Die Kunst liebt die Proleten … sie kann es ihnen nur nicht zeigen

 

4. Fazit

Der vorangegangene Text war eher eine Problemanalyse als eine Problemlösung. Khatibs Arbeit im Theater an der Wien und mit den französischen Fußballfans ist meiner Ansicht nach ein Ansatz, der weiter verfolgt werden könnte und sollte.

Es ist schwierig, zwei so verschiedene Milieus zusammenzuführen. Ich neige schnell dazu zu sagen, alles könne mit mehr gegenseitigem Verständnis und Akzeptanz gelöst werden. Aber erstens beschwere auch ich mich über betrunkene Fußballfans, zweitens beschwere auch ich mich über arrogante Galeristen und drittens kann die Rolle des Moralapostels nicht so leicht ausgeübt werden, wie ich gerne hätte. – Ich kann mit gutem Beispiel vorangehen, aber wird mir jemand folgen? Und sollte ich das überhaupt, als jemand, der derzeit gar nicht in der Kunstszene aktiv ist?

Die Lösung ist es wohl im Endeffekt, Projekte wie Khatibs und viele weitere ins Leben zu rufen; auch wenn der erste Gedanke über Partizipierende oft ist: „Ja, die machen eh nur mit, weil sie sowieso interessiert sind!“

Das trifft sicher manchmal zu, aber in Khatibs Stück war erst mal kein Grund-Interesse für Theater bei den Laiendarsteller:innen vorhanden und in vielen weiteren Projekten ist es ebenso, dass die Leiter:innen zuerst hart dafür arbeiten müssen, Akteur:innen anzuwerben.

Wichtig wäre dennoch, zu akzeptieren, dass nicht jede Person die Kapazitäten hat, sich mit Kunst zu beschäftigen. Wie viel will man Leuten aufdrängen? Die, die sich gerne in die Szene einleben würden, aber nicht können, würden sicherlich davon profitieren, wenn es öfter vereinfachte Erklärungen für Kunst gäbe: fachwörterarme Sprache, hergestellte Bezüge knapp zu erläutern und es zu etablieren, beispielsweise dem Museumspersonal Fragen stellen zu können.

Die Kunst wird ja nicht schlechter, nur weil man sie erklärt – viel eher gewinnt sie dadurch an neuen Arten, sie zu betrachten. *4 *(4) Eliten, die sich dagegen wehren, Kunst für alle zugänglich zu machen, verlieren dann vielleicht sogar irgendwann die Angst davor, sich mit dem „gemeinen Volk“ zu vermischen; zumindest hoffe ich sehr stark darauf.

Jetzt bleibt mir noch zu sagen, wie absurd es eigentlich ist, dass ich hier in einem Essay rätsle, wie erreicht werden kann, dass etwa Menschen, wie sie einen großen Teil meiner Familie ausmachen, doch bitte auch Kunst mögen sollen und ich mich dadurch praktisch wieder auf eine andere (Vermittlerinnen-)Ebene hebe. Die Zynikerin in mir hasst diesen seltsamen Fast-Widerspruch. Schreibt jetzt gerade irgendwo auf der Welt ein:eine Mathematiker:in einen Essay dazu, wie er:sie mich dazu kriegt, Differenzialgleichungen zu mögen?

Vielleicht wäre ein zielführender Ansatz für eine Gesellschaft, die offen gegenüber Neuem (sei es nun Kunst oder Mathe) ist, Kindern ihre zu Grunde liegende Neugier so lange es geht zu erhalten, damit sie auch später offen dafür bleiben, alles entdecken und erforschen zu wollen. Aber wie geht das am besten? Sollte ich jemals Kinder haben, komme ich auf diesen Punkt zurück.

Bis dahin versuche ich selbst offen für alles zu bleiben und hoffe, Kunst und Fußball helfen mir dabei.

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Petsch, Barbara. ‘Stadium‘: Bühne frei für Fußballfans!“. 2018. o.S. In Die Presse, Kulturmagazin, 13.04.2018. https://www.diepresse.com/5403352/stadium-buhne-frei-fur-fussballfans. Zugegriffen am 27.01.2020

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Presse von Schrott. Kevin, wie Mohammed in Marokko. 2018. o.S. In tfmlog, 30.05.2018. https://tfmlog.univie.ac.at/archiv/festwochen-campus-2018/stadium/. Zugegriffen am 28.04.2020

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Wikipedia, o.V. Proletariat. Zuletzt geändert 10.02.2020. o.S. https://de.wikipedia.org/wiki/Prolet. Zugegriffen am 28.04.2020

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Jessen, Jens. Die Liebe zum Vulgären. 2013. o.S. In Die Zeit Nr. 12/2013. https://www.zeit.de/2013/12/Vulgaritaet-Medien-Helden. Zugegriffen am 27.01.2020

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Landesarchiv Baden-Württemberg, o.V. Biografie Clara Zetkin. 2008. o.S. https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/einfueh.php?bestand=6760. Zugegriffen am 28.04.2020

Prolet bezieht sich hier nicht konkret auf männliche Proleten, ich belasse es aber bei der nicht-gegenderten Form, um das Konzept des Proleten-Prototyps deutlicher thematisieren zu können.

Jogginghose, Fäkalsprache, Alkohol, Autos, Fernsehen, einschlägige Persönlichkeit, auffällige oder billige Kleidung

Dadurch, dass dank der Freiheit Kunstschaffende nicht mehr den Zwang haben, ihre Kunst stark verändern zu müssen, um überleben zu können.

Natürlich kann es sein, dass der:die Kunstschaffende ein Konzept nicht erklären möchte, aber auch dann kann man immerhin darauf verweisen, warum nichts erklärt wird, und eventuell worauf man in der Arbeit achten könnte oder sollte.

Maria Schwarzmayr ( 2020): Die Kunst liebt die Proleten … sie kann es ihnen nur nicht zeigen. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/die-kunst-liebt-die-proleten-sie-kann-es-ihnen-nur-nicht-zeigen/