… als Parameter inszenierter Welten
Sowohl Kaprows Happenings als auch Erlebniswelten à la Red Bull oder Swarowski zeichnen sich durch folgende Merkmale aus:
• Aufbau einer Parallelwelt: Red Bull spricht von seiner „eigenen Welt“, Swarowski von seiner „Kristallwelt“, Kaprow von „Environments“, die die Grenze von Kunst und Alltag aufzuheben suchen.
• Zustand der Emotionalität: Mit Musik, Gerüchen und Tanz versucht Kaprow die Teilnehmenden – durch aktive Teilnahme – in einen Zustand höchster Aufmerksamkeit und Emotionalität zu versetzen, mit Spannung, Action und Tempo agiert vergleichsweise Red Bull.
• thematische Inszenierung: Kaprow setzt in seinen Happenings auf Themeninszenierungen wie etwa geschlechterspezifische Rollenverhältnisse oder Kunst als Bestandteil des Alltags. Red Bull inszeniert das Thema des “Erlebnisses“ selbst und Swarowski das Thema des „Staunens“.
• das Erlebnis der Einmaligkeit: Ist Kaprows Prämisse, keine Dokumentationen seiner Happenings zu gestatten, um den prozesshaften und einmaligen Charakter seiner Aufführungen zu betonen, setzen Welten à la Swarowski verstärkt auf die Exklusivität des „Dabei-Seins“, die Red-Bull-Tage werden zwar umfassend dokumentiert, aber gerade dadurch als einmaliges Erlebnis vermarktet.
• Imagination und Illusion: Momente des Staunens, der Erregung und der Faszination sind zentraler Bestandteil von inszenierten Welten: Die Teilnehmenden werden in Rollen versetzt, die es ihnen ermöglichen, Emotionen abseits des Alltags auszuprobieren, auszuleben und abzuspannen.
Dass „die Trennung zwischen Kunst und Leben so fließend und vielleicht auch so uneindeutig wie möglich gehalten werden sollte“ (Kaprow 2003: 864) (*10) war zentrales Postulat der Kaprowschen Kunstheorie. Dass Produktnutzen und Freizeitgestaltung ineinander übergehen, könnte als Maxime von Erlebniswelten formuliert werden.
3. Das Prinzip der Multiplikation …
Kleine Aufmerksamkeiten erhalten die Freundschaft und binden KundInnen nachhaltig an „ihre“ Produkte: Die Werbemittelbranche erlebt ab den frühen Neunzigern einen Boom, der bis heute anhält und den Umsatz von 2,5 Milliarden Euro im Jahr 1991 auf fast 7 Milliarden im Jahr 2006 anstiegen lässt. Dabei erzielt vor allem die Filmindustrie mit Fanartikeln Rekordumsätze.
In der Kunstwelt hat Joseph Beuys sogenannte „Multiples“ als Massenware editiert und damit einem eigenen Kunstmarktsektor zur Etablierung verholfen. Wollte Beuys mit seinen Multiples eine „Erinnerungsstütze“ (Schellmann 1997: 17) (* 12 ) bieten, sprechen (Direct-)Marketingfachleute von „Markenerinnerung“ (GWW 2005: o.S.)
(* 11 ). Doch welcher Unterschied besteht zwischen Auflagenkunst von Giveaways, Gimmicks und Merchandising bzw. gibt es einen solchen überhaupt? Was ist von Beuys´ ambitioniertem Postulat „Ideen zu verbreiten“ (Schellmann 1997: 21)
(* 12 ) geblieben?
… in der Kunst der 70er Jahre: Die Multiples des Joseph Beuys
Als „Mittel zur Demokratisierung der Kultur“ (GWW 2005, o.S.) (* 11 ) und als „physisches Vehikel zur Verbreitung von Ideen“ (Schellmann 1997: 21)
(* 12 )hält das Multiple – aufbauend auf Duchamp, Andy Warhol und auch die Fluxus-Bewegung – Mitte der 70er Jahre seinen Einzug in die Kunst. Joseph Beuys hat das Multiple als komplexes System in sein künstlerisches Schaffen integriert – insgesamt schuf er 557 verschiedene Multiples*2 *( 2 ) – und sich darauf verstanden, dieses als Mittel einer effizienten und breitenwirksamen Öffentlichkeitsarbeit einzusetzen: „Sehen Sie, alle die Leute, die so ein Objekt haben, werden sich weiterhin dafür interessieren, was an dem Ausgangspunkt, von dem die Vehikel ausgelaufen sind, sich weiter entwickelt, sie werden immer wieder beobachten, was macht derjenige jetzt, der die Dinge produziert hat.“ (Schellmann 1997: 18)
(*12)
Beuys weiß das Multiple bewusst als „Antenne“ einzusetzen, um Interesse für seine Arbeiten, Kunstwerke und Gedanken zu wecken, diese öffentlich zirkulieren zu lassen, um mit seinem Publikum „in Verbindung zu bleiben“ (ebenda). (* 12 ) Zwar legt Beuys Wert darauf, die Multiples generell als eigene künstlerische Kreationen anzulegen, jedoch sind diese – selbst die so genannten „Neuschöpfungen“ der Beuys´schen Multipleschmiede – inhaltlich und materiell stark mit seinem Gesamtwerk verbunden. Sie sind Ausdruck seines kunst-gesellschaftlich-politischen Anliegens und kommen u.a. als Postkarten aus Filz, Miniaturschlitten mit Wolldecke, Plastiktüten, Tafelreiniger aus Filz oder kleine Zeichnungen von Elch und Hase auf den Markt:
- „Filzpostkarte“ (1985)
- „So kann die Parteiendiktatur überwunden werden“ (1971);
- „Holzschlitten“ (1969)
Dass Kunst nicht Selbstzweck sondern Mittel zur Kommunikation, ein Vehikel zur Verbreitung von Ideen ist, hat Beuys immer wieder proklamiert. So sieht er auch das Multiple als „Lebensprinzip der Dinge“ an, das in den gesellschaftlichen Kreislauf eingeführt wird und die Kunst aus ihrer „musealen Erstarrung“ befreit. Das Objekt der Vermittlung multipliziert sich je nach Auflage als (materialisiertes) Gedankengut: „Ich bin interessiert an der Verbreitung von physischen Vehikeln in der Form von Editionen, weil ich an der Verbreitung von Ideen interessiert bin.“ (Schellmann 1997: 22) (*12)
Siglinde Lang ( 2013): Marktstrategie: Kunst!. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 03 , https://www.p-art-icipate.net/marktstrategiekunst/