4. Das „Star-Prinzip“ …
Der Begriff „Superstar“ bezeichnet eine Person, die öffentlicher Präsenz und Aufmerksamkeit erlangt, und dabei vor allem auch künstlich konstruiert bzw. als Marke konzipiert ist: Superstars sind Prominente bzw. werden als solche ausgewiesen, die analog einer Marke Orientierung, Anker und Identitätsmuster bieten. Leonardo da Vinci, Rembrandt oder Salvador Dali haben es zwar bereits – vereinzelt – verstanden, ihre eigene Persönlichkeit geschickt in Szene zu setzen, die Perfektionierung des Personenkults und die Etablierung der eigenen Person als einer eigenen Marke hat jedoch vor allem mit und durch Andy Warhol Spuren in der Kunst gezogen: „ Andy Warhol war der erste Künstler, der es schaffte, den Glanz, der von den Helden der Filmleinwand ausging, in das System der Kunst zu übertragen.“ (Kunsthalle Wien et al. 2005: 13) (* 41 ) Die Werbeagentur Saatchi & Saatchi hat jedoch am eindrucksvollsten (und kommerziell erfolgreichsten) mit der Entwicklung des Labels „YBA“ („Young British Artists“) bewiesen, wie das Prinzip des Starkults auf die Kunstwelt übertragen, aber auch in ihrem Sinne adaptiert und erweitert werden kann.
… als universell einsetzbare Markenstrategie
In der Fachliteratur werden neben den Merkmalen Qualitätsgarantie, Ubiquität (Bekanntheitsgrad und Verfügbarkeit) sowie Kontinuität vor allem wirkungs- und funktionsbezogene Merkmale als Erfolgsfaktoren für die Etablierung einer Marke angegeben, die analog für das Starprinzip gelten: In der Markenbildung ist die Etablierung eines kollektiven Vorstellungsbildes wesentlich, das mit konkreten Attributen verbunden ist und so als „kollektives, kognitiv abgespeichertes Vorstellungsbild einer Gesellschaft oder Zielgruppe“ (Cacic 2007: o.S.) (* 18 ) Orientierung in der Marken- als auch der individuellen Zuordnung schafft. Erfolgreiche Marken sind dabei mit Attributen ausgestattet, die erst durch die Entschlüsselung des/der KonsumentIn Bedeutung erlangen. Das Produkt tritt in ein Spiel mit dem/der RezipientIn ein. Die Codierung der Marke muss sich innerhalb des Bereichs von allgemein und individuell entschlüsselbar bewegen und somit kulturelle gängige und gleichzeitig individuell interpretierbare Ordnungsmuster bereitstellen. Um langfristig eine Marke halten zu können, muss das unter einer Marke angebotene (Produkt-)Portfolio dann kontinuierlich ausgebaut und angepasst werden: Bei dieser Imageadaptierung gilt zu beachten, dass die/ der KonsumentIn das erhält, was sie/er erwartet, aber durch einen zusätzlichen Bereich an Ungewissem und Neuem in Begehren versetzt und gehalten wird.
Analog einem Markenimage wird auch im Starkonstrukt ein mentales und emotionsbeladenes Konstrukt geschaffen, ein Vorstellungsbild etabliert, das durch Informationen und Bildtransfer in der Rezeption zu einem Image zusammenfügt wird. Der/die RezipientIn selektiert, filtert die ihm/ihr angebotenen Botschaften und verdichtet diese durch emotionale Reaktionen, indem er/sie auch seine/ihre eigene Erfahrung und vor allem seinen/ihren kulturellen Kontext zur Projektion heranzieht. Zumeist werden dabei bereits bekannte Bildvorlagen reproduziert: Bilder und Darstellungen, die bereits in der allgemeinen Wahrnehmung zirkulieren, werden aufgegriffen und – oft auch auf ästhetisch hohem Niveau – adaptiert, ironisiert oder stilisiert.
Zum Aufbau einer Person als Marke sind natürlich auch die geschickte Einbeziehung von Öffentlichkeit und Medien sowie die Nutzung kommunikativer Tools erforderlich. Jedes (Super-)Starsystem benötigt eine umfassende mediale Maschinerie, die geschickt jene Öffentlichkeiten mit Informationen und Geschichten rund um den Star versorgt, für deren Bedürfnisse und Sehnsüchte diese abgestimmt und konzipiert sind. Ein wesentlicher Bestandteil des medialen Starkonstrukttransfers ist dabei, dass „die Neugier auf die wahre Persönlichkeit des Stars nie befriedigt wird – weil sie weder befriedigt werden soll noch befriedigt werden kann.“Vielmehr ist gerade diese Nicht-Erfüllen des Begehrens zentral mit dem öffentlichen Transfer undder Notwendigkeit von medialer Aufmerksamkeit verbunden, „das Image soll weder zu eigentümlich noch zu allgemein, weder zu abseitig noch zu banal sein, damit der Star sowohl als Projektionsfläche für Wünsche zu dienen vermag als auch die Identifikation mit ihm möglich bleibt.“ Die Enthüllungen über den Star als Menschen sind deswegen stets sowohl sensationell als auch Bestätigungen der bedienten Klischees. So bleibt „im Spiel von Oberfläche und »Tiefe«, von photographischem Bild und kalkuliertem Persönlichkeitsbild, der Star eine undurchdringliche Erscheinung, geheimnisvoll und auratisch wie sein klingender Name.“ (Lüthy 1995: o.S.) (* 19 )
… in der Kunst: Die Young British Artist bzw. Jeff Koons als example par excellance
Vermarktet von der Werbeagentur Saatchi & Saatchi sind es vor allem die „Young British Artists“, die am prägnantesten vorführen, dass „Superstars wie Markenzeichen funktionieren, die dem Publikum ein besonderes Erlebnis versprechen“ (Kunsthalle Wien et al. 2005: 14): (* 41 ) wo Hirst, da Schock (und Rekorde), wo Koons, da Kitsch, wo Emin, da Skandal. Jeff Koons, Damien Hirst oder Tracey Emin überzeugen zwar sicherlich (auch) durch ihre künstlerischen Arbeiten, eine (breite) öffentliche Wahrnehmung erreichen sie jedoch vor allem durch eine geschickte Inszenierung ihrer eigenen Person oft auch in Kombination mit dem Mittel der Provokation.
