„Kunst mit politischem Material dann interessant, wenn es neue Formen von Theatralität enthält“

Der Künstler Arne Vogelgesang im Gespräch mit Katharina Anzengruber und Anita Moser*1 *(1)

 

Welche Strategien bzw. konkrete Initiativen gibt es, dagegen vorzugehen? Gibt es überhaupt Möglichkeiten des Widerstands?

Es gibt immer Möglichkeiten des Widerstands. Solange wir die Frage noch stellen können, ist es schon mal gut. Ich bin allerdings kein Experte, was diese Seite betrifft, weil ich sozusagen aufgrund einer etwas morbiden Faszination mehr Beobachtung der „dunklen“ Seite betrieben habe, als dass ich mich mit der anderen auseinandergesetzt hätte. In Deutschland gibt es aber beispielsweise die Initiative Keinen Pixel den Faschisten.*2 *(2) Im Rahmen dieser Initiative vernetzen sich Menschen, die im Bereich der Spieleproduktion arbeiten, um Gegenrede zu betreiben. Darüber hinaus gibt es sehr viele, teilweise lokale, teilweise überregionale Initiativen, die Propaganda und extreme Politik im Internet beobachten, dokumentieren und darüber aufklären. Nicht mit einem Schwerpunkt auf Spiele und Spielekulturen, aber das ist auch – und zunehmend mehr – mit im Fokus.

 

„Ich mache Theater mit politischem Material. (…) Es handelt sich um künstlerische Strategien, die über bestimmte politische Sachverhalte aufklären.“

 

„Theater kann nichts vermitteln, sondern vermittelt, was vorher vermittelt wurde.“ „Theater macht den Kollaps der Welt konsumierbar.“ Das sind Sätze, die Sie sinngemäß kürzlich in einer Performance gesagt haben. Die gegen Ende aufgeworfene Frage, was Theater angesichts aktueller Entwicklungen tun könne, wird zwar mit dem Stücktitel Es ist zu spät beantwortet, aber auch an das Publikum weitergereicht. Wir möchten sie an Sie zurückspielen mit Blick auf Gamifizierung von radikaler rechter Politik: Was können Kunst und Theater tun? Können Sie dazu etwas auf Basis Ihrer eigenen künstlerischen Arbeit und Erfahrungen sagen?

Ich glaube, das liegt letztlich an den Leuten, die Theater machen und was sie damit wollen ‑ also welchen Zweck sie in ihrer Kunst sehen. Irgendwas tun kann man immer. Sie zitieren hier aus einem Stück, das ich als Produktion eines YouTube-Videos und Aufkündigung des Theaters inszeniert habe. Es ist dieser Rant eingebaut, den man wahrscheinlich, wenn man ihn auf YouTube posten wollte, Die Zerstörung des Theaters oder so nennen müsste. Die Produktion selbst ist ja auch Theater und endlich aufzuhören mit dem Theater ist ein sehr alter Topos im Theater, mit dem gerne kokettiert wird.

Im Vergleich zu globalen kulturellen Phänomenen, wie wir sie mit Netz- und Spielekulturen auffinden, ist das Theater ein altmodisches und recht beschränktes Medium. Sowohl was die Zahl des Publikums als auch was die gesellschaftlichen Schichten, die in der Regel damit angesprochen werden, angeht. Wenn Theater dezidiert politisch wird, verliert es darüber hinaus auch große Teile des klassischen Zielpublikums. Und noch einmal mehr, wenn es sich – so etwa im migrantischen oder postmigrantischen Theater – aus Betroffenen-Perspektiven mit den Mitteln des Theaters politisch positioniert. Dann wird es schwieriger, überhaupt noch als Kunst wahrgenommen zu werden von denen, die ihre eigenen politischen Haltungen im Theater vergessen wollen und können, weil sie „normal“ sind. Dazu bleibt auch, zumindest für mein Empfinden, eine Spannung zwischen dem, was man als Vorgehensweisen oder Modus Operandi von Kunst einerseits und politischem Handeln andererseits setzen würde. Ich habe das Gefühl, dass sich diese Modi relativ stark widersprechen.

Während die Kunst, gerade im Theater, Komplexität, Uneindeutigkeit, Ambivalenz oder Aufschub von Entscheidungen zum Thema macht, oder diese sogar zum eigenen Wesenskern erhebt, geht es in der Politik oft um entgegengesetzte Dinge. Man will Ergebnisse haben, Erfolge verzeichnen, andernfalls ist es kein politisches Handeln. Dazwischen ist ein Bereich, in dem ich mich mit meiner Arbeit in den letzten Jahren verortet habe: Ich mache Theater mit politischem Material. Das ist nicht unbedingt „politisches Theater“, weil ich dabei keine politischen Zielsetzungen habe. Es handelt sich vielmehr um künstlerische Strategien, die über bestimmte politische Sachverhalte aufklären. Dieser Aufklärungsaspekt selbst ist vielleicht nicht unbedingt ein künstlerischer oder kunstinhärenter, aber ein Nebeneffekt, wenn man mit dokumentarischem Material arbeitet.

