Auf dem Wissen von anderen politischen Kämpfen aufbauen
Sheri Avraham, Zuzana Ernst und Ivana Pilić im Gespräch mit Anita Moser und Gwendolin Lehnerer
IP: Zur Frage nach Strategien möchte ich ergänzen, dass wir von Anfang an die Haltung eingenommen haben, dass wir keine Repräsentantinnen sind, sondern auf das Wissen von unterschiedlichen Menschen, Akteur:innen und Systemen bauen. Das ist ein zentrales Moment. Von Anfang an gab es eine Policy Group, die sich darüber Gedanken gemacht hat, wie man so ein Büro überhaupt denken kann. Nicht nur als Profil, sondern: Was macht dieses Büro? Welche Strukturen braucht es und wie können wir an einer gemeinsamen Kultur arbeiten, die abseits von Individuen und einzelnen Akteur:innen – auch systemisch – offen bleiben kann?
Essenziell ist für uns, dass marginalisierte Künstler:innen und Kulturschaffende im Mittelpunkt der Arbeit des Projektbüros bleiben. Die Vereinsstruktur wird dementsprechend aufgebaut. Die Idee ist es, einen Vorstand paritätisch zu besetzen und zwar mit Mitgliedern aus drei Kreisen: Der erste Kreis besteht aus aktivistischen Mitgliedern: Das sind großteils Vereine von marginalisierten Künstler:innen und Kulturschaffenden, die unter 50.000 Euro Jahresbudget haben. Der zweite Kreis sind Institutionen, die sich tatsächlich mit unseren Fragen auseinandersetzen, die sich für die Sache einsetzen und Teilhabe, Förderung oder Diskriminierungskritik als Kernauftrag definiert haben. Der dritte Kreis besteht aus Institutionen, die sich über die Mitgliedschaft bei D/Arts für die Sache einsetzen. Dieser besteht aus kleineren und größeren Kulturinstitutionen, die Diversität und Diskriminierungskritik nicht als Kernauftrag haben.
Warum ist es für uns so wichtig, alle drei Kreise immer synchron dabei zu haben? Da wir nicht immer in der Moderationsrolle bleiben wollen, ‚basteln‘ wir an einer Struktur, in der es einen automatischen Austausch zwischen diesen drei Kreisen gibt, der auch ohne Sheri, Zuza und mich funktioniert. Das heißt, wir initiieren das, wollen aber eine Struktur haben, die ohne uns auskommt. Diese drei Kreise werden in einer Vorstandsstruktur repräsentiert sein, wenn sich das Projektbüro gründet.
SA: Jeder dieser drei Kreise hat seine Kraft in Form von eigenem Wissen – das wollen wir verkörpern. Die Fähigkeit, sich zu vernetzen und auf einen ständigen Austausch zu bestehen, macht D/Arts – gedacht als ein Büro der Vielen – sehr wichtig. Wir haben die Fähigkeit, nicht nur Zugänge zu schaffen, sondern auch die Entwicklungen innerhalb des D/Arts-Netzwerks zu beobachten, zu hinterfragen und zu reflektieren, und das schließt auch die Institutionen ein. Gemeinsam mit dem D/Arts-Netzwerk begeben wir uns in einen ständigen Lern- und Verlernprozess, bei dem Strukturen aus der freien Szene in die Institution und umgekehrt einfließen. So sind zum Beispiel alle unsere Veranstaltungen barrierearm – etwa wenn es um den Eintritt geht. Das gehört zum Kernverständnis von D/Arts.
Gleichzeitig gehen wir mit unserer aktivistischen Haltung und unseren Gewohnheiten in die Einrichtungen und lernen wiederum dort. Wir suchen auch nach nachhaltigeren Arbeitsmethoden, wir stellen zum Beispiel Vollarbeitszeit in Frage.
Wie lässt sich bei Institutionen eine gewisse Verbindlichkeit herstellen?
Gibt es Vereinbarungen mit den Institutionen, so dass eine gewisse Verbindlichkeit hergestellt werden kann, die gewährleistet, dass sie sich nicht nur einmalig beteiligen, sondern kontinuierlich an dem Thema Diversität weiterarbeiten? Oder sind die Kooperationen sehr offen?
ZE: Das ist ein großes Thema. Gerade im Prozess der Projektbüro-Gründung, der Vereinsstruktur und der Mitgliedschaften, wird daran gearbeitet, einen letter of intent zu verfassen, um genau das anzusprechen! Die Diskursreihe war für viele einfach nur eine Veranstaltungsreihe – bei anderen hingegen ein Anstoß oder Teil eines längeren Prozesses, der schon läuft oder weiterlaufen wird. Wenn ein Bekenntnis zu einer Mitgliedschaft da ist, dann soll das auch festgehalten werden und nachhaltig umgesetzt werden. Wir sind gerade dabei auszuformulieren, was das genau bedeutet. Zusätzlich zu dem Mitgliedsbeitrag, der sich an dem Jahresbudget orientiert, braucht es bei den Mitgliedern ein commitment und gegenseitige Unterstützung im Lern- und Transformationsprozess. Wir sind hier noch in der Brainstorming-Phase, neben regelmäßigen Trainings soll es unter anderem eine jährliche Evaluation, eine Art Reporting oder einen Reflexionsprozess darüber geben, was im letzten Jahr geschehen und was vorwärts gegangen ist.
SA: Wir bleiben auch im Nachhinein mit den Organisationen in Verbindung, die Projekte oder Veranstaltungen gemacht haben. Sie sind in unserer Veranstaltungsreihe, weil sie Teil von unserem Netzwerk sein wollen, und dieses Netzwerk ist auf verschiedene Arten aktiv. Es gibt Austausch, Anfragen, Beratung.
Sheri Avraham, Zuzana Ernst, Ivana Pilić, Anita Moser, Gwendolin Lehnerer ( 2022): Auf dem Wissen von anderen politischen Kämpfen aufbauen. Sheri Avraham, Zuzana Ernst und Ivana Pilić im Gespräch mit Anita Moser und Gwendolin Lehnerer. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 13 , https://www.p-art-icipate.net/auf-dem-wissen-von-anderen-politischen-kaempfen-aufbauen/