Was tun? Das Verhandeln von Partizipation und das spielerische Öffnen von liminalen Räumen an den Schnittstellen von intervenierender Kunst, kritischer Kunstvermittlung und Forschung

Conclusio

Das Projekt ermöglichte das Erproben der Strategie der Dekonstruktion und der Entwicklung von Vermittlungstools rund um das Fragen-Stellen und die Strategie der Intervention im öffentlichen Raum, sowie die Strategie der Aneignung durch das Erproben und die Erfahrung des Öffentlich-Machens. Durch das Experimentieren mit diesen Strategien und die Entwicklung der Vermittlungstools verhandelten wir gemeinsam Teilhabe am Projektprozess und an Öffentlichkeit/Gesellschaft und öffneten spielerisch liminale Räume des Um- und Aufbruchs. Die großen Ziele des Verlernens und der Transformation – als Aneignung von Entscheidungsmacht und Politisierung – wurden im Projekt jedoch nicht erreicht, dazu wäre eine längerfristige Kooperation erforderlich gewesen.

In allen drei Feldern, von denen wir ausgegangen sind – partizipative Kunst, kritische Kunstvermittlung und partizipative Forschung – geht es um die Transformation von einer passiven Position und gesellschaftlichen Zuschreibung der Zuschauer_innen/des Publikums oder Forschungsobjekts hin zu einer aktiven Position und Zuschreibung der Handlungsfähigkeit. Sowohl die vormaligen Zuschauer_innen/Kunstrezipient_innen als auch das vormalige Forschungsobjekt werden zu handelnden Akteur_innen, Subjekten und Erzähler_innen ihrer selbst (Rancière [2008] 2009). In der Kunst zeichnete sich die Entwicklung vom_von der Zuschauer_in zum_zur Akteur_in (Feldhoff 2012)star (*7) und vom Objekt zum Subjekt (Milveska 2006)star (*20) ab. Der Perspektivenwechsel weg vom Objekt hin zum Subjekt wurde ebenso in einer selbstreflexiven Wende in der Kunstvermittlung (Mörsch 2012)star (*23) sowie in der sozialwissenschaftlichen Forschung seit dem Paradigmenwechsel (Salzborn 2013: 33-53)star (*30) eingeläutet.

In Anlehnung an Paula Hildebrandt (2013)star (*49) verstehen wir die temporären Räume, die durch den partizipativen Projektprozess an der Schnittstelle von kritischer Kunstvermittlung, partizipativer Kunst und Forschung initiiert wurden, als Möglichkeitsräume einerseits des Auslotens und der Verhandlung von Partizipation und von Zusammenleben und andererseits als spielerisch sich öffnende liminale Räume. Das gemeinsame Ausverhandeln, Erproben und Erforschen von Handlungsstrategien und -optionen zur Selbstermächtigung und gesellschaftlichen Mitgestaltung setzte die Produktion von offenen, prozessorientierten und partizipativen Räumen voraus. Im Sinne der partizipativen Forschung haben wir festgestellt, dass der Begriff „Zusammenleben“ und das Fragen nach dem „Wie“ des Zusammenlebens klar auf den Punkt bringen, worum es in diesem Projekt geht. Insofern verstehen wir den Aushandlungsprozess der sozialen Rollen, Beziehungen und Bedeutungen im partizipativen Projektprozess als wesentliches Moment des kritischen Verhandelns von Partizipation. Dabei stellte sich im Projektprozess das Fragen-Stellen als zentrale Methode heraus: Einerseits überhaupt das Fragen-Stellen an sich (auf verschiedenen Ebenen: wissenschaftlich, im Team untereinander/im Prozess, mit den Schüler_innen und den Multiplikator_innen/Lehrerinnen, in den künstlerisch-pädagogischen Materialien) und andererseits das Wie des Fragen-Stellens, so dass diese offen formuliert sind und etwas auslösen (können). Prägend ist hier für uns die Frage: „Warum ist das so?“ Wir stellten fest, wie wichtig es ist, Prozesse zu öffnen und nicht zuzumachen, den Blick zu verschieben (Dekonstruktion), um Irritationen auszulösen (Intervention) und damit wieder Fragen aufzuwerfen, und von Neuem etwas zu dekonstruieren. Wir haben aber vor allem die Erfahrung gemacht, wie wichtig das gemeinsame Lernen und der Austausch – und die Freude daran – sind, so dass ein offener Reflexions- und Handlungsraum auf Augenhöhe entstehen kann, und gemeinsam zu überlegen „Was tun?“.*2 *(2)

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Der Begriff Spielregeln wird im Sinne Pierre Bourdieus verstanden, der soziale Felder bzw. Räume als „Spiel-Räume“ (Bourdieu 1985: 27, zit. n. Schwingel 1998: 78) definiert und als „autonome Sphären, in denen nach jeweils besonderen Regeln ‚gespielt‘ wird.“ (Bourdieu 1992: 187, zit. n. Schwingel 1998: 78)

Dieser (gekürzte) Beitrag wurde erstmals auf Englisch veröffentlicht in: Conjunctions Conjunctions. Transdisciplinary Journal of Cultural Participation. Vol.3, No. 1, 2016, S. 1-17. http://www.conjunctions-tjcp.com/. Wir danken Elke Smodics und Veronika Aqra für das konstruktive Feedback an dem Beitrag.

Elke Zobl, Laila Huber ( 2018): Was tun? Das Verhandeln von Partizipation und das spielerische Öffnen von liminalen Räumen an den Schnittstellen von intervenierender Kunst, kritischer Kunstvermittlung und Forschung. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 09 , https://www.p-art-icipate.net/was-tun-das-verhandeln-von-partizipation-und-das-spielerische-oeffnen-von-liminalen-raeumen-an-den-schnittstellen-von-intervenierender-kunst-kritischer-kunstvermittlung-und-forschung/