Wie mir von Leuten, die meine Produktionen gesehen haben, berichtet wurde, zeigte dieser Aspekt wohl auch Wirkungen. Diese Wirkungen würde ich aber stets als begrenzt ansehen, alleine aufgrund der begrenzten Zahl des Publikums. 100 Leute aufzuklären, die zum Großteil ohnehin schon aufgeklärt sind, ist ja keine so große Leistung. Insofern würde ich als jemand, der Kunst betreibt, die Kunst nicht so hoch oben auf der Liste der Dinge ansetzen, die wir unbedingt tun sollten, um politische Veränderungen anzustoßen. Aber es gibt genug Möglichkeiten, Kunst produzierend tätig zu sein und sich nebenher politisch zu engagieren, so wie das andere Leute auch neben ihren Berufen machen. Dem gewissen Zwang, mit dem man in der Kunstproduktion immer konfrontiert ist, alles, was man machen will, in seine Kunst hineinzugießen – in dieses große gefräßige Tier – dem kann man ja auch widerstehen. Und es passiert ja glücklicherweise tatsächlich, dass Künstler*innen und Kunstschaffende sich als Mitglieder der Gesellschaft politisch positionieren und sich auch mit anderen Berufsgruppen vernetzen, um aus dieser Blase herauszukommen.

 

„Sobald ich ins Internet gehe, das heißt, so etwas wie Online-Theater machen will, ist es noch mal virulenter, wer überhaupt Zugang hat und wer nicht.“

 

In Ihren Produktionen spielen multimediale Möglichkeiten eine große Rolle. Schränkt der damit verbundene große technische Aufwand nicht stark ein, da mit bestimmten Gruppen oder auch größeren Theatern zusammengearbeitet werden muss, um die Stücke umsetzen zu können?

Nicht nur, wenn ich mit technischen Mitteln Theater mache, muss ich zuerst darüber nachdenken, wen ich damit ausschließe. Wobei ich bisher als jemand, der freies Theater macht, ohnehin immer in der Position war, dass nicht so viele Leute gekommen sind. Insofern war die Breitenwirksamkeit nie im Fokus. Ich hatte aber auch einen blinden Fleck, da ich als jemand, der glücklicherweise mit recht vielen Privilegien und Funktionen durch das Leben gehen kann, über viele Dinge nicht nachdenken musste. Eine aufwändige Rundumprojektion zum Beispiel ist für blinde oder schlechte sehende Menschen wenig eindrucksvoll. Auf die Tatsache, dass manche Leute sich nicht mehr so gut auf den Boden setzen können, bin ich gestoßen, weil meine Mutter zu Stücken gekommen ist und Probleme mit dem langen Herumstehen hatte. Wenn wir mittels multimedialer Mittel auf der Bühne sind, ist es gleichzeitig eine Erweiterung, in den ökonomischen Kosten aber eine Beschränkung. Dass ich zusätzlich auch mit Bildmaterial und Projektionen arbeiten kann, erweitert mein Repertoire. Es bringt aber auch Formeinschränkungen mit sich, mit denen man umgehen muss. Durch Einschränkungen entsteht meines Erachtens überhaupt erst Kreativität. Deswegen ist es auch ein Mittel in der Kunst, sich bestimmte Dinge hineinzuholen, die Probleme machen, weil man mit den Problemen dann arbeiten kann.

Sobald ich ins Internet gehe, das heißt, so etwas wie Online-Theater machen will, ist es nochmal virulenter, wer überhaupt Zugang hat und wer nicht. Für wen ist es eine Herausforderung, sich ein YouTube-Konto zu erstellen und zu verstehen, wie das funktioniert, und für wen nicht? Was mich im Moment interessiert, ist VR, also Virtual Reality für Theater, weil es durch seine räumlichen und körperlichen Effekte ein großes Potenzial bietet. Es sind aber sehr wenige Leute, die da teilnehmen können. Wenn ich so etwas mache, kann ich mir nicht einbilden, dass ich es für alle mache, und damit muss ich einverstanden sein. Das ist auch eine politische Entscheidung, die ich dann treffe. Oder eine politische Entscheidung, die im Widerspruch zum künstlerischen Interesse steht.

Herzlichen Dank an Elisabeth Klaus für den Austausch und die konstruktiven Anregungen in Bezug auf das Interview.

Als solche bezeichneten beispielsweise die Identitären ihre Stürmung einer Aufführung der Schweigenden Mehrheit im Wiener Audimax.

Katharina Anzengruber, Anita Moser, Arne Vogelgesang ( 2020): „Kunst mit politischem Material dann interessant, wenn es neue Formen von Theatralität enthält“. Der Künstler Arne Vogelgesang im Gespräch mit Katharina Anzengruber und Anita Moser[fussnote]1[/fussnote]. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/kunst-mit-politischem-material-dann-interessant-wenn-es-neue-formen-von-theatralitaet-enthaelt/