Wer hat die Deutungshoheit, die Herrschaftsmacht und die Sprech*position, um Kultur zu schaffen oder sie zu demokratisieren?

Eva Egermann im Interview mit Dilara Akarçeşme und Persson Perry Baumgartinger

Wer ist denn „alle“ in deinen Kunst- und Kulturprojekten? Oder ist das überhaupt ein Anspruch für dich?

Das erste Crip Magazine hat sich nach dem Zufallsprinzip an viele mit einer 7.000-Stück-Auflage gerichtet. Wir haben versucht, die Auflage soweit wie möglich zu erhöhen und die Zeitschrift verschiedenen gratis Straßenzeitungen beigelegt und an öffentlichen Orten verteilt bzw. aufgelegt. Wir versuchten, das Crip Magazine sehr weit zu verbreiten und es nicht nur in Kunstinstitutionen, Museen etc. zu verteilen, sondern auch in Institutionen der Zivilgesellschaft, Kulturvereinen, Kulturzentren oder gemeinschaftlich organisierten Räumen. Es hat sich an sehr verschiedene Kontexte gerichtet, von denen wir glaubten, dass sie etwas damit anfangen können.

Dementsprechend gibt es auch verschiedene Zugänge nebeneinander und unterschiedliche Themen im Heft, die wahrscheinlich verschiedene Leute mehr oder weniger interessiert. Ich glaube, dass für manche Leute vielleicht manches zu schwierig ist. Manche Menschen lesen nicht so gerne lange Texte. Es gibt aber auch visuelle Inhalte, mit denen man dann mehr anfangen kann. Das Magazin fällt inhaltlich absichtlich auseinander und das ist gut so.

Eva Egermann, Coverdesign Crip Magazine #1 von Anette Knoll Printeretto, 2012.
Daphne Boggeri, Feeling Bad, Seite 27 Crip Magazine #1, 2012

 

Die Beitragenden vertreten verschiedenste Positionen, sind also aus den verschiedenen Communities und haben großteils auf unterschiedlichste Weise eine Behinderungserfahrung. Wenn man sich den Raum des Crip Magazines als sozialen Raum vorstellt, ging es darum, verschiedene Affinitäten und Wahlverwandtschaften zu ermöglichen und einen Raum zu schaffen, der die Kategorien, Diagnosen und Schubladen von Ability und dementsprechend auch Hierarchien von Status und Sprecher*innenpositionen nicht weiter bedient und re-produziert.

Das ist in vielerlei Hinsicht ein Experiment und ist noch nie da gewesen. Insofern findet sich der Beitrag der Künstlerin und Uni-Professorin aus Berkeley neben dem Gedicht eines in einer Caritaswerkstätte in Gumpoldskirchen arbeitenden Autors. Oder die Zeichnungen eines bereits verstorbenen Art Brut-Gugging-Künstlers neben dem Poster der Aktivist*innengruppe mit Trisomie21. Der Text des radikalen Krüppel-Autors und Theatermachers neben Leuten aus der amerikanischen Crip Culture-Szene. Der Beitrag eines der Begründer der Selbstbestimmt Leben-Bewegung neben den Charts einer Malerin mit Sehbeeinträchtigung. Und so weiter und so fort.

Als ich begonnen habe, in diese Richtung zu arbeiten, gab es für so eine Auseinandersetzung keine Plattform. Das erste Crip Magazine ist 2011, also vor mittlerweile schon sieben Jahren herausgekommen. Es war die Idee, so etwas zu machen, weil es das einfach nicht gibt. Aus der Notwendigkeit, einen Kontext für solche emanzipatorische künstlerische Ansätze in diese Richtung zu schaffen. Ich wollte einfach Leute kennenlernen, die auch in diese Richtung arbeiteten und da dran waren und diesen Dingen eine Plattform bieten.

Das Projekt „Verborgene Geschichte/n. remapping Mozart“ war ein kritisches Kunstprojekt im Rahmen des Mozartjahres 2006.

Dilara Akarçeşme, Persson Perry Baumgartinger, Eva Egermann ( 2018): Wer hat die Deutungshoheit, die Herrschaftsmacht und die Sprech*position, um Kultur zu schaffen oder sie zu demokratisieren?. Eva Egermann im Interview mit Dilara Akarçeşme und Persson Perry Baumgartinger . In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/wer-hat-die-deutungshoheit-die-herrschaftsmacht-und-die-sprechposition-um-kultur-zu-schaffen-oder-sie-zu-demokratisieren/