Den Ausstellungsraum und die Kunst sozial durchlässig machen: Shedhalle Zürich 2019-2020

Marcel Bleuler im Gespräch mit Mirjam Bayerdörfer und Franz Krähenbühl

Mirjam Bayerdörfer und Franz Krähenbühl haben Ende 2018 ad interim die künstlerische Leitung des Zürcher Ausstellungsraums Shedhalle übernommen. Die Shedhalle ist Teil des Kulturareals Rote Fabrik, das aus der Jugendbewegung der 1980er Jahren hervorgegangen ist. Ursprünglich als Raum für junges Kunstschaffen betrieben, galt sie seit den 1990er Jahren als Ort der Institutionskritik und aktivistischen Kunst. Bayerdörfer und Krähenbühl übernahmen die künstlerische Leitung zu einem Zeitpunkt, als die Frage nach der Ausrichtung und Positionierung der Shedhalle zu Konflikten im Kuratorium und Vorstand geführt hatten. Ohne viel Vorlaufzeit machten sie den Ausstellungsraum zum Experimentierfeld eines offenen, inklusiven Kunstbetriebes, in dem künstlerische und soziale Durchlässigkeit besteht. Ein Experiment, das Mitte 2020 zu Ende ging.

 

„Es geht nicht primär und sicher nicht ausschließlich darum, Kunst zu machen.“

 

Zu Beginn eurer Arbeit kursierte in meinem Umfeld ein Slogan zum geplanten Programm, wonach ihr Ausschlüsse in der Shedhalle möglichst vermeiden wolltet … 

Mirjam Bayerdörfer: Der Slogan war „Raum ist nicht exklusiv“. Er war allgemeiner als nur auf die Shedhalle bezogen.

 

Und inwiefern war es wichtig für euch, diesen Slogan als Ausgangspunkt der kuratorischen Arbeit zu setzen?

Mirjam Bayerdörfer: Der Slogan war Teil eines kurzen Statements, das wir abgegeben hatten. Zwei andere Begriffe aus diesem Statement sind „Mischnutzung“ und „Gleichzeitigkeit“. Sie beschreiben recht gut, was uns vorschwebt, wie ein Kunstraum und überhaupt ein Raum auch funktionieren könnte. Nämlich dass die Präsenz verschiedener Menschen und Aktivitäten sich nicht gegenseitig ausschließt, dass die Bedeutungshoheit nicht einmalig vergeben wird, sondern dass es Überlagerungen gibt und Dinge sich in die Quere kommen.

 

Könnt ihr ein Beispiel dafür geben, wie sich diese Überlappungen in der Realität umgesetzt haben?

Mirjam Bayerdörfer: Es gibt viele Beispiele und die meisten sind relativ konfliktreich, aber nicht nur im negativen Sinne. Überlappung war auf jeden Fall das Element in unserem Konzept, das die meiste Energie beansprucht hat. Wir mussten viele Auseinandersetzungen klären und Ängste abbauen: Wer hat welchen Anspruch? Wer hat welche Bedürfnisse? Geht das überhaupt zusammen? Ein Beispiel: Wir hatten eine Gruppenausstellung namens Hallo Hannah. Zehn Künstler*innen haben im Laufe eines Monats vor Ort gearbeitet. Sie konnten über den Raum der Shedhalle in ihrem Sinn verfügen, mit einer Ausnahme: Es gab von Anfang an auch ein Diskussionssetting im Raum, einen großen runden Tisch, dazu die Ergebnisse einer Recherchearbeit als Poster an der Wand, die in dem Monat für eine einmalige Diskussion genutzt wurden. Alleine die Präsenz dieses Settings löste bei den Künstlerinnen wahnsinnige Irritationen aus. Es war schwierig für die Künstlerinnen, sich demgegenüber zu verhalten: Ist das jetzt auch Kunst? Ist es keine Kunst? Hat das ein Recht, hier zu sein? Mischt es sich mit unseren Arbeiten? Es nimmt uns die beste Ecke im Raum weg! Und so weiter. Es gab alle möglichen Einwände, obwohl durch die Arbeit der zehn Künstlerinnen bereits wahnsinnig viele sehr unterschiedliche Materialien und Ansätze gleichzeitig im Raum waren.

 

Franz Krähenbühl: Zusätzlich hatten wir einmal im Monat ein wiederkehrendes Format, zu dem wir Leute eingeladen haben, miteinander an einer großen Tafel zu Abend zu essen: das Leichenmahl. Jemand hat gekocht, und jeweils etwa 14 Leute haben an diesem Essen teilgenommen. Auch da kam mehrfach die Frage auf, wo das denn geschehen soll, weil das ja stets inmitten des Raumes stattfand. Dabei ist die Shedhalle groß genug. Vielleicht kommt man in die Nähe von bestimmten Arbeiten oder von Arbeitsplätzen; man muss vielleicht näher zueinander rücken bzw. muss man vielleicht auch temporär Platz schaffen. Wir haben das bei verschiedenen Projekten gemacht und es hat immer irgendwie geklappt. Es passt eigentlich immer mehr in einen Ausstellungsraum oder in ein Projekt hinein, als man denkt.

Marcel Bleuler, Mirjam Bayerdörfer, Franz Krähenbühl ( 2020): Den Ausstellungsraum und die Kunst sozial durchlässig machen: Shedhalle Zürich 2019-2020. Marcel Bleuler im Gespräch mit Mirjam Bayerdörfer und Franz Krähenbühl. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/shedhalle-zuerich-2019-2020/