Wer hat die Deutungshoheit, die Herrschaftsmacht und die Sprech*position, um Kultur zu schaffen oder sie zu demokratisieren?

Eva Egermann im Interview mit Dilara Akarçeşme und Persson Perry Baumgartinger

Natürlich geht es prinzipiell darum, die Rezeption von Kunst- und Kulturproduktion für alle zugänglich zu machen. Aber das ist nur der erste Schritt. Was braucht es, um diesen Zugang in jeder Hinsicht zu schaffen, seien es sprachliche, bauliche oder Verständnisbarrieren? Daneben müsste auch hinterfragt werden, wer die Deutungshoheit, die Herrschaftsmacht und die Sprecherposition hat, Kultur zu schaffen oder sie zu demokratisieren. Es ginge eben auch darum, die Produzent*innenschaft von Kultur für alle zugänglich zu machen und zu demokratisieren.

Wenn man von Zugängen spricht, denkt man zuallererst an bauliche Barrieren. Kulturprojekte finden oft dort statt, wo man ohne Hilfe nicht hineinkann. Das ist die erste Hürde bzw. das erste Ausschlusskriterium. Rollstuhlfahrer*innen sind damit schon mal ausgeschlossen. Daneben gibt es so viele weitere Hürden, wie etwa die Sprache. Abgesehen davon hat Kunst ja auch die Möglichkeit, andere Ebenen der Kommunikation bzw. Wahrnehmungsweisen anzusprechen und kann Emotionen und Situationen erzeugen.

Projekte in jeder Hinsicht barrierefrei zu gestalten, ist natürlich auch eine Herausforderung. Ich weiß, dass das viele v.a. selbst-organisierte freie Kulturarbeiter*innen sehr stresst, weil es – neben der Selbstausbeutung – einfach nicht die Ressourcen gibt, das zu gewährleisten und natürlich gibt es sehr viel Scheu davor, etwas falsch zu machen. Der Reflex ist dann, abzublocken und gar nichts zu unternehmen, um Barriere-arme Zugänge zu schaffen, obwohl manches mitunter einfach wäre. Ein angstfreier, lockerer und fehlerfreundlicher Umgang wäre da gut.

GirlsOnHorses (Elke Auer, Eva Egermann, Esther Straganz, Julia Wieger), Wir haben Fragen, Was habt ihr? Im Rahmen von: Kunstmarkt Am Schöpfwerk 2007.

 

Woran und an wen denkst du, wenn der Begriff „alle“ fällt?

In Salzburg denke ich natürlich sofort an spezifische Personengruppen, die sich dort aufhalten. Eigentlich müssten aber alle gemeint sein, also Kinder, Jugendliche, Erwachsene, ältere Menschen, Menschen aller Herkunft, jeder Klasse und jeder Orientierung. „Für alle“ klingt eigentlich harmlos, ist aber ein Anspruch.

Die Kultur-Klientel, die man sich in Salzburg vorstellt, ist die Klientel der Salzburger Festspiele, also Personen einer bestimmten Einkommensklasse. Das sind jene, die diesen Besuch auch stark als Statusobjekt wahrnehmen, weil er durchaus einen Status der Celebrity-Kultur hat. „Alle“ würde aber auch die Leute, die dort zum Arbeiten hin pendeln oder studieren, und natürlich Tourist*innen inkludieren. Tourist*innen tragen sicher eine bestimmte Erwartungshaltung bezüglich Kunst und Kultur an Salzburg heran. Die Frage ist, ob man diese Erwartungshaltung nun bedienen oder unterlaufen will.

Stadtmarketing hat die Funktion, bestimmte „besondere“ Orte zu schaffen. Für diesen Zweck wurde Kunst spätestens seit den 90er Jahren quasi gehijackt. Kassel ist beispielsweise die „Documenta-Stadt“, nach Münster fährt man wegen der Skulptur-Projekte. Das wären die offensichtlichsten Beispiele. Salzburg operiert natürlich mit dem kulturellen Erbe und der Geschichte von Mozart und der Trapp Familie bzw. „Sound of Music“ und schlägt daraus sein kulturelles Kapital. Ob sich damit „alle“ in Salzburg identifizieren, ist eher fraglich. Das Projekt Remapping Mozart*1 *(1) fand eigentlich nicht in Salzburg statt, sondern in Wien.

Während durch Anti-Gentrifizierungs- und Recht-auf-Stadt-Bewegungen generell solche Tendenzen in der Geschichte immer auch kritisch gesehen wurden, habe ich den Eindruck, bleibt das heute nahezu unhinterfragt.

Das Projekt „Verborgene Geschichte/n. remapping Mozart“ war ein kritisches Kunstprojekt im Rahmen des Mozartjahres 2006.

Dilara Akarçeşme, Persson Perry Baumgartinger, Eva Egermann ( 2018): Wer hat die Deutungshoheit, die Herrschaftsmacht und die Sprech*position, um Kultur zu schaffen oder sie zu demokratisieren?. Eva Egermann im Interview mit Dilara Akarçeşme und Persson Perry Baumgartinger . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/wer-hat-die-deutungshoheit-die-herrschaftsmacht-und-die-sprechposition-um-kultur-zu-schaffen-oder-sie-zu-demokratisieren/