Auf dem Wissen von anderen politischen Kämpfen aufbauen

Sheri Avraham, Zuzana Ernst und Ivana Pilić im Gespräch mit Anita Moser und Gwendolin Lehnerer

Wie nehmt ihr den Kulturstandort Salzburg in Bezug auf Diversität wahr?

SA: Ich muss ehrlich sagen, dass ich mich in Salzburg wieder in Wien verliebt habe. Ich habe hier studiert und lange Zeit gearbeitet. Ich bewege mich in einer kleinen Welt – und manchmal denke ich, das ist die Norm –, in der die Sprache klar ist, der Habitus, wie wir miteinander umgehen, eindeutig ist, auch was Feminismus bedeutet, usw. In meiner Community werden bereits Begriffe aus der Theorie der 1990er Jahre kritisiert und neue Terminologien entwickelt. Salzburg – und nicht nur die akademische Welt dort – ist ambivalent. Es gibt die Haltung „wir sind ganz fortschrittlich, wir denken um, wir schreiben einen Gender Gap“, aber die Praxis ist anders als die Theorien.

In Salzburg wurde ich viel öfter – auf der Straße, im Supermarkt, in der Universität – mit dem Gefühl konfrontiert, „die Andere“ zu sein, und ich fühlte mich ziemlich allein. Dieses Gefühl brachte mich zurück in das Jahr 2006, als ich gerade in Österreich/Wien angekommen war, wo ich einer der wenigen Menschen mit dunkler Hautfarbe an der Universität war. In Salzburg Lehrerin zu werden, war ein Traum, der in Erfüllung ging, aber leider wurde er von der ständigen Erinnerung begleitet, dass ich nicht dort sein sollte, wo ich bin, und dass dies kein Ort ist, zu dem ich gehören kann – ich hatte das Gefühl, dass ich angestellt wurde, um Vielfalt vorzuführen, aber nicht, um sie zu praktizieren. Ja, in Salzburg habe ich dieses Gefühl der Einsamkeit wieder gespürt – und das Jahre nach meiner Ankunft in Österreich. Dennoch habe ich dort einige SchauspielerInnen getroffen, die aus einer aktivistischen Position heraus arbeiten und großartige Arbeit leisten, aber die Vielfalt der Stadt ist im Kulturbereich noch nicht vertreten.

IP: Ich sehe das ein bisschen ambivalenter, denn ich war von 2002 bis 2005 in Salzburg und bin es jetzt seit 2019 wieder. Einerseits bin ich auch froh, in Wien dieses breitere, starke Netzwerk an Leuten zu haben, von denen ich weiß, dass sie sich schon lange für Diversität engagieren. Andererseits ist es aber auch so, dass man manche Sachen, die in Salzburg passieren, nicht sofort sieht.

Es gibt euch bei Wissenschaft und Kunst – Verbündete also – die auch eine D/Arts Veranstaltung planen. Das Event D_Connect im Herbst setzt ja nicht bei Null an, sondern bündelt auch eure bisherige Arbeit und das in neuer Zusammensetzung. Ich finde, dass in dem kuratorischen Prozess für D_Connect auch deutlich wird, dass es schon einige Akteur:innen gibt, mit denen man vielleicht noch nicht in Kontakt war oder zu denen der Kontakt einfach lose geworden ist. Ich frage mich, wie viel es vielleicht nur an Struktur braucht, um gemeinsam auch mal spüren zu können, dass es ja einige Akteur:innen gibt. Auch bei den Black-Lifes-Matter-Protesten vor eineinhalb Jahren war Salzburg federführend dabei. Es gab Gruppen, die sich organisiert und etwas gemacht haben, was supercool ist. Vor kurzem war ich beim internationalen Tag der Roma im JazzIt, wo Aktivist:innen ein sehr schönes Kulturprogramm zusammengestellt haben, um diesen Tag zu feiern und um die Probleme von Roma und Romnja und den Rassismus, dem sie ausgesetzt sind, zu thematisieren.

Die Frage in Bezug auf Salzburg ist, wo Orte und Räume sind, damit man gemeinsam weiter macht oder sich überhaupt gemeinsam spürt und sieht, dass man nicht allein ist und im Einzelkämpfer:innen-Modus sein muss, denn das fühlt sich natürlich einsam an. Was in Salzburg vielleicht fehlt, sind tatsächlich solche Räume.

Sheri Avraham, Zuzana Ernst, Ivana Pilić, Anita Moser, Gwendolin Lehnerer ( 2022): Auf dem Wissen von anderen politischen Kämpfen aufbauen. Sheri Avraham, Zuzana Ernst und Ivana Pilić im Gespräch mit Anita Moser und Gwendolin Lehnerer. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/auf-dem-wissen-von-anderen-politischen-kaempfen-aufbauen/