Informelle Lernorte und DIY Citizenship
Das Konzept der partizipativen Kulturen hat vor allem in der Medienpädagogik mit einem Fokus auf den Erwerb von Medienkompetenzen und in interdisziplinären Studien zu DIY-Kultur im Hinblick auf die Schaffung von Peer-to-Peer-Lernumgebungen mit informellem Lernen Anklang gefunden. Aufbauend auf seinen Vorarbeiten leitete Jenkins das Projekt New Media Literacies (2006-2011) als Teil einer großen Forschungsinitiative zu digitalem Lernen der MacArthur Foundation (USA). In dem Projekt entstand das viel zitierte, aber auch kritisierte White Paper Confronting the Challenges of Participatory Culture: Media Education for the 21st Century (vgl. Jenkins et al. 2009). (*39) Viele junge Menschen würden sich im Sinne einer Partizipation bereits vielschichtig an der gegenwärtigen Kultur beteiligen, beispielsweise indem sie formal oder informell Mitglieder in Online-Communities mit verschiedenen Medienformen (Facebook, Messageboards u.a.) seien, neue kreative Formen wie Zines oder Digital Sampling produzierten, gemeinsam in formalen oder informellen Teams an Aufgaben oder der Produktion von neuem Wissen arbeiteten (z.B. Wikipedia) und den Fluss der Medien („circulations“) – etwa bei Podcasting oder Blogging – formten (vgl. ebd.: 3). Die Autor_innen verweisen auf Studien, die die potenziellen Vorteile partizipativer Kulturen wie Peer-to-Peer-Lernen, die Vervielfältigung kultureller Ausdrucksformen oder auch eine ermächtigendere Konzeption von Citizenship anführen. Sie weisen aber auch auf Ausschlüsse hin, indem Zugänge zu partizipativen Kulturen wie eine neue Form eines „hidden curriculum“ funktionierten und so bestimmt werde, welche Jugendliche in der Schule oder am Arbeitsplatz erfolgreich seien oder hinterherhinkten (vgl. ebd.: 3).
Die Studienautor_innen detektieren demzufolge drei Kernprobleme: eine Kluft in den Möglichkeiten der Partizipation durch ungleichen Zugang zu Ressourcen, ein Problem in der Transparenz, sodass junge Menschen nicht erkennen können, wie Medien die Wahrnehmung der Welt formen, sowie eine ethische Herausforderung, indem junge Menschen immer mehr öffentliche Rollen als Medienproduzierende und Teilnehmende in Communities einnehmen (vgl. ebd.: 3). Im Kontext einer Medienpädagogik sehen sie als zentrale Aufgabe der Schulen, kulturelle Kompetenzen und soziale Fähigkeiten in Hinblick auf neue Medien und die Teilnahme an digitalen Communities zu vermitteln. Die dafür erforderlichen ‚new skills‘ benennen sie etwa mit spielerischem Problemlösungsverhalten, der Annahme verschiedener Identitäten zum Zweck der Improvisation und Entdeckung, Multitasking, kollektive Intelligenz, Beurteilung von Information, Transmedia-Navigation und Vernetzung (vgl. ebd.: 4).
