„In einer Gesellschaft, in der sich Weltbilder schließen, muss man auf Öffnung setzen“

Sebastian Linz im Interview mit Dilara Akarçeşme

Die Vielfalt zeigt sich auch mit Blick auf die vielen unterschiedlichen Akteur*innen, die hier produzieren, veranstalten und Kunst und Kultur machen. Meines Erachtens blieb in den vergangenen Jahren jedoch – aus sehr nachvollziehbaren Gründen – das Dialogische zwischen den Veranstaltungen unberücksichtigt. Wir haben beispielsweise sehr klar ausdifferenzierte Zielpublika. Es gibt etwa ein klar definierbares Kabarett- oder Theaterpublikum, das sich seinerseits wiederum in einzelne Publika, die sich jeweils bestimmten Künstler*innen zuordnen lassen, splittet. Diese „Teilpublika“ werden dann zum Beispiel, im Hinblick auf Zielgruppenmarketing, sehr genau bespielt. Das führt letztendlich dazu, dass sich jedes Publikumssegment in einer Filterblase befindet und oft nicht einmal wahrnimmt, dass in diesem Haus auch andere Sachen stattfinden. Das Inter- oder Transdisziplinäre spielte, obwohl es immer als Anspruch formuliert wurde, in der Vergangenheit kaum eine Rolle. Das hat sich bis in die Betriebsstruktur und das Denken der einzelnen Mitarbeiter*innen hineingefräst. Wenn wir einen Kabarettabend hatten, wurde beispielsweise sehr drauf geachtet, dass eine der Veranstaltung entsprechende Musik im Foyer gespielt wird. Es durfte nur Jazz gespielt werden, weil man einem Kabarett-Publikum keinen queeren Hip-Hop-Song zumuten könne. Man kann allen alles oder zumindest sehr vieles zumuten, denke ich. In einer Gesellschaft, in der sich die Weltbilder schließen, muss man auf Öffnung setzen. Deswegen sind das Dialogische, das Kuratierte und das Programm als Ganzes viel wichtiger als einzelne Veranstaltungen. Dadurch entstehen Zwischenräume, in denen die Begriffe kulturelle Bildung und Vermittlung eine Rolle spielen.

 

Welche Rolle spielt dabei Kulturvermittlung?

Ich sage bewusst nicht Kulturvermittlung, sondern Vermittlung bzw. Ver-mitte-lung. Ich versuche nämlich einen Vermittlungsbegriff zu etablieren, der ohne den Kulturbegriff auskommt, da darin noch immer mitschwingt, dass man Kultur A an Publikum B vermittelt. Da steckt etwas Edukatives und Lehrerhaftes darin. Das ist zwar auch wichtig, aber mir geht es im Sinne eines Dialogs darum, Ver-mitte-lung näher anzusehen. Nämlich zu eruieren, was die gemeinsame Mitte der Personen ist, die in einem gewissen Raum an einem gewissen Projekt beteiligt sind. Dabei geht es nicht um den kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern um das größte gemeinsame Vielfache. Ich würde Ver-mitte-lung wirklich so begreifen, dass man in einem reziproken Prozess lernt, miteinander klarzukommen. Und dazu gibt es eine Reihe von Projekten.

 

Kannst du Beispiele nennen?

Das sind teilweise eigene Projekte und teilweise solche, an denen wir uns beteiligen. Beim Projekt schnitt # stellen von gold extra, wo wir institutioneller Partner sind, hat das zum Beispiel wunderbar funktioniert. Hier wurde es wirklich geschafft, in Kooperation mit dem Media Lab der Universität Mozarteum und der Neuen Mittelschule Lehen auf Augenhöhe ein Mixed-Reality-Game zu entwickeln und die Projektpartner*innen haben wahnsinnig viel voneinander gelernt. Ich finde, das ist ein unglaublich gutes Best-Practice-Beispiel.

Ein anderes Beispiel ist der ARGEclub. In Kooperation mit der Arbeiterkammer Salzburg sowie der Neuen Mitteschule Maxglan II haben zwei Projektleiterinnen, Lucie Sillner und Mirjam Bauer, seit Dezember 2019 ein performatives Projekt mit 25 Schüler*innen erarbeitet – und sich dabei auch immer wieder Impulse aus dem Programm und – in Workshops – von den Künstler*innen der ARGEkultur geholt. Das Stück sollte eigentlich im Juni gezeigt werden – Covid-19-bedingt gab es dann aber eine digitale Version.

Dann gibt es den Bereich der Kulturvermittlung im klassischen Sinne. Wir haben den Diskursbereich, also das ganze Instrumentarium an Publikumsgesprächen, Artist Talks oder Einführungsgesprächen stark hochgefahren.

Dilara Akarçeşme, Sebastian Linz ( 2020): „In einer Gesellschaft, in der sich Weltbilder schließen, muss man auf Öffnung setzen“. Sebastian Linz im Interview mit Dilara Akarçeşme. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/in-einer-gesellschaft-in-der-sich-weltbilder-schliessen-muss-man-auf-oeffnung-setzen/