Wie die Superstars aus Politik, Sport oder Kultur übernehmen die Young British Artists als sogenannte „taste leader“ die „Rolle des Volkserziehers in der Kultur der Aufmerksamkeit“ , denn „Stars werden nicht – jedenfalls nicht nur – angehimmelt, weil die Leute Lust am Anhimmeln hätten, sondern weil sie sehen und lernen möchten, wie man es macht zu glänzen.“ (Franck 1998: 169) (* 20 )
Jeff Koons hat auf perfekte Weise verstanden, dieses Leitpotential an Aufmerksamkeit auszuschöpfen: Zwischen Kunst und Kitsch, zwischen Kommerz und Ästhetik bewegt sich der Künstler, der – in Anlehnung an Duchamp – die Frage, was Kunst sei, zu (seiner) Kunst erklärt. Indem er Kitsch bzw. das, was bis dato als Kitsch gegolten hat, zur „Kunst“ aufwertet, etabliert er sich selbst als Leitfigur zur Beantwortung der von ihm gestellten Frage. Norbert Bolz kommentiert diesen Schachzug folgendermaßen: „Und genau hier steht Jeff Koons. Er ist die Inkarnation des Kult-Marketings. Koons hat wichtige Grundregeln unserer postmodernen Welt erkannt und zum Prinzip seiner Ästhetik erhoben. Zentral steht die Einsicht, dass Leistung keine Aufmerksamkeit mehr erzeugt; deshalb muss jede ästhetische Produktion als kultische Selbstinszenierung des Künstlers angelegt sein. Ein Werk könnte da nur ablenken. Und hier ist Jeff Koons in der Tat noch ein Schritt über die Position Andy Warhols hinaus gelungen: Publizität und Prominenz sind die Brennpunkte, um die er die Ellipse seiner Kunst konstruiert. Der Kult um den Künstler ist selbst sein einziges Werk.“ (Bolz 2003: o.S.) (*21)
Jeff Koons kopiert direkt Duchamps Strategie des Ready-made, als er 1981 Staubsauger hinter Glasvitrinen ausstellt. Doch erst in Kombination mit seiner eigenen Person bzw. der Inszenierung seiner eigenen Persönlichkeit lädt Koons seine Arbeiten mit Topoi auf, die ihn selbst als inszenierte Marke „auszeichnen“: Reinheit und Sauberkeit als Phallus- und Vulvasymbolik. Die ausgestellten Staubsauger werden erst im Kontext der Persönlichkeit von Koons – und seines schillernden Privatlebens – zu künstlerischen Werken. Koons setzt zwar in seinen Werken auf eine bewusst provokative (Bild-)Sprache, aber erst in Kombination mit seinem – öffentlich zur Schau gestellten – Privatleben, erhält diese Bildsprache ihren Gehalt – „sein Name steht nicht mehr für ein ästhetisches Subjekt, sondern strahlt als Markenzeichen – Koons ist ein Logo.“ (Ebenda) (* 21 ) Koons schafft es wie kaum ein anderer Künstler mit seinen Inszenierungen und seinen Werken exakt den Zeitgeist zu treffen. Er weiß geschickt die Retro-Nostalgiewelle für sich zu nutzen, antwortet dem Zeitgefühl der Überforderung mit Infantilismus, und dem Wunsch nach Unterhaltung mit Szenarien aus seinem Privatleben. So betreibt er auch aktiv Selbstbewerbung – mal im Bademantel, mal als smarter Kunsterzieher – auf doppelseitigen Anzeigen in Magazinen oder in Form von in Muranoglas gegossenen Liebesspielen mit seiner damaligen Frau, der italienischen Pornodarstellerin Cicciolina. Koons ist wandelbar – ohne dabei seine Markenidentität aufzugeben, vielmehr passt er sie vorausschauend dem jeweiligen Zeitgeist an: „Es ist nur wichtig, dass eine Arbeit so chamäleonartig wie möglich ist, damit sich so viele Menschen wie möglich sich (sic!) in ihr wieder finden können.“ (von Taube 2007: o.S.) (* 22 )
Siglinde Lang ( 2013): Marktstrategie: Kunst!. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 03 , https://www.p-art-icipate.net/marktstrategiekunst/