Wer hat die Deutungshoheit, die Herrschaftsmacht und die Sprech*position, um Kultur zu schaffen oder sie zu demokratisieren?

Eva Egermann im Interview mit Dilara Akarçeşme und Persson Perry Baumgartinger

Man könnte sagen, dass der öffentliche Raum „allen“ zugänglich ist. In der Moderne meinte man mit Kunst im öffentlichen Raum v.a. Skulpturen, die einen städtischen Platz sprichwörtlich behübschen sollten (drop-sculpture). Ab den 60er Jahren kam vermehrt die Diskussion um ortsspezifische (site-specific) Kunstpraktiken auf, die quasi einen gewissen Ort, einen öffentlichen Raum, der auch medial sein kann, in die Idee involvierten bzw. in das Konzept oder in die Bedeutung eines Kunstwerks. U.a. Miwon Kwon oder Rosalyn haben dazu geschrieben. Dort geht es z.B. um den erweiterten Skulpturbegriff oder Kunst im öffentlichen Interesse. Der Paradigmenwechsel bestand eben darin, über den Ort bzw. Öffentlichkeit oder Rezipient*innenschaft einer künstlerischen Arbeit anders nachzudenken: Was sich dort abspielt, wer sich dort aufhält, welche Art von Öffentlichkeiten angesprochen werden, sind dementsprechend für die künstlerische Arbeit zentral und Teil davon. Man sagte, dass die Arbeit nur an diesem gewissen Ort existiert, weil sie sonst nicht vollständig ist. Das ging beispielsweise bis zu Gerichtsverhandlungen über eine Skulptur am Public Federal Plaza in New York von Richard Serra. Im Zuge dessen wurde ausdefiniert, dass es, so wie es materielle Zutaten einer künstlerischen Arbeit gibt, auch örtliche bzw. räumliche Zutaten einer Arbeit gibt. Sie ist quasi erst komplett an diesem einen Ort, weil sie dafür gemacht wurde, es Teil ihres konzeptuellen Inhalts ist.

Auch wandelnde Diskussionen über die Bedeutung des öffentlichen Raums sind in dem Zusammenhang interessant: Während Habermas 1962 vom Strukturwandel der Öffentlichkeit schreibt, plädiert z.B. Chantal Mouffe heute für eine „Agonistic Public Sphere“, wie sie es nennt. Öffentlichkeit würde dann entstehen, wenn eine Art Konflikt geäußert wird und sich dieser öffentlich materialisiert. Also wenn sich verschiedene Meinungen bilden und Diskussionen stattfinden. Das können Kunst- und Kulturprojekte im besten Fall tun, Konflikte sichtbar machen bzw. an die Oberfläche holen, finde ich.

GirlsOnHorses (Elke Auer, Eva Egermann, Esther Straganz, Julia Wieger), Wir haben Fragen, Was habt ihr? Im Rahmen von: Kunstmarkt Am Schöpfwerk 2007.

 

Meine Projekte wie das Crip Magazine und andere künstlerische Arbeiten beziehen sich in den letzten Jahren im weitesten Sinn thematisch auf Körper, Körpernormen, Ableismus und Diskurse aus den Disability Studies und der Crip Theory. Die Behindertenrechtsbewegung war ja u.a. geprägt von der Forderung „Nichts über uns ohne uns“. Dementsprechend ist es nach wie vor wichtig, auch Teilhabe und Zugang zu Sprecher*innenpositionen einzufordern, sei es in Kunst, Wissenschaft, politischen Funktionen oder anderen Feldern.

Man könnte euer Thema „Kultur für alle“ vielleicht auch anhand der Begrifflichkeiten aufarbeiten. Was impliziert es, dass jemand etwas für jemanden oder für eine Bevölkerungsgruppe macht? Das wäre zu definieren. Wer sind diejenigen, die Kultur produzieren? Wer ist in der Position, sie zu konsumieren? „Für“ ist u.a. mit Fürsorge konnotiert und impliziert eine starke Trennung von Produzent*innen- und Rezipient*innenschaft. In der Position Rezipient*in wird man quasi mit Kultur versorgt. Für Menschen mit Behinderung gibt es hier ein starkes Gefälle. Die Möglichkeit zu besitzen, aus diesem passiven Verhältnis heraus und selbst in die Rolle der Produzent*in bzw. Sprecher*in zu kommen, ist enorm wichtig.

Volker Schönwiese, Wenn du glaubst du bist normal,…, Seite 27 Crip Magazine #2, 2017.
Pro 21 Kampfassistenz, Fuck Sexklusion, Seite 27 Crip Magazine #2 , 2017.

 

Das Projekt „Verborgene Geschichte/n. remapping Mozart“ war ein kritisches Kunstprojekt im Rahmen des Mozartjahres 2006.

Dilara Akarçeşme, Persson Perry Baumgartinger, Eva Egermann ( 2018): Wer hat die Deutungshoheit, die Herrschaftsmacht und die Sprech*position, um Kultur zu schaffen oder sie zu demokratisieren?. Eva Egermann im Interview mit Dilara Akarçeşme und Persson Perry Baumgartinger . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/wer-hat-die-deutungshoheit-die-herrschaftsmacht-und-die-sprechposition-um-kultur-zu-schaffen-oder-sie-zu-demokratisieren/