„Kunst mit politischem Material dann interessant, wenn es neue Formen von Theatralität enthält“

Der Künstler Arne Vogelgesang im Gespräch mit Katharina Anzengruber und Anita Moser*1 *(1)

 

„Ein Problem ist, dass es gar nicht so leicht ist, sich erstmal darüber zu verständigen, was gemeint ist, wenn Leute ‚politisch‘ sagen.“

 

Nochmal zurück zu Theater und Politik: Sie machen unter dem Label internil Theater mit politischen Inhalten, würden dabei aber nicht von politischem Theater sprechen. In einem Ihrer Texte schreiben Sie, das Adjektiv „politisch“ sei im Zusammenhang mit Kunst zu einem moralischen Gütesiegel geworden und politische Kunst oft auch von einer politischen Kläglichkeit gegenzeichnet. Ist dieses Adjektiv im Kontext von Kunst möglicherweise obsolet?

Ein Problem daran ist, dass es gar nicht so leicht ist, sich erst mal darüber zu verständigen, was gemeint ist, wenn Leute „politisch“ sagen. Das ist ein Problem, das sich vergrößert. Ich kann über andere Kunstbereiche wenig sagen, weil ich eher aus dem Theater komme, also spreche ich darüber. Es gab eine Zeit, in der „politisch“ eine Art Modelabel war, das sich hauptsächlich auf bestimmte Inhalte und Gesten bezog, die performt wurden. Es ging nicht unbedingt darum, dass damit konkret außerhalb der Kunst politische Ziele verfolgt oder erreicht wurden. Das trifft beileibe nicht auf alle Künstler*innen zu. Einigen ging es in ihren Produktionen sehr wohl darum, politische Kunst zu machen und für diese Fälle halte ich die Bezeichnung auch für legitim und zutreffend.

Daneben gab es aber eben auch viel Gepose. Einfach, weil es chic war, „politisches Theater“ zu machen. Das ist eine Diagnose, die ich vor etwa sechs oder sieben Jahren, vielleicht etwas früher, gefällt habe. Das hat sich, wie ich finde, mittlerweile geändert. Einerseits gibt es eine Entwicklung analog zu dem, was wir im Internet sehen, von der ich glaube, dass sie sich verstärken wird: Es gibt zunehmend mehr Community-Bezogenheit oder Zielgruppenspezifität im Theater. Indem man genauer weiß, wen man mit welchen Inhalten anspricht, ist dieser Form des Theaters ein politisches Moment inhärent. Was darüber hinaus in bestimmten Teilen des Theaters relativ stark geworden ist, sind Prinzipien von Empowerment oder Selbstbestätigung. Die goldenen Zeiten des politischen Geposes erfolgten, bevor das anfing, was wir verkürzt „Rechtsruck“ nennen. Seitdem ist alles ein bisschen konkreter geworden, weil die Gefahren deutlicher sichtbar werden.

Es gibt auch, so mein Eindruck, mehr gesellschaftspolitische Positionierungen im Theater, unter Theater- und Kunstschaffenden und darüber hinaus. Den Ansprüchen, die damit einhergehen, gerecht zu werden, ist aber kein leichtes Unterfangen. Wenn ich mich gegen radikal rechte Angriffe auf den Kulturbetrieb wehre und sage: „Wir stehen für eine plurale Gesellschaft, für Gleichberechtigung von Menschen und all diese Werte ein“, dann muss sich das in meinem Handeln auch widerspiegeln. Teilweise gelingt das Kunstschaffenden auch, weil es ihre Lebensrealität ist ‑ gerade in Bereichen wie Tanz oder Musik, die sehr international sind und wo es absurd wäre, nationale Grenzen dicht zu machen oder „völkische“ Programme zu fahren.

Was die Repräsentationsaufgaben von Gesellschaft angeht, hinkt das Theater, vor allen Dingen das städtisch-staatliche, hinterher und muss in dem Moment, in dem es sich politisch positioniert, diesen mehr gerecht werden. Das ist, glaube ich, eine gute Sache. Gleichzeitig wäre es kurzsichtig anzunehmen, dass mit einer „Benettonisierung“ der Kunstlandschaft alles getan wäre. Es gibt zunehmend Gruppen innerhalb der radikalen Rechten, die ganz gut damit klarkommen, wenn ethnische Diversität existiert, solange ihre anderen Inhalte darin weitergetragen werden können.

