„Um sich bestimmten Themen anzunähern, brauche ich auch die geführte Freiheit.“

Ellen Roters im Interview über anti-diskriminatorische Kulturvermittlung mit Jugendlichen.

Ist es auch schon vorgekommen, dass jemand dann aus der Ausstellung ging und du hast gemerkt, dass es nicht funktioniert hat? Dass die Person zum Beispiel Vorurteile, die sie vorher hatte, auch nachher noch hat?

Ja. Es ist ja auch Kurzzeitpädagogik, wir wirken keine Wunder. Ich habe aber den Eindruck, dass eine kurze Konfrontation schon einen kleinen Riss in dem vorher doch relativ runden Bild der Welt macht. Vielleicht kommt später noch etwas anderes dazu, was darauf aufbaut. Man kann nur hoffen, dass vielleicht noch mal irgendetwas anderes kommt, was diesen Impuls gibt. Es kann auch zu nichts führen, aber dann war wenigstens der Versuch da oder die Erfahrung, dass es nicht so glatt läuft und es noch eine andere Position dazu gibt.

Kannst du noch etwas mehr ausführen, wie ihr diese Forschungsfrage oder diesen Forschungsauftrag an die Kinder und Jugendlichen vermittelt?

In dieser und allen Ausstellungen gibt es immer irgendeine Art von Einführung. Das ist oft spielerisch. Wir spielen also etwas vor. Das ist dann schon der erste Überraschungseffekt, weil wir ein Museum sind. Wir schaffen gerne zuerst ein bisschen Irritation, dass es nicht das ist, was sie erwarten. Die Ausstellung ist im ersten Stock und wir bitten sie erst mal, sich auf der Treppe niederzulassen. Dann gibt es ein Audio, wo diese Bewohner*innen irgendwas sagen, zum Teil auch in ihren Muttersprachen. Da geht es darum, dass sie irgendwas in Berlin machen. Uns ist wichtig, deutlich zu machen, dass die alle in Berlin wohnen. Das Zimmer von Jonni ist nicht irgendwo in Israel. Dann fragen wir sie, was sie gehört und verstanden haben und wer das wohl so ist. Sie bekommen kleine Presseausweise. Das funktioniert bei den Kindern super, bei den Jugendlichen muss man noch ein bisschen die Metaebene miteinflechten. Sonst fühlen sie sich irgendwie verarscht. Sie sind dann quasi Journalist*innen und gehen in die Ausstellung. Der Auftrag ist, möglichst viel von diesen Personen herauszufinden. Wie kann man das machen? Wir sammeln ein bisschen und gehen in kleinen Gruppen in die Zimmer. Die Zimmer sind wirklich klein, maximal so groß wie diese Terrasse.

Also so zehn, zwölf Quadratmeter?

Ja. Es gibt aber auch welche, die nur sechs Quadratmeter groß sind. Sie sind wirklich klein. Das heißt, wir können gar nicht mit einer größeren Gruppe hinein. Da steht man nur herum und sieht nichts. Das heißt, sie gehen zu zweit oder maximal zu dritt in so ein Zimmer und bekommen den Auftrag rauszufinden, was sie rausfinden können. Es ist für viele auch eine Überraschung, dass sie gleich so allein losziehen. Dann kommt der erste Moment in diesem Zimmer. Erwachsene sind oft ein bisschen befangen, weil du wirklich den Eindruck hast, dass du in einen Privatraum kommst. Plötzlich sollst du da in eine Schublade gucken und das Tagebuch lesen. Das macht total neugierig. Es gibt Kinder, die das Zimmer wirklich bis unter das Bett untersuchen. Danach gibt es quasi Redaktionsteamsitzungen, wo es darum geht, was sie rausgefunden haben, was man noch über diese Person herausfinden könnte und dann gibt es eine Pause.

Marcel Bleuler, Ellen Roters ( 2019): „Um sich bestimmten Themen anzunähern, brauche ich auch die geführte Freiheit.“. Ellen Roters im Interview über anti-diskriminatorische Kulturvermittlung mit Jugendlichen.. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 10 , https://www.p-art-icipate.net/um-sich-bestimmten-themen-anzunaehern-brauche-ich-auch-die-gefuehrte-freiheit/