Neue Auftraggeber: Wenn Menschen ganz konkret etwas von der Kunst wollen

Marcel Bleuler im Gespräch mit Alexander Koch über die Potenziale einer Kunstproduktion im Bürger*innen-Auftrag

Die Gesellschaft der Neuen Auftraggeber in Deutschland realisiert künstlerische Projekte, die auf Initiative der Zivilbevölkerung entstehen. Unter der Leitung von Alexander Koch findet derzeit eine fünfjährigen Pilotphase statt, die von der Kulturstiftung des Bundes und mit Unterstützung der Fondation de France gefördert ist. In unterschiedlichen, meist strukturell benachteiligten Regionen erarbeitet das insgesamt über 20-köpfige Team aus Mediator*innen, Koordinator*innen und Mitarbeiter*innen gemeinsam mit Bürger*innen und namhaften Kunstschaffenden orts- und kontextbezogene Projekte. Einschränkungen in Bezug auf künstlerische Sparten gibt es dabei keine. Gemeinsam ist den Arbeiten, dass sie soziale Dringlichkeiten mit künstlerischen Methoden anzugehen suchen.

 

„Zuerst einmal hören wir zu, was die Bedarfe der Bürger*innen sind“

 

2007 hast du den Neue Auftraggeber e.V. mitbegründet und leitest seit 2017 die Gesellschaft der Neuen Auftraggeber in Deutschland. Ist es richtig zu sagen, dass es sich dabei um eine kulturpolitische Bewegung handelt, die in verschiedenen Ländern stattfindet? Oder wie erklärst du einer Person, die nichts von der Sache weiß, worum es dabei geht?

Die Neuen Auftraggeber wurden erfunden von François Hers, einem belgisch-französischen Künstler, der sich 1990 die Frage stellte, warum Künstler*innen eigentlich trotz aller Ausbruchs- und Aufbruchsbewegungen im 20. Jahrhundert mit ihrer Praxis letztlich in Museen und Galerien endeten, anstatt tatsächlich auch eine gesellschaftliche Wirkungskraft jenseits dieser sehr abgezirkelten Räume zu entfalten. Ein Grund dafür bestand in seinen Augen darin, dass in kapitalistischen Gesellschaften Kunst in der Regel als ein Angebot entsteht, das Künstler*innen aus innerer Notwendigkeit heraus erstellen, und für das es dann eine Nachfrage gibt oder nicht. Und Kunstvermittlung – auf Französisch „médiation“ – findet nur postfaktum statt, also erst dann, wenn bereits etwas da ist, das sich an die Öffentlichkeit vermitteln lässt. Diesen gesamten Prozess der Entstehung und Vermittlung wollte François Hers um 180 Grad umkehren.

 

Er forderte also, dass man Kunst ausgehend von der Nachfrage produziert?

Ausgehend von ihrer Notwendigkeit für die Bürger*innen, ja. Es geht um die Frage, welchen Handlungsbedarf es in einer Gesellschaft gibt, in welche kulturelle Produktion eine Gemeinschaft investieren will, und wer darüber entscheidet. Nachfrage bedeutet hier, dass Menschen ganz konkret etwas von der Kunst wollen. Und das heißt für uns als Kunstprofis, dass wir erst mal zuhören, was eigentlich ihre Bedarfe sind, um dann zu sehen, wie wir mit unseren Mitteln und Kompetenzen, die wir über Jahrhunderte erworben und erstritten haben, vor Ort auf diese Herausforderung antworten können. Wie das funktionieren kann, beschrieb Hers 1990 mit dem Protokoll der Neuen Auftraggeber.

 

Wo findet man das Protokoll?

Auf allen unseren Websites.*1 *(1)

 

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Achim Könneke (Hg.): Clegg & Guttmann: die Offene Bibliothek; the Open Public Library. Cantz, Ostfildern 1994.

Marcel Bleuler, Alexander Koch ( 2020): Neue Auftraggeber: Wenn Menschen ganz konkret etwas von der Kunst wollen. Marcel Bleuler im Gespräch mit Alexander Koch über die Potenziale einer Kunstproduktion im Bürger*innen-Auftrag. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/neue-auftraggeber/