Partizipation in der zeitgenössischen Kunst
Von der postmodernen Condition d’Etre hin zu einer Destabilisierung der Kunstwelt*1 *(1)
Partizipation ist ein zentrales Stichwort im westlichen Kunstdiskurs um die Jahrhundertwende und zugleich ein unscharf definiertes. Wer sich einen Überblick zu verschaffen versucht, erhält schnell den Eindruck, dass ab Ende der 1990er Jahre verschiedenste Kunstprojekte unter dem Begriff subsumiert wurden, die ihr Publikum auf die eine oder andere Weise einbezogen. Meist handelte es sich dabei um verspielte und interaktive Projekte, die Kunstinstitutionen zu sozialen Räumen, zu ‚Laboratories‘ oder Lounges umfunktionierten. Oder um solche, die außerhalb von herkömmlichen Ausstellungshäusern stattfanden und spezifische, meist marginalisierte soziale Milieus adressierten. Trotz der mangelnden Konturierung von Partizipation in der Kunst kamen mit dem Begriff deutlich politisch konnotierte Versprechen in den Diskurs: Künstler_innen und Kurator_innen sprachen zusehends von einer Demokratisierung und Öffnung des Kunstbetriebs oder gar einer Emanzipierung der Betrachter_innen. Auch hier erscheint jedoch unklar, wie genau es mit diesen Bezeichnungen genommen wurde.
Im Rückblick auf die typischen Praktiken um 2000 herum spricht der Kunsthistoriker Grant Kester von einer lediglich „symbolischen“ Partizipation: Die Betrachter_innen hätten die Ideen der Künstler_innen ausgeführt und sich dabei in eng vorgegebenen Handlungsspektren bewegt (vgl. Krenn/Kester 2013: 3). (*15) Sein Verdikt ist symptomatisch für den Diskurs, der sich im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts entspann. Im Zusammenhang mit Partizipation befassten sich Kritiker_innen vermehrt damit, Vorgänge der Instrumentalisierung oder Ausbeutung von sozialen Gruppen offen zu legen (vgl. Bishop 2006). (*3) Einladungen zur Teilhabe wurden als inszenierte Geste entlarvt, hinter denen sich die unangefochtene Autoritätsposition von Kunstschaffenden verbarg. Diese, so der Grundtenor, würden auch in der Zusammenarbeit mit marginalisierten sozialen Gruppen den Eigenprofit nicht aus den Augen verlieren oder seien schlicht zu naiv, um zu erkennen, dass ihre Projekte trotz bester Absichten in Machtpraktiken mündeten. Parallel zu dieser Kritik zeichnete sich ein ungebrochener Erfolgszug von Partizipation in der Welt von Galerien, Biennalen und Museen ab. Hier spielten die sozial-interaktiven Kunstprojekte der fortschreitenden Eventisierung von Ausstellungshäusern und der – nicht zuletzt wirtschaftlich motivierten – Forderung nach Besucher_innen-Programmen in die Hände. Partizipative Kunst, so scheint es, ließ sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts ebenso gut vermarkten wie die Kritik an ihr.
Entsprechend dieser kurz skizzierten Eindrücke drängt sich eine polemische Haltung auf. Partizipation scheint eine hohe Anziehungskraft auf die Kunstwelt ausgeübt zu haben. Die Herausforderungen aber, tatsächlich eine gleichberechtigte Mitbestimmung an Entscheidungs- und Handlungsprozessen zu erreichen und damit auch die zentrale Stellung von Künstler_innen-Persönlichkeiten zu relativieren, scheinen kaum je konsequent umgesetzt worden zu sein. Nichtsdestotrotz geriet etwas in Bewegung. Mit dem Hype ging eine Verhandlung des postmodernen Individuums, seiner Verfasstheit in einer zusehends medial vermittelten Welt, sowie der gesellschaftlichen Rolle von Kunst einher. Im Erstarken von Partizipation in der bildenden Kunst kommen ideengeschichtliche Aspekte zusammen, die für das Verständnis von zeitgenössischer Kunst und die Diskussion ihres gesellschaftlichen Potenzials entscheidend sind.
Aus dieser Beobachtung ergibt sich das Vorhaben des vorliegenden Textes. Mein Anliegen besteht darin, kunsthistorische und ideengeschichtliche Eckpfeiler herauszuarbeiten, die Partizipation zu einem Paradigma der westlichen Kunstproduktion um die Jahrhundertwende beförderten. Dabei lenke ich den Fokus auf die diskursiven Zusammenhänge und ihre Implikationen. Diese Auseinandersetzung führt bis in die Gegenwart hinein, in der sich, so meine Behauptung, eine Abkühlung und zugleich eine Neuperspektivierung von Partizipation in der Kunst abzeichnen.
Zwei Dinge sind der Auseinandersetzung vorwegzunehmen. Erstens liefert der Text keine Definition davon, was partizipative Kunst ist oder wie Ansätze der Partizipation in der Kunst idealerweise funktionieren. Ähnlich wie dies im Zusammenhang mit Performancekunst beschrieben wurde (vgl. Phelan 1993), (*20) erscheint mir ein solcher essenzialistischer Zugang verfehlt. Wie ich deutlich machen werde, handelt es sich bei Partizipation um eine Denkfigur, die davon lebt, dass sie zu verhandeln ist. Eine Festschreibung würde das kritische Potenzial, das ich ihr letztlich zuschreibe, untergraben. Zweitens ist vorauszuschicken, dass sich die Annäherung aus meiner Perspektive als westlicher Kunstwissenschaftler vollzieht und dass dabei insbesondere englischsprachige Autor_innen ins Zentrum gestellt werden. Der Text beabsichtigt nicht, diese Perspektive aufzubrechen. Vielmehr soll sie strukturiert dargelegt und damit auch angreifbar gemacht werden, im Wissen darum, dass sie weder vollständig noch universell sein kann.
Marcel Bleuler ( 2020): Partizipation in der zeitgenössischen Kunst. Von der postmodernen Condition d’Etre hin zu einer Destabilisierung der Kunstwelt[fussnote]1[/fussnote]. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/partizipation-in-der-zeitgenoessischen-kunst/