Migration beeinflusst unsere Gesellschaft grundlegend auf unterschiedlichen Ebenen. Sie ist ein Phänomen, das dazu beiträgt, bestehende Verhältnisse, Grenzen und Ordnungen in Bewegung zu versetzen, indem sie diese problematisiert, irritiert und Veränderungen einfordert (vgl. Mecheril 2016b). (*38) Dies lässt sich auch in Bezug auf den Kulturbetrieb des deutschsprachigen Raums feststellen. Globale Migrationen – insbesondere Bewegungen wie der ‚Sommer der Migration‘ 2015 – machen wie durch eine Linse Rassismen und asymmetrische Macht-, Teilhabe- und Repräsentationsverhältnisse sichtbar, die dieses Feld kennzeichnen: Zum einen fehlende Diversität und eine weiße*2 *(2) Dominanz auf allen Ebenen – also auf jener des Managements, der inhaltlichen Ausrichtungen und Produktionen, des Publikums sowie der kulturpolitischen Entscheidungsträger_innen –, die mit dem Ausschluss Nicht-Weißer als Subjekte mit eigenen Stimmen, Perspektiven und Handlungsweisen einhergeht. Zum anderen die Adressierung nicht-weißer Kunst- und Kulturproduzent_innen sowie -rezipient_innen in temporären Sonderprogrammen, oft in Zusammenhang mit deren Reduktion auf bestimmte Themen (wie Migration, Heimat oder Kultur) und einer Festschreibung als ‚Andere‘.
Obwohl Migration eine universelle menschliche Praxis darstellt, die unsere Gesellschaft seit langem entscheidend prägt, erweist sich das Feld von Kunst und Kultur als überaus resistent gegenüber Veränderungen und (re-)produziert hegemoniale Ungleichheitsverhältnisse kontinuierlich mit. So steht dieser im deutschsprachigen Raum maßgeblich über öffentliche Gelder finanzierte und politisch gesteuerte Bereich auch im Widerspruch zu einer demokratischen Kulturpolitik (vgl. Mokre 2005), (*44) deren Aufgabe es ist, Kunst und Kultur dergestalt zu fokussieren und zu fördern, dass die Bevölkerung in ihrer Gesamtheit und Diversität darin repräsentiert und handlungsfähig ist. Dies müsste gerade auch die umfassende, nicht zuletzt finanzielle Förderung minorisierter und von (bildungsbezogenen, sozialen, ökonomischen etc.) Ausschlüssen betroffener Personen, künstlerischer Perspektiven und Praktiken zur Folge haben, was in weiterer Konsequenz größere Verteilungsgerechtigkeit und Heterogenität im künstlerisch-kulturellen Feld bedeuten würde. Ein solchermaßen (neu) ausgerichteter Kulturbetrieb könnte wichtige Impulse für andere gesellschaftliche Felder setzen.
Wo muss angesetzt werden, damit sich die ‚Normalität‘ migrationsgesellschaftlicher Vielheit*3 *(3) im Kunst- und Kulturbetrieb durchsetzt? Und zwar in dem Sinn, dass sie nicht nur thematisch, temporär und oberflächlich ‚integriert‘ wird, sondern als Transformation*4 *(4) in Gestalt einer tiefer gehenden strukturellen Veränderung auf unterschiedlichen Ebenen stattfindet? Dieser Frage geht der vorliegende Beitrag nach. Dazu werde ich eingangs das Feld des Kulturbetriebs im deutschsprachigen Raum kurz umreißen und die wichtigsten Aspekte in Bezug auf Ausschlüsse im Kontext migrationsgesellschaftlicher Entwicklungen darstellen. Anschließend wird das Konzept der ‚Migrationsgesellschaft‘ und dessen Potenzial in Hinblick auf eine kritische Auseinandersetzung mit dem Kulturbetrieb diskutiert, um im letzten Abschnitt konkrete Ansatzpunkte für dessen migrationsgesellschaftliche Neuausrichtung herauszuarbeiten.