Auf dem Wissen von anderen politischen Kämpfen aufbauen

Sheri Avraham, Zuzana Ernst und Ivana Pilić im Gespräch mit Anita Moser und Gwendolin Lehnerer

IP: Ich glaube, dass uns das fake it till you make it fast ein bisschen überholt hat. Das ist vielleicht das Interessanteste an unserem Projekt, weil es einerseits so schön und kraftvoll ist und es so schnell wirkmächtig geworden ist. Was wir aber alle lernen müssen, ist, dass die Netzwerkarbeit viel Platz einnimmt. Es ist viel Arbeit, auch wenn man gemeinsam dadurch stärker wird. Von der Stärke des gemeinsamen Tuns bin ich überzeugt. Trotzdem ist die Anerkennung, wie viel wir der Netzwerkarbeit widmen, wichtig. Es geht darum, die unterschiedlichen Logiken – von großen Institutionen, von Künstler:innen, Kulturaktivist:innen oder auch von kleineren Projekten – zu erkennen und anzuerkennen, die man ja im Prozess mitnehmen will. Wir haben somit eine starke Moderationsrolle inne. Es ist viel Lernarbeit dabei. Ich musste zum Beispiel lernen, dass auch gerade die gemeinsamen Veranstaltungen, die wir mit etablierten Häusern machen, auch ein Kraftakt sind. Die Frage ist immer, wie viel Verantwortung liegt bei uns und wie viel müssen wir am Schluss stemmen. Manchmal beinhaltet das auch schwierige Momente.

Das D in D/Arts steht für unterschiedliche Begriffe wie Dialog, Diskriminierungskritik, Diversität. Was versteht ihr unter dem Begriff Diversität? Gibt es spezifische Konzepte, auf die ihr euch bezieht?

SA: Ich schlage vor, Diversität, Demokratie und viele andere Begriffe, die mit D beginnen, als D zu vereinfachen, aber auch Begriffe oder Artikel wie ‘der, die, das’ zu verkürzen, und D als Teil des Spiels mit Nicht-Muttersprachler:innen zu sehen.

Was ich unter Diversität verstehe, ist eine Übersetzung von Intersektionalität, ein Raum oder ein Gedankenraum, in dem wir Themen wieder und wieder reflektieren können, wie beispielsweise die Frage, was mein Geschlecht ist, wie ich spreche, mit wem ich wie über was spreche, was meine Privilegien sind, was der ökonomische Hintergrund ist, in dem ich mich befinde oder aus dem ich komme. All das sind wichtige Aspekte, wenn wir darüber nachdenken, wie unser Zusammenkommen möglich wird. Das sind Werkzeuge für uns – oder auch für unsere Gesellschaft – um umzudenken. Da sind die Punkte, bei denen wir schauen können, ob wir respektvoller und fairer miteinander umgehen könnten.

„Wir versuchen – im Sinne einer Handreichung – ins Gespräch zu kommen und gemeinsam auf eine Veränderung hinzuarbeiten.”

Und welche Akteur:innen braucht es dafür? Auf welchen Ebenen ist es am dringlichsten, anzusetzen?

SA: Alle! (lacht) Deswegen arbeiten wir auch mit großen Institutionen, mit Künstler:innen, mit Menschen, die schon seit drei Generationen in Österreich sind oder die gerade erst angekommen sind. Eine Änderung in der Gesellschaft kann nicht nur bei einer Gruppe ansetzen, vor allem nicht bei einer Unterscheidung zwischen „Wir“ und „Sie“ bzw. bei den „Anderen“. Und das heißt, gemeinsam neu zu denken – das kann nicht nur mit Subalternen oder nur mit Künstler:innen passieren; man muss die verschiedenen Kräfte in einen Raum und in einen Austausch bringen.

ZE: Ich glaube, das wichtige Stichwort hier ist intersektional und dass der oder unser Diversitätsbegriff komplex ist – und dass wir als einzelne Personen diesbezüglich nicht alles wissen, nicht alle Sensibilitäten und tools haben. Darum ist es wichtig, über die Expert:innen-Plattform aufzuzeigen, welches Wissen es in der Szene gibt. Ein wichtiger Aspekt ist das gemeinsame Lernen innerhalb des Netzwerks, Wissen weiterzugeben, in Beratungen zum Beispiel. Hier liegt gerade auch die Stärke, denn die Organisationen, die Initiativen und Institutionen, die Teil des Netzwerks sind, haben sehr unterschiedliche Wissensstände und Sensibilitäten. Und gleichzeitig birgt dies auch Herausforderungen, wenn sich Institutionen und Initiativen, die so unterschiedlich sind, was z.B. das Jahresbudget, Sichtbarkeit einerseits und Expertisen mit diskriminierungskritischer künstlerischer Praxis andererseits betrifft, zu einem gemeinsamen Netzwerk oder Büro zusammenschließen sollen. Es gilt hier vor allem den aktivistischen subalternen Kern zu stärken. Es braucht außerdem konkrete Maßnahmen, wie Trainings, auch innerhalb des Netzwerkes, die noch ausgebaut werden sollen. Ich will auch nochmal betonen, was für ein Kraftakt die Moderationsrolle ist. Sie ist aber notwendig, um Veränderung zu schaffen. Es geht in unserer Arbeit viel um Übersetzung, das Zusammenbringen und Brückenbauen in den Kooperationen, insbesondere mit den größeren Häusern und Strukturen, die nicht so flexibel sind, aber wo oftmals Wissenslücken vorherrschen. In politischen Kämpfen kämpft man oft mit erhobener Faust; wir versuchen hier – im Sinne einer Handreichung – ins Gespräch zu kommen und gemeinsam auf eine Veränderung hinzuarbeiten. Das war auch bei der Diskursreihe ein zentrales Anliegen.

Sheri Avraham, Zuzana Ernst, Ivana Pilić, Anita Moser, Gwendolin Lehnerer ( 2022): Auf dem Wissen von anderen politischen Kämpfen aufbauen. Sheri Avraham, Zuzana Ernst und Ivana Pilić im Gespräch mit Anita Moser und Gwendolin Lehnerer. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/auf-dem-wissen-von-anderen-politischen-kaempfen-aufbauen/