„In einer Gesellschaft, in der sich Weltbilder schließen, muss man auf Öffnung setzen“
Sebastian Linz im Interview mit Dilara Akarçeşme
Sebastian Linz ist Kulturmanager und Kurator und seit 2018 künstlerischer Leiter der ARGEkultur. Seine beruflichen Erfahrungen in Deutschland und Österreich ermöglichen ihm einen multiperspektivischen Blick auf die Salzburger Kunst- und Kulturszene. Neben programmatischen und strukturellen Eigenschaften und Visionen, die er für das Haus hat, thematisiert er im Interview verschiedene Aspekte von Teilhabe, etwa Diversifizierung.
Was bedeutet für dich „Kultur für alle“ und wie wird in der ARGEkultur kulturelle Teilhabe umgesetzt?
„Kultur für alle“ ist ein Schlagwort aus den 70er Jahren. Neben meiner Tätigkeit in der ARGEkultur bin ich gerade am Bewerbungsverfahren meiner Heimatstadt Nürnberg als Kulturhauptstadt 2025 beteiligt. Hermann Glaser war dort in den 70er Jahren als Kulturreferent tätig und hat diese Forderungen „Kultur für alle“ und „Bürgerrecht Kultur“ maßgeblich geprägt. Daraus sind in Nürnberg Kulturläden, sogenannte soziokulturelle Zentren hervorgegangen, die sich seit den 80er Jahren aber institutionell, strukturell und auch personell nicht mehr stark verändert haben, weshalb großer Reformbedarf besteht. Wir haben kürzlich u.a. mit der Leitung des Bewerbungsbüros und Vertreter*innen der Kulturläden genau über diese Forderung und deren Bedeutung diskutiert. Trotz unterschiedlicher Ansichten haben wir festgestellt, dass sie sehr stark von einem normativen Kulturverständnis ausgeht. Es wird von einem gewissen Kanon ausgegangen, was als Kultur definiert ist, die allen zur Verfügung gestellt werden soll. Das ist aber ein eindimensionaler Prozess der Vermittlung. Dieses Verständnis ist noch stark geprägt von der Kunst- und Kulturdiskussion aus den 60er Jahren. Aus diesem Grund bin ich mir nicht sicher, ob dieses Stichwort „Kultur für alle“, das historisch so imprägniert ist, überhaupt auf die Gegenwart anwendbar ist. Es geht nämlich darum, herauszufinden, was Kultur für eine diverse (Stadt-)Gesellschaft ist. Es geht um die Fragen, wie man in einer Stadt zusammenlebt, die diverse Communitys, diverse „Wirs“ und diverse Gemeinschaften umfasst. Es gilt sicher nicht mehr der Gedanke: „Wir bieten etwas an und möglichst viele sollen dazukommen, weil unser Angebot sowieso toll ist.“ Kulturarbeit muss ein Lernprozess der Verständigung sein, wobei Verständigung nicht mit Versöhnung zu verwechseln ist. Es geht wirklich um die Frage, wie man zusammenlebt und was Kultur ist. Bei einem so großen Kulturbegriff würde ich ansetzen.
Wie wird dieser Begriff in der ARGEkultur umgesetzt?
Als Veranstaltungs- und Produktionshaus ist die ARGEkultur ein angebotsorientiertes Haus. So wurde sie gedacht und so hat sie sich seit dem Umzug in dieses Gebäude vor 15 Jahren entwickelt. Seit zwei Jahren ist es meine Aufgabe, das Haus einerseits in dieser Form weiter zu bespielen und gleichzeitig hinsichtlich Teilhabe und Partizipation, etwa auf Projektbasis, anders zu denken. Das sind ganz wesentliche Aspekte. Wir haben 350 Veranstaltungen mit 40.000 bis 45.000 Besucher*innen im Jahr. Dazu haben wir 13 feste und viele wechselnde Hausnutzer*innen-Gruppen, sodass hier ca. 120 Leute arbeiten. Rechnet man das Restaurant dazu, besuchen die ARGEkultur 130.000 bis 150.000 Menschen pro Jahr. Diese Zahl entspricht der Salzburger Stadtbevölkerung.
Innerhalb des Programms können wir natürlich nicht in allen Bereichen auf Partizipation setzen. Es gibt aber sehr klare Bereiche, in denen wir das unbedingt tun müssen und können. In gewisser Weise steht Vielfalt über diesem Haus und spiegelt sich auch in der Verschiedenheit der Veranstaltungen wider. Also die Sparten bzw. Bereiche, wie ich sie eher nenne, betreffend: Kabarett, Musik, Theater und so weiter.
Dilara Akarçeşme, Sebastian Linz ( 2020): „In einer Gesellschaft, in der sich Weltbilder schließen, muss man auf Öffnung setzen“. Sebastian Linz im Interview mit Dilara Akarçeşme. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/in-einer-gesellschaft-in-der-sich-weltbilder-schliessen-muss-man-auf-oeffnung-setzen/