: Die Infrastruktur, der Habitus der Arbeit, das alles ist detaillierte Feinarbeit, die sich über lange Zeit entwickeln soll, mit einem Team, das sehr stabil ist. Das wäre ideal.

IP: Genau, für ein Büro der vielen Vereine und Kulturinstitutionen. Das strukturierte Nachdenken darüber, was an Öffnungsprozessen in den Kulturinstitutionen wirkt oder wie man bei der Politik auch nachhaltig monitoren kann, ist extrem wichtig. Sowohl das Büro als auch viele unserer Akteur:innen fordern, dass die Förderrichtlinien reflektiert und abgeklopft werden: Wie divers sind z.B. die Einreichenden?

Im Filmbereich zum Beispiel braucht man nicht erst über intersektionale Diversität nachzudenken, da dort noch nicht einmal die Genderquote passt. Wir haben unfassbar viel zu tun auf der Ebene der Kulturpolitik, die selbst nicht frei ist von weißen Flecken – von der Jurybesetzung bis hin zur Verteilung der Gelder. In unserem Netzwerk sind auch sehr viele Institutionen, bei denen klar ist, dass für Projekte, die sich für eine vielfältige Stadtgesellschaft aussprechen, nur Krümel-Budgets da sind. Hier ein Bewusstsein zu schaffen, der Thematik mehr Platz einzuräumen, nicht als Randthema, sondern als zentrales Thema – auch der Förderung –, diesen Auftrag an uns heißt es ernst zu nehmen. Die Aufgaben von D/Arts Projektbüro sind mannigfaltig und auf vielen Ebenen befinden wir uns noch am Anfang.

ZE: Es ist außerdem so, dass uns viele Daten fehlen – da sind auch der Bund und die Stadt mit in der Verantwortung. Zu den Prozessen der Fördervergabe, zum Beispiel den Auflagen für die Institutionen, brauchen wir Studien, damit wir Daten und klare Fakten haben, die nicht nur wie beispielsweise beim Gender-Thema aufzeigen, was der Anteil an Frauen/Männern ist. Gender selbst ist natürlich um einiges differenzierter zu sehen, und darüber hinaus müssen auch viele weitere Aspekte der Diskriminierung mit in die Studien und Analysen einfließen, wie class, race, ability usw. Bisher gibt es hauptsächlich rudimentäre Daten, mehr auf Publikumsebene: „Wer kommt in unsere Häuser und wen erreichen wir mit dem Programm?“ Aber es wird wenig darauf geschaut, wie sich das Programm zusammensetzt und wer es kuratiert, auch wer in den Häusern oder allgemein im staff in Entscheidungspositionen sitzt. Es wäre ein wichtiger Schritt, dass in diesem mehrschichtigen Prozess, nicht nur bezogen auf Wien, sondern auch auf Bundesebene, eine Analyse stattfindet, um zu wissen, wo man sinnvoll die Hebel ansetzen kann, um Veränderungsprozesse anzuregen. So eine Studie versuchen wir gerade anzustoßen.

Sheri Avraham, Zuzana Ernst, Ivana Pilić, Anita Moser, Gwendolin Lehnerer ( 2022): Auf dem Wissen von anderen politischen Kämpfen aufbauen. Sheri Avraham, Zuzana Ernst und Ivana Pilić im Gespräch mit Anita Moser und Gwendolin Lehnerer. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/auf-dem-wissen-von-anderen-politischen-kaempfen-aufbauen/