Soft Camera

Die Eroberung des öffentlichen Raums

Das Ansprechen von Passant*innen auf offener Straße birgt ein gewisses Risiko. Bei Fremden auf der Straße kann man – anders als in Kunsträumen – nicht selbstverständlich von einem interessierten Publikum ausgehen. Im Gegenteil: Man muss damit rechnen, auf fachfremdes Publikum zu treffen, das keine Geduld für zwei Kunststudentinnen aufbringen will. Auch stößt man seitens der Gesprächspartner*innen auf unterschiedlich großes Interesse für Kunst bzw. für Gespräche über politische Skandale. Der öffentliche Raum ist spannend für Künstler*innen, weil sie sich neuem Publikum und ungefilterten Bewertungen aussetzen müssen. In den Fußgängerzonen bewegten sich viele schlendernde Menschen, Tourist*innen und Einheimische und die wenigsten von ihnen waren darauf vorbereitet, Teil einer Kunstaktion zu werden. Derzeit ist der öffentliche Raum eher selten Ort der Versammlung, sondern ein Durchgangszimmer zwischen den einzelnen Gebäuden. Öffentliche Räume sind „zu Orten des Konsums, des Verkehrs und der kalkulierten Events depraviert […]. Überhaupt scheint, neben den Vergnügungen, als sei der Verkehr zur einzig greifbaren Öffentlichkeit geworden […]. In ihm trifft sich die Passivität der Wahrnehmungen mit der Erfahrung anonymer Motorisierung […] Das öffentliche Leben gleicht darum einer blinden Zirkulation, einem beständigen floating. Es konterkariert die Idee politischer Öffentlichkeit und zehrt seine einstige Relevanz auf. Korrelat dieser Entwicklung ist das mediale Spektakel. Öffentliche Wirksamkeit erlangt erst das mediale Spektakel.“ (Mersch 2005: 55)star (*4) Dieser Zustand wird zum Beispiel sichtbar, wenn während einer Demonstration der Verkehr zum Stillstand kommt. In den Nachrichten hört man meist mehr über die geplanten Straßensperren und Verkehrsumleitungen, die durch eine Demonstration ausgelöst werden, als über das Anliegen der Demonstration selbst. Das Fahren hat für die Lenker*innen Priorität. Sie haben ein Ziel und werden aufgehalten. Ein Perspektivenwechsel gelingt manchmal nicht, weswegen das politische Engagement der Demonstrant*innen verteufelt wird. Sobald es sich bei einer solchen Demonstration jedoch um ein mediales Spektakel handelt, zum Beispiel, weil Greta Thunberg bei einer Fridays for Future-Demonstration persönlich anwesend ist, steigt die Zahl der Teilnehmer*innen immens. Die Berichterstattung wird informativer und erreicht größere Menschenmengen. Ein Medienspektakel kann der Rückeroberung des öffentlichen Raums als politischen Raum durchaus dienlich sein.

Soft Camera sollte eine Reflexion über die Empörung und das Vergessen nach Skandalen ermöglichen. Passant*innen wurden zu Akteur*innen und die Künstler*innen nahmen die Rolle des Publikums ein. Ohne die Beteiligung von Passanten*innen wäre Soft Camera auf ein bloßes Herumtragen von weichen Objekten reduziert gewesen. Das Werk entstand durch die Beteiligung des Publikums. Die Grenze zwischen privatem Gespräch und Öffentlichkeit verschwammen, und die subjektive Wahrnehmung von Skandalen und der Berichterstattung darüber rückten ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

 

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Bergmann, Jens/Pörksen, Bernhard (Hg.) (2009): Skandal! Die Macht öffentlicher Empörung. Köln: Halem.

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Ganguin, Sonja/Sander, Uwe (Hg.) (2006): Einleitung: Sensation, Skurrilität und Tabus in den Medien. In: Sensation, Skurrilität und Tabus in den Medien. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 123-133.

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Hondrich, Karl Otto (2002): Enthüllung und Entrüstung. Eine Phänomenologie des politischen Skandals. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

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Mersch, Dieter (2005): Action!. In: Klein, Gabriele (Hg.): Stadt.Szenen. Künstlerische Praktiken und theoretische Positionen. Wien: Passagen Verlag, S. 155-162.

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Möntmann, Nina (2005) Partizipatorische Kunst-Projekte und die Politik des Imaginären. In: Klein, Gabriele (Hg.): Stadt.Szenen. Künstlerische Praktiken und theoretische Positionen. Wien: Passagen Verlag, S. 51-60.

Zoe Vitzthum ( 2020): Soft Camera. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/soft-camera/