Im Kontext des Lernens in partizipativen Kulturen betrifft eine wichtige Argumentationslinie die Schaffung von Peer-to-Peer-Lernumgebungen außerhalb traditioneller Bildungsinstitutionen, an denen (vorwiegend) junge Menschen auf verschiedenste Weise mit ästhetischen Innovationen informell experimentieren: Paul Gee spricht hier von „affinity spaces“ (vgl. 2004) (*24) als (reale oder virtuelle) Räume, in denen (junge) Menschen über gemeinsame Interessen und Ziele zusammengebracht werden und durch informelles Lernen und Vernetzungsaktivitäten daran teilhaben. Durch die gemeinsame Motivation können laut Gee gewisse Barrieren (wie Alter, sozio-ökonomischer Status, Bildung) überwunden werden und es kann ein Aufbrechen des Expert_innenwissens stattfinden, so dass es zu einer Demokratisierung unterschiedlicher Wissensformen kommen kann. Dabei entstehen nicht nur lokale, transnationale und virtuelle Netzwerke (vgl. Zobl 2011b), (*80) sondern auch kollaborative und nicht-kommerzielle Räume, die geprägt sind von einem informellen Lernen, prozessorientierten und nicht-hierarchischen Arbeitsmethoden, Aktivismus, zivilgesellschaftlichem Engagement und „DIY Citizenship“ (vgl. Reitsamer/Zobl 2010). (*65)
So werden beispielsweise in DIY-Workshops – wie bei queer-feministischen Festivals und Camps (z.B. Ladyfest, Grrrls Rock Camp) üblich – durch ‚learning by doing‘ und ‚skill sharing‘ technische, künstlerische und handwerkliche Kompetenzen mit dem Ziel vermittelt, eigene kulturelle Produktionen herzustellen, diese über nicht-kommerzielle Netzwerke zu verbreiten und dadurch etablierte Maßstäbe für ‚perfekte‘, kommerziell ausgerichtete kulturelle Produktionen zu subvertieren. Gerade die Workshops spielen eine zentrale Rolle in der Schaffung von informellen Lernorten, in denen junge Menschen ihre Ideen, Erfahrungen, ihr Wissen und ihre Meinungen kommunizieren und austauschen können. Außerhalb formaler (Aus-)Bildungseinrichtungen wird Wissen untereinander vermittelt (vgl. Reitsamer/Zobl 2010) (*65) und ein „kulturell produktiver, politisierter gegen-öffentliche[r] Raum“ (Nguyen 2000: o.S.) (*57) geschaffen. Mimi Nguyen bezeichnet dies im Kontext der Riot-Grrrl-Bewegung als „ein informelles pädagogisches Projekt, eine Art punk rock ‚teaching machine‘“ (ebd.). Die Verhandlung solcher partizipativen Räume – mit einer Betonung auf prozess-orientierten, nicht-hierarchischen und kollaborativen Arbeitsmethoden, bewusster Reflexion, Verhandlung und Reklamation von Raum und dem Zulassen von möglichen Konflikten sowie kritischer Selbstreflexion – erfordern aber auch einen Lernprozess, der von allen Beteiligten gewollt werden muss.
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Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht in: Zobl, Elke/Klaus, Elisabeth/Moser, Anita/Baumgartinger, Persson Perry: Kultur produzieren. Künstlerische Praktiken und kritische kulturelle Produktion. Bielefeld: transcript.
Er baut auf Artikel, die in Zusammenarbeit mit Rosa Reitsamer und Ricarda Drüeke entstanden sind, auf (vgl. Reitsamer/Zobl 2010, 2011, 2014; Zobl/Drüeke 2012; Zobl/Drüeke 2020; Zobl 2012). Ich danke herzlich für die Zusammenarbeit!
Nachdem ich vor zwanzig Jahren feststellen konnte, dass einerseits die Forschung sich auf Zines im anglo-amerikanischen Raum fokussierte und andererseits eine zentrale, virtuelle Ressourcenseite fehlte, gründete ich 2001 das Online-Archiv Grrrl Zine Network, um aufzeigen, dass Zines in vielen verschiedenen Ländern produziert werden. Ich konnte dabei mehr als 1.100 Zines aus 43 verschiedenen Ländern in 15 Sprachen dokumentieren und 120 Zine-Produzentinnen interviewen. Die meisten Zines, die ich im Rahmen meiner Forschung sammeln konnte, stammen aus Nordamerika, Europa und Australien. Das Folgeprojekt Grassroots Feminism hat einen breiteren Fokus auf verschiedene DIY-Praktiken.
Für Jenkins geht Medienkonvergenz über die technische Dimension hinaus und verweist auf kulturelle Veränderungen, in denen User_innen Rollen von Medienkonsum und -produktion flexibel einnehmen können Jenkins 2006b). In dem Buch Convergence Culture (2006b) diskutiert er die Schnittpunkte von Medienkonvergenz, partizipativer Kultur (v.a. im Hinblick auf Fantum) und kollektiver Intelligenz. An dem Konvergenz-Konzept von Jenkins wurde vor allem die übermäßige Betonung des partizipativen Potenzials der User_innen, eine unterbeleuchtete Sichtweise der unternehmerischen Logik von Konvergenz, ein unzulänglicher Einbezug der größeren Medienlandschaft und ihrer Machtverhältnisse sowie eine zu optimistische Sicht der demokratischen Verbreitung von Konvergenz kritisiert (vgl. Hay/Couldry 2011: 4f.). Jenkins nimmt zu den Kritikpunkten Stellung (vgl. 2014) und erkennt die Ausschlussmechanismen und unternehmerischen Aneignungen und Vermarktungen an.
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