Den Ausstellungsraum und die Kunst sozial durchlässig machen: Shedhalle Zürich 2019-2020

Marcel Bleuler im Gespräch mit Mirjam Bayerdörfer und Franz Krähenbühl

Hatten die Konflikte damit zu tun, dass man mit diesem Umgang mit dem Ausstellungsraum auch die Auratisierung der Kunst etwas abbaut? Also diese Vorstellung, dass der Kunst ein eigener, irgendwie erhabener Bereich zusteht? Ich stelle mir vor, dass gewisse Künstler*innen sich da auch in ihren ästhetischen Ansprüchen ein bisschen verletzt oder bedroht gefühlt haben.

Franz Krähenbühl: Das war eigentlich nicht das Problem. Wir wollten von Grund auf eine andere Haltung vertreten. Unsere Vorstellung von einer Ausstellung ist, dass wir etwas herausfinden wollen, das wir nicht im Vorhinein bereits wissen. Es soll eine Arbeitssituation sein oder ein Ort, wo man sich trifft. Der künstlerische Ausdruck ist ein Resultat davon, aber es geht nicht primär und sicher nicht ausschließlich darum, Kunst zu machen. Damit haben wir bereits etwas von dieser Vorstellung von Kunst als etwas völlig Distanziertem, Reinem und Puristischem weggenommen. Kunst ist viel stärker zu einem praktischen Ding geworden, das man auch verrücken konnte und schauen musste, wo es hingeht, anstatt diesen Status zu erhalten, dass Kunst jetzt unbedingt mit weißen Samthandschuhen angefasst werden müsste.

 

Das heißt, durch dieses Prinzip „Raum ist nicht exklusiv“ habt ihr auch eine bestimmte Art von künstlerischer Produktion gefördert. Also eine offenere Art, die sich auch besser an ein soziales Leben oder an eine Mischnutzung, die stattfindet, angliedern kann.

Mirjam Bayerdörfer: Das ist natürlich unser Wunsch und unser Ziel. Wie gut das letztlich funktioniert und für wen, ist im Moment noch in Probezeit. Klar ist, dass wir damit eine bestimmte Art künstlerischer Positionen anziehen. Nämlich Positionen, die nicht von einem völlig geschlossenen Werkbegriff ausgehen, die ein Eigeninteresse am Prozess und an Austausch mit anderen haben. Man kann relativ schnell sagen oder erkennen, wer sich zu dieser Art zu arbeiten hingezogen fühlt und wer drei Kreuze schlägt.

 

„Entscheidend ist, dass wir uns als Gastgeber*innen verstehen.“

 

Es gibt zwei Projekte, auf die ich gerne eingehen würde, weil sie viele Personen anzogen und aktivierten, die gar nicht unbedingt mit Kunst zu tun haben. Das eine war der Sandhaufen und das andere die Kartonüberbauung. Vielleicht beginnen wir mit Sand. Könnt ihr etwas dazu sagen, wie es zu diesem Projekt kam und worin die Idee bestand?

Franz Krähenbühl: Wir haben die Shedhalle ad interim und ohne viel Vorlaufzeit übernommen. Wir hatten also augenblicklich viel Raum, aber eigentlich kein Programm. Unser Ziel war, möglichst schnell ein Zeichen nach außen, gegenüber dem Vorstand, dem Verein und der Öffentlichkeit zu setzen, dass etwas geschieht und weitergeht. Beim intensiven Diskutieren kam der Wunsch nach etwas Seh- und Nahbarem auf. Wir hatten diese Vorstellung von einem Sandhaufen, der einen großen Kegel bildet und einfach mal im Ausstellungsraum steht. Wie ein Startpunkt, auch für die Vereinsmitglieder. Das hat sich dann als ideales Modell erwiesen. Sand ist ein recht pragmatischer und einfacher Einstieg geworden. Mit einem vorderhand banalen Material war es zu einem gewissen Maß auch eine Befreiung von der Erwartung an uns, etwas Großes und Überraschendes zu leisten.

Also noch einmal zur Klärung, damit sich die Leser*innen das vorstellen können: Es wurden wirklich mehrere Kubikmeter an feinem Sand in den Ausstellungsraum verfrachtet, die sich dann auch formen ließen, oder?

Mirjam Bayerdörfer: Genau. Am ersten Tag, als die Shedhalle wieder offen war, wurde der Sand draußen vor der Halle deponiert. Zusammen mit allen Besucher*innen haben wir dann gemeinsam die 13 Kubikmeter von draußen mit Schubkarren in den Raum gefahren und aufgeschüttet. Das war auch ein gemeinsamer ritueller Start. Noch zur Herleitung des Projekts: Ich sehe es vor allem im Nachhinein auch als einen recht klaren Kommentar zum klassischen Dilemma, einen Kunstraum zu betreiben. Man hat einen Raum, den man irgendwie befüllen muss, und damit verbringt man seine Zeit. Nebenbei wälzt man wahnsinnig große Konzepte über Sinn und Zweck, darüber, wen man anspricht, wer kommt, wer nicht kommt, Einschluss, Ausschluss oder was funktioniert. Für die Existenzberechtigung muss man diesen Raum aber konstant mit irgendetwas befüllen. Und da haben wir es uns erlaubt, zu sagen: „Gut. Wir befüllen den Raum. Mit Material. Was dann mit dem Material passiert, liegt an denen, die kommen und damit etwas machen. Und die großen Konzepte wälzen wir durch das Hantieren mit dem Sand und währenddessen; und zwar nicht nur zu zweit.“ Der Raum ist nicht schon fertig, sondern nur vorläufig gefüllt, während man fragt und diskutiert.

Franz Krähenbühl: Wir haben ja schon die Begriffe „Mischnutzung“ und „Gleichzeitigkeit“ angesprochen. Das vermutlich wesentlichste Denkmodell war für uns am Anfang aber eine Brache, also ein Ort, der über ein gewisses Potenzial verfügt, dessen Funktion und Ausformulierung aber per se noch nicht gegeben sind. Der Sand und die Kartonüberbauung waren Formate, die aus dieser Idee der Brache entsprungen sind. Ich glaube, das Grundprinzip liegt darin, dass wir die Leute machen lassen wollen und ihnen eine Möglichkeit geben, Teil der Projekte zu werden und ihr partikulares Wissen einzubringen.

Marcel Bleuler, Mirjam Bayerdörfer, Franz Krähenbühl ( 2020): Den Ausstellungsraum und die Kunst sozial durchlässig machen: Shedhalle Zürich 2019-2020. Marcel Bleuler im Gespräch mit Mirjam Bayerdörfer und Franz Krähenbühl. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/shedhalle-zuerich-2019-2020/