Marktstrategie: Kunst!

2. Das Prinzip der Inszenierung …

Die Inszenierung von Erlebnissen, die Emotionalisierung und Involvierung des Kunstpublikums sind jene Grundpfeiler, auf denen das Happening in den späten 50er/frühen 60er Jahren Einzug in die Kunst hält und maßgeblich Strömungen wie Performance Art, die Aktions-, aber auch die Medienkunst mitbestimmt. Die Konnektivität von Alltags- und Kunstwelt ist dabei wesentliches Postulat eines Kunstverständnisses, das Grenzen aufzuheben und neue Erfahrungsweisen zu vermitteln sucht. „Neue Erfahrungen“ versprechen ebenso sogenannte „Erlebniswelten“, die seit den späten 80er Jahren in der Industrie- und Wirtschaftswelt boomen. Christian Mikunda beschreibt diese Erlebniswelten als Plätze, „an denen sich die legitimen Marketinginteressen an Zusatzverkauf und langer Aufenthaltsdauer mit der Sehnsucht der Menschen nach halböffentlichen Räumen treffen. Es sind Orte, an denen man sich vorübergehend zu Hause fühlt und die emotional so stark sind, dass sie ihren Besuchern die Möglichkeit geben, sich emotional aufzuladen.“ (Mikunda 2002: 11)star (* 39 ) Exakt diese Intention einer emotionalen Aufladung ist zentral im Kunstverständnis Allan Kaprows verankert.

 … in der Kunst der 60er Jahre: Allan Kaprows Happening

Allan Kaprow ist Vorreiter einer Kunstgeneration, die in und seit den 60er Jahren Kunstrezipierende als aktiven Part ihres Kunstwerkes und -schaffens verstanden hat. „Be part of it“ lautet die Maxime seines Kunstverständnis, dessen Environments und Happenings darauf abzielen, dass das Publikum selbst zum Akteur, dass es „buchstäblich Teil des Werkes wird“ (Ursprung 2003: 41)star (* 8 ). Die Grenzen von Kunst und Alltag, von Kunst und Kunstbetrachtenden gilt es aufzuheben, Barrieren gegenüber der Kunst abzubauen und Kunst mit mehreren Sinnen erlebbar zu machen. 1959 veranstaltete Kaprow (erstmals) sein „18 Happenings in 6 parts“, das als erste Kunstaktion dieser Art in der Kunstgeschichte gilt. In der Einladung dazu heißt es: „Suchen Sie weder Gemälde, Skulpturen, Tanz oder Musik […] der Künstler hat keine Absicht, solche anzubieten. Er will vielmehr für anregende Situationen sorgen.“ (Ebenda: 81)star (* 8 )

Für Allan Kaprow existiert Kunst nicht losgelöst vom alltäglichen Leben, vielmehr intendiert er beides als Synthese miteinander zu verbinden. Ähnlich den Wiener Aktionisten versucht Kaprow – jedoch verstärkt mittels der unmittelbaren Beteiligung des Publikums – das Kunstwerk „radikal von der Objektfixiertheit und dem Vorrang des Visuellen, die mit dem Medium der Malerei zusammenhingen“ (ebenda: 84)star (* 8 ) zu lösen. Das Erlebnis (der und als Kunst) rückt in den Mittelpunkt, die synästhetische Erfahrung – sogar Gerüche baut Kaprow in seine Happenings ein – soll aktiv, durch eigenes Mitwirken erzielt werden.

In anderen Happenings – wie etwa „Household“ (1964) – gelten die stets gleichen Grundgedanken: Kunst soll als Bestandteil des Alltags konzipiert und ausgeführt werden, das Happening als „einmaliges Ereignis“ stattfinden, die Teilnehmenden sollen aus der „Lethargie des Alltags“ herausgeführt werden. „Imagination und Imitation“ sind wesentliche Elemente der Dramaturgie jedes Happenings, eine neue Art der Erlebnisfähigkeit soll vermittelt und entdeckt werden. (Ursprung 2003: 58)star (* 8 )