 

Rechte beschreiben und argumentieren ihr Tun und Handeln oft mit ehemals linkem Vokabular, zum Beispiel wenn sie sich als Aktivistinnen, Aktivisten bezeichnen, auch mit Begrifflichkeiten aus der Kunstwelt, wie etwa Überhöhung, ironische Brechung oder ästhetische Intervention.*3 *(3) Wie können Theater und Kunst dem begegnen?

Die Technik der Aneignung von bestimmten Begriffen ist eine Form von Travestie, die auch ein Spiel enthält, nämlich das ironische Spiel, sich gleichzeitig über die Gegner*innen lustig zu machen, indem man ihre Begrifflichkeiten für das eigene Handeln verwendet. So, wie man gleichzeitig den Gegner*innen das eigene Handeln vorwirft, um es bei sich selbst unsichtbar zu machen. Das ist ein ganz normaler Teil des politischen Kampfes, aber auch Ausdruck davon, dass der Rechten nichts Neues einfällt. Das Schmarotzen an der Ideenwelt ihrer Gegner*innen und die Maskerade mit ihnen wird dann zum Problem, wenn die Bestohlenen die Vision hinter ihrem eigenen Vokabular nicht auch anders vermitteln können.

Gerade die Kunst sollte sich in Bezug auf die Anspruchshaltung auf ihre Begriffe entspannen. Denn Kunst muss ja nicht per se links oder progressiv sein. Auch Nazis haben Kunst gemacht. Die kann man schlecht finden, aber Kunstproduktion ist ja nun wirklich kein Privileg von nicht-rechten Menschen. Insofern: Warum sollte es keine rechtsradikalen ästhetischen Interventionen geben? Ich finde, man sollte weniger die Reinheit der Kunst gegen eine Okkupation durch unliebsame politische Gruppen verteidigen, als deren politische Inhalte zu bekämpfen.

 

„Ich denke, dass man bestimmte Erfahrungen machen muss, um darüber zu sprechen.“

 

Recherche-basierte Praktiken sind seit einigen Jahren fixer Bestandteil in performativer und bildender Kunst. Bei Ihnen scheint es bei den Recherchen eine besondere Intensität zu geben, indem Sie oft über längere Zeit in Szenen und Milieus eintauchen, teilweise Lifestyles nachahmen, wie zum Beispiel Breiviks Fitnesswahn. Was macht das mit Ihnen? Und wie wirkt es sich auf Ihre Kunst aus?

Ich glaube, das ist eine Art seltsam konventioneller Method-Acting-Ansatz bei mir. Ich denke, dass man bestimmte Erfahrungen machen muss, um darüber zu sprechen. Sie sagen, dass ich eintauche in Szenen und Milieus, aber ich betreibe Internetrecherche – primär tauche ich also in meinen Computer ein. Es gibt tatsächlich Leute, die für Recherche undercover irgendwohin gehen, real mit Menschen sprechen oder in Szenen hineingehen. Das ist eine ganz andere Arbeit, die ganz andere Gefahren mit sich bringt und vor der ich hohen Respekt habe.

Zuhause vor dem Computer zu sitzen und sich sehr viel von dem Zeug anzusehen, ja, das macht auch etwas mit einem. Ich finde, die Effekte sind, auf lange Sicht, vor allem jenseits der Kunstproduktion beunruhigend. Man bekommt einen Tunnelblick, wenn man sich primär damit beschäftigt hat. Es ist sehr schwierig, im Blick zu behalten, was sonst noch alles auf der Welt passiert – etwa sich dessen bewusst zu sein, dass die Nazis nicht in der Überzahl sind. Aber das könnte ja auch Grund für Hoffnung sein. Ich bin sehr sensibel dafür geworden, was die Rückübernahme oder das Diffundieren von bestimmten Begriffen, Redewendungen und Argumentationsweisen angeht.

Herzlichen Dank an Elisabeth Klaus für den Austausch und die konstruktiven Anregungen in Bezug auf das Interview.

Als solche bezeichneten beispielsweise die Identitären ihre Stürmung einer Aufführung der Schweigenden Mehrheit im Wiener Audimax.

Katharina Anzengruber, Anita Moser, Arne Vogelgesang ( 2020): „Kunst mit politischem Material dann interessant, wenn es neue Formen von Theatralität enthält“. Der Künstler Arne Vogelgesang im Gespräch mit Katharina Anzengruber und Anita Moser[fussnote]1[/fussnote]. In: p/art/icipate – Kultur aktiv gestalten # 11 , https://www.p-art-icipate.net/kunst-mit-politischem-material-dann-interessant-wenn-es-neue-formen-von-theatralitaet-enthaelt/