… in den Erlebniswelten globaler Markenkonzerne: Swaroski und Red Bull

Shoppingmalls, Erlebniswelten, Produktevents – der Boom des Inszenierens von Produkten als Erlebnissen beginnt in den späten 80er/frühen 90er Jahren und hat sich seither zu einem der zentralsten Elemente der Markenkommunikation entwickelt. Dem Eventmarketing zugeordnet, werden inszenierte Erlebnisszenarien geboten, die Sensibilität, Bekanntheit und Motivation für den Erwerb von Produkten und Dienstleistungen fördern sollen – und somit einen psychologischen Zusatznutzen liefern: Denn Produkte, Dienstleistungen und Unternehmen benötigen ein eigenes charakteristisches Profil, eine „Aura“, um im Wettbewerb ein differenziertes Charakteristikum entwickeln zu können. Aktionen mit Ereignischarakter und direkter Zielgruppenansprache schaffen die notwendigen Differenzierungsfaktoren, indem sie „emotionale Nutzenvorteile“ (Mikunda 2002: 13)star (* 39 ) begreifbar machen und damit Markenpersönlichkeiten prägen.

Mit den 1987 vom österreichischen Künstler (!) André Heller gestalteten „Swarowski Kristallwelten“ war das Unternehmen Swarowski eines der Ersten, das mit Emotionalisierungsstrategien auf Kundenbindung und Erlebnisinszenierung ihrer Produkte setzte: „Das Zauberwort heißt Kristall. Ein Rohstoff, dem schon die ältesten Kulturen eine magische, wohltätige und segensreiche Wirkung zuschrieben. Das faszinierende Material verwandelte die Welt der Mode und der Schönheit in ein verführerisch funkelndes Universum. Es inspirierte die Menschen und bereicherte die Kunst und Kultur. Heute ist Kristall zu einem Stück Verbindung zwischen den Menschen geworden. Und ein Licht der Freude, das wir an Sie weitergeben möchten.“ (Swarowski-Website 2008, Seite Einkaufserlebnis)star (* 9 )

Swarowski Kristallwelten

Die Swarowski Einkaufswelten inszenieren ein Erlebnis des Staunens, über das die KundInnen emotionalisiert, und zum Kauf der – im anschließenden Schauraum ausgestellten – Produkte angeregt werden: „Sie [Anm.: Die BesucherInnen] feiern Spannungen ab, indem man dort (dann) Kleinigkeiten kauft, die man nicht wirklich braucht, die aber zur Entlastung des Alltags beitragen“. Diese „sinnlich-aufgeladene künstliche Welt“ wird ein „temporärer Lebensraum“, in dem der/die KonsumentIn in eine „Rolle schlüpfen kann“, die es ihm/ihr ermöglicht „das Besondere, das Extravagante zu erleben, das, was einem im Alltag nicht zugänglich ist“. Swarowski stimuliert aktiv die Erwartungen der BesucherInnen, erweckt ihr Begehren, indem der Einkauf als Erlebnis inszeniert und zu einem Spiel von Spannung und Entspannung eingeladen wird: „Hinter jedem Ort des Begehrens steckt das Spiel von Spannung und Entspannung […]. Man begehrt immer dann, wenn man versucht, am Ende eines Weges etwas zu bekommen, was emotional die Erwartungen befriedigt.“ (Mikunda 2001: 112)star (* 39 )

Mit dem Slogan „Willkommen in meiner Welt – der Welt von Redbull“ führt auch Red Bull seit den späten 80er Jahren vor, wie ein Produkt mit Erlebnisfunktionen ausgestattet und aufgeladen werden kann: Nicht nur, dass das Produkt selbst durch subversive Fragestellungen nach dem (vermeintlichen) Tauringehalt des Energiegetränkes mit der Aura des Geheimnisvollen ausgestattet wird, wird in Folge eine eigene Erlebniswelt rund um das Produkt geschaffen. So tritt Red Bull als aktiver und stark präsenter Sponsorpartner bei fast allen Veranstaltungen im Bereich des Extremsports (IronMan, Basejumping, Wildwasserkajaken …), die Erlebnisse auf höchster Emotionalität versprechen, auf und avanciert damit zu einem der bekanntesten Sponsor im deutschsprachigen Raum. Mit eigenen Veranstaltungen wie etwa den Red Bull Flugtagen setzt das Unternehmen gleichzeitig selbst aktiv auf inszenierte Produktwelten, die höchste Erregung und Attraktion bieten. Red Bull dürfte dabei Kaprows Ausspruch „In der Zukunft werden vielleicht Plätze entwickelt, die sich an Spielen und Sportkämpfen orientieren“ (Kaprow 2003: 868)star (* 10 ) mehr als wörtlich genommen haben. Ebenso dürfte der Slogan für das 2011 gelaunchte Red Bull Mobile „Be part of it“ direkt der Kaprowschen Ideenschule entsprungen sein.

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